22.11.2013 Aufrufe

die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Dies schreibt Hyperion an <strong>die</strong> todkranke Diotima, nach<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n Krieg verloren hat. Er versucht<br />

durch seine Worte, <strong>die</strong> von ganzem Herzen kommen, sie zu heilen, in<strong>de</strong>m er ihre Emotionen<br />

beeinflusst, <strong>de</strong>nn ihre Krankheit ist ja <strong>die</strong> Trauer. Seine rhetorische Frage präsupponiert,<br />

dass <strong>die</strong>se Heilkraft manchmal möglich ist, zumin<strong>de</strong>st nach Ansicht Hyperions, auch wenn <strong>de</strong>r<br />

Leser weiß, es wird <strong>die</strong>smal nicht gelingen.<br />

Ich wollte nicht auf Diotimas Antwort warten, wollte fort zu ihr, es war, als wenn ein Gott nach Kalaurea<br />

mich triebe. (Schmidt, 1994: 149)<br />

Hyperion hat Diotima vorgeschlagen, mit ihm ins Ausland zu ziehen. Ihre Antwort ist für ihn so<br />

wichtig, dass er ungeduldig wird und sie gar nicht abwarten kann, er will zu ihr, um sie direkt zu<br />

fragen.<br />

Die Re<strong>de</strong>, sein Ton, sein Hän<strong>de</strong>druck, seine Miene, sein Blick, das alles traf, wie eines Gottes Macht, mein<br />

Wesen (Schmidt, 1994: 152)<br />

Alabanda erzählt Hyperion von einem seiner finsteren Freun<strong>de</strong>, und wie er es u.a. mittels <strong>de</strong>r<br />

Sprache geschafft hat, Alabanda dazu zu überre<strong>de</strong>n, in seinen geheimen Bund einzutreten.<br />

Aber o süße Stimme! noch hört’ ich dich wie<strong>de</strong>r, noch einmal rührte, wie Mailuft, mich <strong>die</strong> Sprache <strong>de</strong>s<br />

Lieben, und <strong>de</strong>ine schöne Hoffnungsfreu<strong>de</strong>, das hol<strong>de</strong> Phantom unsers künftigen Glücks, hat einen Augenblick<br />

auch mich getäuscht. (Schmidt, 1994: 158)<br />

Diotima stirbt an <strong>de</strong>r Trauer, ihren Geliebten tot geglaubt zu haben. Als sie erfährt, dass er <strong>de</strong>n<br />

Krieg überlebt hat und zu ihr zurück will, hat sein Brief mit <strong>de</strong>r frohen Nachricht Diotima für<br />

eine Weile sogar wie<strong>de</strong>r belebt. Da schreibt sie <strong>die</strong>se Worte an ihn.<br />

Bald, da du fort warst, und noch in <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>s Abschieds fing es an. Eine Kraft im Geiste, vor <strong>de</strong>r ich<br />

erschrak, ein innres Leben, vor <strong>de</strong>m das Leben <strong>de</strong>r Erd’ erblasst’ und schwand, wie Nachtlampen im Morgenrot<br />

– soll ich’s sagen? ich hätte mögen nach Delphi gehn und <strong>de</strong>m Gott <strong>de</strong>r Begeisterung einen Tempel<br />

bauen unter <strong>de</strong>n Felsen <strong>de</strong>s alten Parnass, und, eine neue Pythia, <strong>die</strong> schlaffen Völker mit Göttersprüchen<br />

entzün<strong>de</strong>n, und meine Seele weiß, <strong>de</strong>n Gottverlassnen allen hätte <strong>de</strong>r jungfräuliche Mund <strong>die</strong> Augen geöffnet<br />

und <strong>die</strong> dumpfen Stirnen entfaltet, so mächtig war <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>s Lebens in mir! (Schmidt, 1994: 159)<br />

Dies schreibt Diotima an Hyperion. Die „Göttersprüche“ sind Worte, in <strong>de</strong>nen Diotima über <strong>die</strong><br />

Götter spricht, o<strong>de</strong>r aber Worte, <strong>die</strong> tiefe göttliche Wahrheiten enthalten. Auf je<strong>de</strong>n Fall vermögen<br />

<strong>die</strong>se Worte <strong>die</strong> „schlaffen Völker“ zu entzün<strong>de</strong>n. Im selben Sinne ist <strong>de</strong>r als Sprachorgan<br />

verstan<strong>de</strong>ne „Mund“ so mächtig, dass er mit seinen Worten <strong>die</strong> Augen öffnen und <strong>die</strong> „dumpfen<br />

Stirnen“ entfalten kann.<br />

Eine <strong>de</strong>iner Liebesre<strong>de</strong>n hätte mich wie<strong>de</strong>r zum frohen gesun<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong> gemacht (Schmidt, 1994: 161)<br />

Dies schreibt <strong>die</strong> todkranke Diotima an Hyperion in ihrem letzten Brief. Der Konjunktiv impliziert,<br />

dass es nicht passiert ist, präsupponiert aber, dass es möglich gewesen wäre, d.h. dass <strong>die</strong><br />

Sprache manchmal <strong>die</strong> Kraft hat, Menschen zu heilen.<br />

150

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!