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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Schönheit ist <strong>die</strong> pantheistische Gottheit Hyperions, <strong>die</strong> „in <strong>de</strong>r Welt“, „im Kreise <strong>de</strong>r Menschennatur<br />

und <strong>de</strong>r Dinge“ anwesend ist. Als er aus tiefster Seele das Höchste suchte und noch nicht<br />

gefun<strong>de</strong>n hatte, fragte er danach. Das präsupponiert, dass man durch Sprache <strong>de</strong>n Weg zu Gott<br />

erfragen kann. Und tatsächlich ist es so, <strong>de</strong>nn jetzt hat Hyperion <strong>die</strong> Antwort gefun<strong>de</strong>n und gibt<br />

sie uns, in einem einzigen Wort gefasst, preis. Die heilige Sprache vermag somit <strong>de</strong>n Menschen<br />

<strong>die</strong> göttliche Wahrheit zu vermitteln.<br />

Und du, du hast mir <strong>de</strong>n Weg gewiesen! Mit dir begann ich. Sie sind <strong>de</strong>r Worte nicht wert, <strong>die</strong> Tage, da ich<br />

noch dich nicht kannte –<br />

O Diotima, Diotima, himmlisches Wesen! (Schmidt, 1994: 62)<br />

Hyperion meint hier, es lohne sich nicht, über Dinge zu sprechen, <strong>die</strong> weniger himmlisch als<br />

Diotima sind. Die so verstan<strong>de</strong>ne Sprache <strong>die</strong>nt nur dazu, Himmlisches zu nennen.<br />

Denn im Anfang war <strong>de</strong>r Mensch und seine Götter Eins, da, sich selber unbekannt, <strong>die</strong> ewige Schönheit<br />

war. – Ich spreche Mysterien, aber sie sind. –<br />

[...]<br />

Der Schönheit zweite Tochter ist Religion. Religion ist Liebe <strong>de</strong>r Schönheit. Der Weise liebt sie selbst, <strong>die</strong><br />

Unendliche, <strong>die</strong> Allumfassen<strong>de</strong>; das Volk liebt ihre Kin<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> Götter, <strong>die</strong> in mannigfaltigen Gestalten ihm<br />

erscheinen. Auch so war’s bei <strong>de</strong>n Athenern. Und ohne solche Liebe <strong>de</strong>r Schönheit, ohne solche Religion<br />

ist je<strong>de</strong>r Staat ein dürr Gerippe ohne Leben und Geist, und alles Denken und Tun ein Baum ohne Gipfel,<br />

eine Säule, wovon <strong>die</strong> Krone herabgeschlagen ist.<br />

Dass aber wirklich <strong>die</strong>s <strong>de</strong>r Fall war bei <strong>de</strong>n Griechen und beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>n Athenern, dass ihre Kunst und<br />

ihre Religion <strong>die</strong> echten Kin<strong>de</strong>r ewiger Schönheit – vollen<strong>de</strong>ter Menschennatur – sind, und nur hervorgehn<br />

konnten aus vollen<strong>de</strong>ter Menschennatur, das zeigt sich <strong>de</strong>utlich, wenn man nur <strong>die</strong> Gegenstän<strong>de</strong> ihrer heiligen<br />

Kunst, und <strong>die</strong> Religion mit unbefangenem Auge sehn will, womit sie jene Gegenstän<strong>de</strong> liebten und<br />

ehrten.<br />

Mängel und Misstritte gibt es überall und so auch hier. Aber das ist sicher, dass man in <strong>de</strong>n Gegenstän<strong>de</strong>n<br />

ihrer Kunst doch meist <strong>de</strong>n reifen Menschen fin<strong>de</strong>t. (Schmidt, 1994: 90)<br />

Hyperion erzählt seinen Freun<strong>de</strong>n über Göttliches und seine Aussagen treffen zu, so wi<strong>de</strong>rsinnig<br />

sie ihnen auch scheinen mögen, <strong>de</strong>swegen nennt er sie „Mysterien“. Die „Kunst“ ist hier eher <strong>die</strong><br />

bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Kunst, <strong>die</strong> aber als semiotisches Kommunikationssystem funktioniert. Sie ist „heilig“,<br />

weil man durch sie <strong>de</strong>n reifen Menschen <strong>die</strong> Götter und <strong>die</strong> ewige Schönheit – d.h. <strong>die</strong> übergeordnete<br />

höchste Gottheit – vermittelt.<br />

Der Athener kann <strong>die</strong> Willkür nicht ertragen, weil seine göttliche Natur nicht will gestört sein, er kann Gesetzlichkeit<br />

nicht überall ertragen, weil er ihrer nicht überall bedarf. Drako taugt für ihn nicht. Er will zart<br />

behan<strong>de</strong>lt sein, und tut auch recht daran.<br />

Gut! unterbrach mich einer, das begreif’ ich, aber, wie <strong>die</strong>s dichterische religiöse Volk nun auch ein philosophisch<br />

Volk sein soll, das seh’ ich nicht.<br />

Sie wären sogar, sagt’ ich, ohne Dichtung nie ein philosophisch Volk gewesen!<br />

Was hat <strong>die</strong> Philosophie, erwi<strong>de</strong>rt’ er, was hat <strong>die</strong> kalte Erhabenheit <strong>die</strong>ser Wissenschaft mit Dichtung zu<br />

tun?<br />

Die Dichtung, sagt’ ich, meiner Sache gewiss, ist <strong>de</strong>r Anfang und das En<strong>de</strong> <strong>die</strong>ser Wissenschaft. Wie Minerva<br />

aus Jupiters Haupt, entspringt sie aus <strong>de</strong>r Dichtung eines unendlichen göttlichen Seins. Und so läuft<br />

am End’ auch wie<strong>de</strong>r in ihr das Unvereinbare in <strong>de</strong>r geheimnisvollen Quelle <strong>de</strong>r Dichtung zusammen.<br />

Das ist ein paradoxer Mensch, rief Diotima, jedoch ich ahn’ ihn. Aber ihr schweift mir aus. Von Athen ist<br />

<strong>die</strong> Re<strong>de</strong>. (Schmidt, 1994: 91)<br />

Der von Höl<strong>de</strong>rlin i<strong>de</strong>alisierte „Athener“ ist „göttlich“, „dichterisch“, „religiös“ und „philosophisch“.<br />

Der Verlauf <strong>de</strong>s Gesprächs zeigt, dass Höl<strong>de</strong>rlin sich im Klaren war, wie schwer verständlich<br />

<strong>die</strong>se Vorstellung für seinen Leser wäre, <strong>de</strong>swegen schreibt er unmittelbar danach eine<br />

Stelle, welche <strong>die</strong> theoretische Vorstellung Hyperions zur „Dichtung“ – d.h. zur heiligen Sprache,<br />

<strong>die</strong> das Göttliche vermitteln will – ausdrücklich erklärt. Demnach ist <strong>die</strong> Dichtung sowohl<br />

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