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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Und du? was fragst du dich? Dass so zuweilen etwas in dir auffährt, und, wie <strong>de</strong>r Mund <strong>de</strong>s Sterben<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>in Herz in Einem Augenblicke so gewaltsam dir sich öffnet und verschließt, das gera<strong>de</strong> ist das böse Zeichen.<br />

Sei nur still, und lass es seinen Gang gehn! künstle nicht! versuche kindisch nicht, um eine Ehle länger dich<br />

zu machen! – Es ist, als wolltest du noch eine Sonne schaffen, und neue Zöglinge für sie, ein Er<strong>de</strong>nrund<br />

und einen Mond erzeugen.<br />

So träumt’ ich hin. Geduldig nahm ich nach und nach von allem Abschied. – O ihr Genossen meiner Zeit!<br />

fragt eure Ärzte nicht und nicht <strong>die</strong> Priester, wenn ihr innerlich vergeht!<br />

Ihr habt <strong>de</strong>n Glauben an alles Große verloren; so müsst, so müsst ihr hin, wenn <strong>die</strong>ser Glaube nicht wie<strong>de</strong>rkehrt,<br />

wie ein Komet aus frem<strong>de</strong>n Himmeln. (Schmidt, 1994: 50)<br />

Hyperion spricht hier einen Monolog. Zuerst schilt er sich, weil er es gewagt hat, <strong>de</strong>n „Mund“<br />

aufzumachen, um zu „fragen“, d.h. um zu versuchen, in Erfahrung zu bringen, was mit ihm los<br />

ist. Dann sagt er, es sei ein „böses Zeichen“, wenn er seinen Mund aufmacht. Dann empfiehlt er<br />

sich selbst, „still“ zu sein, d.h. <strong>de</strong>n Mund nicht aufzumachen. Er schilt sich auch, Ärzte und<br />

Priester zu „fragen“, eben jene, von <strong>de</strong>nen man sich Heilung verspricht. Dies alles impliziert,<br />

dass er meint, es sei nutzlos, <strong>de</strong>n Mund aufzumachen, um Erklärungen zu erfragen und Heilung<br />

zu erbitten, und <strong>die</strong> Sprache sei also umsonst. Weil er <strong>de</strong>n Glauben an alles Große verloren hat,<br />

nimmt er von allem Abschied und „muss hin“, und das impliziert, dass er sterben muss. Ohne<br />

seinen Glauben nützt ihm <strong>die</strong> Sprache nichts und er muss sterben, <strong>de</strong>nn sein Leben hat keinen<br />

Sinn, er fühlt sich wie ein Komet an einem frem<strong>de</strong>n Himmel. Hyperion hat allen Mut und Hoffnung<br />

verloren, seine Existenz ist entfrem<strong>de</strong>t, seine heilige Sprache verloren. Ohne <strong>de</strong>n Kontakt<br />

zur Gottheit ist ihm <strong>de</strong>r Kontakt zu <strong>de</strong>n Menschen unnütz.<br />

Es gibt ein Vergessen alles Daseins, ein Verstummen unsers Wesens, wo uns ist, als hätten wir alles gefun<strong>de</strong>n.<br />

Es gibt ein Verstummen, ein Vergessen alles Daseins, wo uns ist, als hätten wir alles verloren, eine Nacht<br />

unsrer Seele, wo kein Schimmer eines Sterns, wo nicht einmal ein faules Holz uns leuchtet.<br />

Ich war nun ruhig gewor<strong>de</strong>n. Nun trieb mich nichts mehr auf um Mitternacht. Nun sengt’ ich mich in meiner<br />

eignen Flamme nicht mehr.<br />

Ich sah nun still und einsam vor mich hin, und schweift’ in <strong>die</strong> Vergangenheit und in <strong>die</strong> Zukunft mit <strong>de</strong>m<br />

Auge nicht. Nun drängte Fernes und Nahes sich in meinem Sinne nicht mehr; <strong>die</strong> Menschen, wenn sie mich<br />

nicht zwangen, sie zu sehen, sah ich nicht.<br />

Sonst lag oft, wie das ewig leere Fass <strong>de</strong>r Danai<strong>de</strong>n, vor meinem Sinne <strong>die</strong>s Jahrhun<strong>de</strong>rt, und mit verschwen<strong>de</strong>rischer<br />

Liebe goss meine Seele sich aus, <strong>die</strong> Lücken auszufüllen; nun sah ich keine Lücke mehr,<br />

nun drückte mich <strong>de</strong>s Lebens Langeweile nicht mehr.<br />

Nun sprach ich nimmer zu <strong>de</strong>r Blume, du bist meine Schwester! und zu <strong>de</strong>n Quellen, wir sind Eines Geschlechts!<br />

ich gab nun treulich, wie ein Echo, je<strong>de</strong>m Dinge seinen Namen.<br />

Wie ein Strom an dürren Ufern, wo kein Wei<strong>de</strong>nblatt im Wasser sich spiegelt, lief unverschönert vorüber<br />

an mir <strong>die</strong> Welt. (Schmidt, 1994: 51)<br />

Hyperion glaubt hier, alles verloren zu haben, wenn er alles Dasein vergisst, und wenn alles Dasein<br />

verstummt. Dann wird er ruhig und still und spricht nicht zur Natur. Er fühlt keine Lei<strong>de</strong>nschaft,<br />

<strong>die</strong> ihn „versengt“, ist einsam und setzt sich mit <strong>de</strong>r Wirklichkeit nicht mehr auseinan<strong>de</strong>r.<br />

Er wünscht sich nichts, will nichts unternehmen. Er sieht <strong>die</strong> Wirklichkeit nur und erkennt sie,<br />

und damit begnügt er sich. „Sprechen„ ist hier also eine aktive Tätigkeit, ein Eingreifen in <strong>die</strong><br />

Wirklichkeit. Im Gegensatz dazu nennt Hyperion je<strong>de</strong>s Ding bei seinem Namen, aber das ist keine<br />

Kommunikation, nur ein treues Echo: Er ist bloß ein Spiegelbild, sieht nur einsam vor sich<br />

hin und erkennt, was er sieht, weiß <strong>de</strong>ssen Namen, und nennt ihn für sich selbst, wie eine automatische<br />

Maschine. Es ist keine eigentliche Sprache, es ist nur ein Selbstgespräch. Also wird<br />

hier gemeint, dass erst, wenn <strong>die</strong> eigentliche Sprache aufhört, Hyperion ruhig sein kann wie ein<br />

dürres Ufer, an <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Strom <strong>de</strong>s Lebens ohne seine Anteilnahme vorüberfließt. Da erst kann<br />

Hyperion still wie ein leben<strong>de</strong>r Toter sein, <strong>de</strong>n nichts mehr auf <strong>de</strong>r Welt interessiert, und <strong>de</strong>r so<br />

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