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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Ausdrücklich wird hier behauptet, dass das Wort von Hyperions Herzen seine Kraft verloren hat,<br />

weil nun Diotima tot ist und nur <strong>die</strong> Lüfte ihn hören. Dass ein Wort seine Kraft verloren hat präsupponiert,<br />

dass es sie früher hatte. Wenn es Diotima nicht mehr gibt, hören nur <strong>die</strong> Lüfte ihn.<br />

Dieser Bedingungssatz präsupponiert, dass Hyperion <strong>die</strong> heilige Sprache außer mit <strong>de</strong>r Natur nur<br />

mit einem Menschen sprechen konnte, nämlich mit Diotima. Dies legt nahe, dass <strong>die</strong> Kraft von<br />

Hyperions Wort darin bestand, mit Diotima auf ganz beson<strong>de</strong>re Weise zu kommunizieren, <strong>de</strong>nn<br />

auf <strong>die</strong> übliche Weise konnte Hyperion sonst mit allen Menschen re<strong>de</strong>n.<br />

O liebes Wort aus heilgem Mun<strong>de</strong>, rief ich, da ich wie<strong>de</strong>r erwacht war, liebes Rätsel, fass’ ich dich?<br />

(Schmidt, 1994: 174)<br />

Hyperion ist allein in <strong>de</strong>r Natur und glaubt, <strong>die</strong> Stimme <strong>de</strong>r toten Diotima zu hören. Da ruft er<br />

<strong>die</strong>s aus. „Heilig“ ist <strong>die</strong> Sprache, <strong>die</strong> ihn mit <strong>de</strong>m Geist Diotimas verbin<strong>de</strong>t. Der „Mund“ wird<br />

hier als Sprechorgan aufgefasst.<br />

B.II.b.2.4. Die heilige Sprache verbin<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n Menschen mit<br />

<strong>de</strong>r Natur bzw. Gottheit<br />

Und wenn ich oft dalag unter <strong>de</strong>n Blumen und am zärtlichen Frühlingslichte mich sonnte, und hinaufsah ins<br />

heitre Blau, das <strong>die</strong> warme Er<strong>de</strong> umfing, wenn ich unter <strong>de</strong>n Ulmen und Wei<strong>de</strong>n, im Schoße <strong>de</strong>s Berges<br />

saß, nach einem erquicken<strong>de</strong>n Regen, wenn <strong>die</strong> Zweige noch bebten von <strong>de</strong>n Berührungen <strong>de</strong>s Himmels,<br />

und über <strong>de</strong>m tröpfeln<strong>de</strong>n Wal<strong>de</strong> sich goldne Wolken bewegten, o<strong>de</strong>r wenn <strong>de</strong>r Abendstern voll friedlichen<br />

Geistes heraufkam mit <strong>de</strong>n alten Jünglingen, <strong>de</strong>n übrigen Hel<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Himmels, und ich so sah, wie das Leben<br />

in ihnen in ewiger müheloser Ordnung durch <strong>de</strong>n Äther sich fortbewegte, und <strong>die</strong> Ruhe <strong>de</strong>r Welt mich<br />

umgab und erfreute, dass ich aufmerkte und lauschte, ohne zu wissen, wie mir geschah – hast du mich lieb,<br />

guter Vater im Himmel! fragt’ ich dann leise, und fühlte seine Antwort so sicher und selig am Herzen.<br />

O du, zu <strong>de</strong>m ich rief, als wärst du über <strong>de</strong>n Sternen, <strong>de</strong>n ich Schöpfer <strong>de</strong>s Himmels nannte und <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>,<br />

freundlich Idol meiner Kindheit, du wirst nicht zürnen, dass ich <strong>de</strong>iner vergaß! (Schmidt, 1994: 18 f.)<br />

Der „gute Vater im Himmel“, „Schöpfer <strong>de</strong>s Himmels“, ist entwe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r christliche Gott o<strong>de</strong>r<br />

eine sehr ähnlich verstan<strong>de</strong>ne Naturgottheit. Mitten in <strong>de</strong>r Natur fühlt Hyperion sich so wohl,<br />

dass er <strong>de</strong>n Kontakt zur Gottheit fin<strong>de</strong>t – er „merkt auf“ –, ihr zuhört – „lauscht“ –, und zu ihr<br />

spricht und ihr sogar einen Namen gibt. Diese Sprache verbin<strong>de</strong>t direkt <strong>de</strong>n Menschen Hyperion<br />

mit <strong>de</strong>r Gottheit, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Welt geschaffen hat. „Leise“ spricht Hyperion, weil Gott keine menschlichen<br />

Ohren hat und nicht braucht, um ihn zu hören, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Sprache, <strong>die</strong> im Moment Hyperion<br />

spricht, ist nicht menschlich, son<strong>de</strong>rn heilig. Deswegen muss Hyperion nicht laut sprechen,<br />

vielleicht sogar nicht mit <strong>de</strong>m Mund, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Antwort hört er nicht mit <strong>de</strong>n Ohren, son<strong>de</strong>rn er<br />

fühlt sie im Herzen.<br />

Er hatt’ an seinem Stoffe, <strong>de</strong>r sogenannten kultivierten Welt, lange genug Geduld und Kunst geübt, aber<br />

sein Stoff war Stein und Holz gewesen und geblieben, nahm wohl zur Not <strong>die</strong> edle Menschenform von außen<br />

an, aber um <strong>die</strong>s war’s meinem Adamas nicht zu tun; er wollte Menschen, und, um <strong>die</strong>se zu schaffen,<br />

hatt’ er seine Kunst zu arm gefun<strong>de</strong>n. Sie waren einmal da gewesen, <strong>die</strong> er suchte, <strong>die</strong> zu schaffen, seine<br />

Kunst zu arm war, das erkannt’ er <strong>de</strong>utlich. Wo sie da gewesen, wusst’ er auch. Da wollt’ er hin und unter<br />

<strong>de</strong>m Schutt nach ihrem Genius fragen, mit <strong>die</strong>sem sich <strong>die</strong> einsamen Tage zu verkürzen. Er kam nach<br />

Griechenland. So fand ich ihn. (Schmidt, 1994: 20 f.)<br />

Adamas wollte von <strong>de</strong>r antiken griechischen Kunst lernen und <strong>die</strong> Ruinen <strong>de</strong>r alten Zivilisation<br />

erforschen. Er wollte nicht <strong>die</strong> Menschen, son<strong>de</strong>rn <strong>die</strong> Ruinen befragen. Für Hyperion gehören<br />

<strong>die</strong>se antiken Ruinen zur göttlichen Natur. Da wollte sich Adamas in Kontakt mit <strong>de</strong>m Genius<br />

<strong>de</strong>r Alten – d.h. mit ihrem Geist – in Kontakt setzen, <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>nfalls zu <strong>de</strong>n Himmlischen gehört.<br />

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