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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Diotima schreibt <strong>die</strong>s an Hyperion, <strong>de</strong>r sich gera<strong>de</strong> an <strong>de</strong>r Kriegsfront befin<strong>de</strong>t. In ihrer Fantasie<br />

sieht sie ihn kommen und <strong>die</strong> Wäl<strong>de</strong>r grüßen, in <strong>de</strong>nen sie sich oft trafen und lieben lernten. Er<br />

kommuniziert also direkt mit <strong>de</strong>r Natur.<br />

Ein Tag hat alle Jugend mir genommen; am Eurotas hat mein Leben sich mü<strong>de</strong> geweint, ach! am Eurotas,<br />

<strong>de</strong>r in rettungsloser Schmach an Lacedämons Schutt vorüberklagt, mit allen seinen Wellen. Da, da hat<br />

mich das Schicksal abgeerntet. (Schmidt, 1994: 132)<br />

Dies schreibt Hyperion an Diotima. An einem Tag hat er alles verloren, weil seine Soldaten geplün<strong>de</strong>rt<br />

und gemor<strong>de</strong>t haben. Somit hat er seine Ehre und seinen Krieg verloren. Der Fluss Eurotas<br />

sollte eigentlich nicht klagen, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong>ses Verb präsupponiert als Subjekt einen Menschen,<br />

<strong>de</strong>r zu sprechen vermag. Durch <strong>die</strong>ses Klagen wird <strong>de</strong>r Fluss personifiziert, und als Folge ergibt<br />

sich <strong>die</strong> Sprache <strong>de</strong>r Natur, <strong>die</strong> in <strong>die</strong>sem Falle mit Hyperion trauert, so dass Hyperion <strong>die</strong>se Klage<br />

mitbekommen kann.<br />

Ich kann, ich darf nicht mehr – wie mag <strong>de</strong>r Priester leben, wo sein Gott nicht mehr ist? O Genius meines<br />

Volks! o Seele Griechenlands! ich muss hinab, ich muss im Totenreiche dich suchen. (Schmidt, 1994: 134)<br />

Hyperion hat <strong>de</strong>n Krieg und <strong>die</strong> Ehre verloren. Die I<strong>de</strong>ale, für <strong>die</strong> er kämpfte, sind unglaubwürdig<br />

gewor<strong>de</strong>n. Er vergleicht sich selbst mit einem Priester, <strong>de</strong>ssen Gott nicht mehr existiert. Ein<br />

Priester, <strong>de</strong>r mit seinem Gott so eng verbun<strong>de</strong>n ist, dass er ohne ihn nicht einmal weiter leben<br />

kann, ist ein Musterbeispiel <strong>de</strong>r Kommunikation zwischen Menschen und Göttern. Und für<br />

Hyperion ist <strong>die</strong> Natur das Göttliche.<br />

Große Seele! du wirst dich fin<strong>de</strong>n können in <strong>die</strong>sen Abschied und so lass mich wan<strong>de</strong>rn! Grüße <strong>de</strong>ine Mutter!<br />

Grüße Notara und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>rn Freun<strong>de</strong>!<br />

Auch <strong>die</strong> Bäume grüße, wo ich dir zum ersten Male begegnete und <strong>die</strong> fröhlichen Bäche, wo wir gingen<br />

und <strong>die</strong> schönen Gärten von Angele (Schmidt, 1994: 136)<br />

Hyperion verabschie<strong>de</strong>t sich von Diotima in einem Brief, <strong>de</strong>nn er glaubt, dass er bald sterben<br />

wird. Er lässt <strong>die</strong> Bäume, Bäche und Gärten grüßen, als wären sie Familie und Freun<strong>de</strong>. Es han<strong>de</strong>lt<br />

sich um <strong>die</strong> heilige Sprache, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Menschen mit <strong>de</strong>r Natur verbin<strong>de</strong>t.<br />

ein einzig hoffnungsvoller Jüngling schienst du mir. Zu wem so laut das Schicksal spricht, <strong>de</strong>r darf auch<br />

lauter sprechen mit <strong>de</strong>m Schicksal, sagt’ ich mir; je unergründlicher er lei<strong>de</strong>t, um so unergründlich mächtiger<br />

ist er. Von dir, von dir nur hofft’ ich alle Genesung. Ich sah dich reisen. Ich sah dich wirken. O <strong>de</strong>r Verwandlung!<br />

(Schmidt, 1994: 143)<br />

Diotima erzählt Hyperion von ihren einstigen Gefühlen für ihn. Sie meint, das Schicksal und Hyperion<br />

sprechen miteinan<strong>de</strong>r. Das Verb „sprechen“ präsupponiert Menschen als Gesprächspartner.<br />

Diese Tatsache impliziert wie<strong>de</strong>rum, dass das Schicksal personifiziert zu verstehen ist als<br />

eine Art Gottheit, <strong>die</strong> über das menschliche Schicksal waltet, wie z.B. <strong>die</strong> Parzen. In <strong>die</strong>sem Sinn<br />

ist also das 'Sprechen' ein Kommunikationsprozess, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Menschen mit <strong>de</strong>r Gottheit verbin<strong>de</strong>t<br />

und – nach Diotimas Meinung – gewissermaßen gleichsetzt.<br />

Von dir gestiftet, grünte wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Aka<strong>de</strong>mus Hain über <strong>de</strong>n horchen<strong>de</strong>n Schülern und heilige Gespräche<br />

hörte, wie einst, <strong>de</strong>r Ahorn <strong>de</strong>s Ilissus wie<strong>de</strong>r. (Schmidt, 1994: 143)<br />

Dies schreibt Diotima über Hyperion an ihn selbst. In <strong>de</strong>r Eingangspartie von Platons Dialog<br />

Phaidros hört <strong>de</strong>r Ahorn das Gespräch zwischen Sokrates und Phaidros. Die Gespräche von Sokrates<br />

wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>nen Hyperions verglichen. Diese Gespräche Hyperions wer<strong>de</strong>n heilig genannt,<br />

weil Ilissos ein griechischer Flussgott war, <strong>de</strong>r durch Athen floss, und vielleicht auch,<br />

weil sie nach Ansicht Diotimas eine ähnlich be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> philosophische und kulturelle Tiefe be­<br />

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