die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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Ich habe viele Worte+ gemacht, und stillschweigend+ starb <strong>die</strong> große Römerin doch, da im To<strong>de</strong>skampf ihr<br />
Brutus und das Vaterland rang. Was konnt’ ich aber bessers in <strong>de</strong>n besten meiner letzten Lebenstage tun? –<br />
Auch treibt mich’s immer, mancherlei zu sagen+. Stille+ war mein Leben; mein Tod ist beredt+. Genug!<br />
FORTSETZUNG<br />
Nur Eines muss ich dir noch sagen+.<br />
Du müsstest untergehn, verzweifeln müsstest du, doch wird <strong>de</strong>r Geist dich retten. Dich wird kein Lorbeer<br />
trösten und kein Myrtenkranz; <strong>de</strong>r Olymp wird’s, <strong>de</strong>r lebendige, gegenwärtige, <strong>de</strong>r ewig jugendlich um alle<br />
Sinne dir blüht. Die schöne Welt ist mein Olymp; in <strong>die</strong>sem wirst du leben, und mit <strong>de</strong>n heiligen Wesen <strong>de</strong>r<br />
Welt, mit <strong>de</strong>n Göttern <strong>de</strong>r Natur, mit <strong>die</strong>sen wirst du freudig sein.<br />
#*162*#O seid willkommen, ihr Guten, ihr Treuen! ihr Tiefvermissten, Verkannten! Kin<strong>de</strong>r und Älteste!<br />
Sonn’ und Erd’ und Äther mit allen leben<strong>de</strong>n Seelen, <strong>die</strong> um euch spielen, <strong>die</strong> ihr umspielt, in ewiger<br />
Liebe! o nehmt <strong>die</strong> alles versuchen<strong>de</strong>n Menschen, nehmt <strong>die</strong> Flüchtlinge wie<strong>de</strong>r in <strong>die</strong> Götterfamilie, nehmt<br />
in <strong>die</strong> Heimat <strong>de</strong>r Natur sie auf, aus <strong>de</strong>r sie entwichen! –<br />
Du kennst <strong>die</strong>s Wort+, Hyperion! Du hast es angefangen in mir. Du wirst’s vollen<strong>de</strong>n in dir, und dann erst<br />
ruhn+.<br />
Ich habe genug daran, um freudig, als ein griechisch Mädchen zu sterben.<br />
Die Armen, <strong>die</strong> nichts kennen, als ihr dürftig Machwerk, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Not nur <strong>die</strong>nen und <strong>de</strong>n Genius<br />
verschmähn, und dich nicht ehren, kindlich Leben <strong>de</strong>r Natur! <strong>die</strong> mögen vor <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> sich fürchten. Ihr<br />
Joch ist ihre Welt gewor<strong>de</strong>n; Besseres, als ihren Knechts<strong>die</strong>nst, kennen sie nicht; scheun <strong>die</strong> Götterfreiheit,<br />
<strong>die</strong> <strong>de</strong>r Tod uns gibt?<br />
Ich aber nicht! ich habe mich <strong>de</strong>s Stückwerks überhoben, das <strong>die</strong> Menschenhän<strong>de</strong> gemacht, ich hab’ es<br />
gefühlt, das Leben <strong>de</strong>r Natur, das höher ist, <strong>de</strong>nn alle Gedanken – wenn ich auch zur Pflanze wür<strong>de</strong>, wäre<br />
<strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong> so groß? – Ich wer<strong>de</strong> sein. Wie sollt’ ich mich verlieren aus <strong>de</strong>r Sphäre <strong>de</strong>s Lebens, worin<br />
<strong>die</strong> ewige Liebe, <strong>die</strong> allen gemein ist, <strong>die</strong> Naturen alle zusammenhält? wie sollt’ ich schei<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m<br />
Bun<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Wesen alle verknüpft? Der bricht so leicht nicht, wie <strong>die</strong> losen Ban<strong>de</strong> <strong>die</strong>ser Zeit. Der ist<br />
nicht, wie ein Markttag, wo das Volk zusammenläuft und lärmt und auseinan<strong>de</strong>rgeht. Nein! bei <strong>de</strong>m Geiste,<br />
<strong>de</strong>r uns einiget, bei <strong>de</strong>m Gottesgeiste, <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>m eigen ist und allen gemein! nein! nein! im Bun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Natur<br />
ist Treue kein Traum. Wir trennen uns nur, um inniger einig zu sein, göttlicher friedlich mit allem, mit uns.<br />
Wir sterben, um zu leben.<br />
Ich wer<strong>de</strong> sein; ich frage+ nicht, was ich wer<strong>de</strong>. Zu sein, zu leben, das ist genug, das ist <strong>die</strong> Ehre <strong>de</strong>r<br />
Götter; und darum ist sich alles gleich, was nur ein Leben ist, in <strong>de</strong>r göttlichen Welt, und es gibt in ihr nicht<br />
Herren und Knechte. Es leben umeinan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Naturen, wie Lieben<strong>de</strong>; sie haben alles gemein, Geist,<br />
Freu<strong>de</strong> und ewige Jugend.<br />
#*163*#Beständigkeit haben <strong>die</strong> Sterne gewählt, in stiller+ Lebensfülle wallen sie stets und kennen das<br />
Alter nicht. Wir stellen im Wechsel das Vollen<strong>de</strong>te dar; in wan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Melo<strong>die</strong>n+ teilen wir <strong>die</strong> großen<br />
Akkor<strong>de</strong>+ <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong>. Wie Harfenspieler+ um <strong>die</strong> Thronen <strong>de</strong>r Ältesten, leben wir, selbst göttlich, um <strong>die</strong><br />
stillen+ Götter <strong>de</strong>r Welt, mit <strong>de</strong>m flüchtigen Lebenslie<strong>de</strong>+ mil<strong>de</strong>rn wir <strong>de</strong>n seligen Ernst <strong>de</strong>s Sonnengotts<br />
und <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn.<br />
Sieh auf in <strong>die</strong> Welt! Ist sie nicht, wie ein wan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r Triumphzug, wo <strong>die</strong> Natur <strong>de</strong>n ewigen Sieg über alle<br />
Ver<strong>de</strong>rbnis feiert? und führt nicht zur Verherrlichung das Leben <strong>de</strong>n Tod mit sich, in gol<strong>de</strong>nen Ketten, wie<br />
<strong>de</strong>r Feldherr einst <strong>die</strong> gefangenen Könige mit sich geführt? und wir, wir sind wie <strong>die</strong> Jungfrauen und <strong>die</strong><br />
Jünglinge, <strong>die</strong> mit Tanz und Gesang+, in wechseln<strong>de</strong>n Gestalten und Tönen+ <strong>de</strong>n majestätischen Zug<br />
geleiten.<br />
Nun lass mich schweigen+. Mehr zu sagen+, wäre zu viel. Wir wer<strong>de</strong>n wohl uns wie<strong>de</strong>r begegnen. –<br />
Trauern<strong>de</strong>r Jüngling! bald, bald wirst du glücklicher sein. Dir ist <strong>de</strong>in Lorbeer nicht gereift und <strong>de</strong>ine<br />
Myrten verblühten, <strong>de</strong>nn Priester+ sollst du sein <strong>de</strong>r göttlichen Natur, und <strong>die</strong> dichterischen+ Tage keimen<br />
dir schon.<br />
O könnt’ ich dich sehn in <strong>de</strong>iner künftigen Schöne! Lebe wohl.<br />
Zugleich erhielt ich einen Brief von Notara, worin er mir schrieb+:<br />
Den Tag, nach<strong>de</strong>m sie dir zum letzten Mal geschrieben+, wur<strong>de</strong> sie ganz ruhig+, sprach+ noch wenig<br />
Worte+, sagte+ dann auch, dass sie lieber möcht’ im Feuer von <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> schei<strong>de</strong>n, als begraben sein, und<br />
ihre Asche sollten wir in eine Urne sammeln, und in <strong>de</strong>n Wald sie stellen, an <strong>de</strong>n Ort, wo du, mein Teurer!<br />
ihr zuerst begegnet wärst. Bald darauf, da es anfing, dunkel zu wer<strong>de</strong>n, sagte+ sie uns gute Nacht, als wenn<br />
sie schlafen möcht’, und schlug <strong>die</strong> Arme um ihr schönes Haupt; bis gegen Morgen hörten+ wir sie atmen.<br />
Da es dann ganz stille+ wur<strong>de</strong> und ich nichts mehr hörte+, ging ich hin zu ihr und lauschte+.<br />
#*164*#O Hyperion! was soll ich weiter sagen+? Es war aus und unsre Klagen+ weckten sie nicht mehr.<br />
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