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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Worte sind hier umsonst, und wer nach einem Gleichnis von ihr fragt, <strong>de</strong>r hat sie nie erfahren. Das Einzige,<br />

was eine solche Freu<strong>de</strong> auszudrücken vermochte, war Diotimas Gesang, wenn er, in goldner Mitte, zwischen<br />

Höhe und Tiefe schwebte. (Schmidt, 1994: 78)<br />

Der Gesang Diotimas – d.h. <strong>die</strong> heilige Sprache, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Musik ähnelt – ist das einzige Mittel, <strong>die</strong><br />

göttliche Freu<strong>de</strong> auszudrücken, im Gegensatz zur allgemeinen Sprache.<br />

Unsere Seelen lebten nun immer freier und schöner zusammen, und alles in und um uns vereinigte sich zu<br />

gol<strong>de</strong>nem Frie<strong>de</strong>n. Es schien, als wäre <strong>die</strong> alte Welt gestorben und eine neue begönne mit uns, so geistig<br />

und kräftig und liebend und leicht war alles gewor<strong>de</strong>n, und wir und alle Wesen schwebten, selig vereint,<br />

wie ein Chor von tausend unzertrennlichen Tönen, durch <strong>de</strong>n unendlichen Äther.<br />

Unsre Gespräche gleiteten weg, wie ein himmelblau Gewässer, woraus <strong>de</strong>r Goldsand hin und wie<strong>de</strong>r blinkt,<br />

und unsre Stille war, wie <strong>die</strong> Stille <strong>de</strong>r Berggipfel, wo in herrlich einsamer Höhe, hoch über <strong>de</strong>m Raume<br />

<strong>de</strong>r Gewitter, nur <strong>die</strong> göttliche Luft noch in <strong>de</strong>n Locken <strong>de</strong>s kühnen Wan<strong>de</strong>rers rauscht. (Schmidt, 1994: 84<br />

f.)<br />

Hyperion und Diotima vereinigen sich selig in ihrer Liebe, so dass sie aufhören, Gespräche zu<br />

führen, und statt<strong>de</strong>ssen still sind wie <strong>die</strong> Berggipfel und wie <strong>die</strong> göttliche Luft. Die heilige und<br />

<strong>die</strong>smal wortlose Sprache wird hier ausdrücklich <strong>de</strong>r Musik gleichgesetzt.<br />

Mein ganzes Wesen richtete sich auf, da ich einmal wie<strong>de</strong>r mit Diotima allein mich sah; sie hatte einen<br />

herrlichen Kampf bestan<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m heiligen Chaos von Athen. Wie das Saitenspiel <strong>de</strong>r himmlischen<br />

Muse über <strong>de</strong>n uneinigen Elementen, herrschten Diotimas stille Gedanken über <strong>de</strong>n Trümmern. Wie <strong>de</strong>r<br />

Mond aus zartem Gewölke, hob sich ihr Geist aus schönem Lei<strong>de</strong>n empor; das himmlische Mädchen stand<br />

in seiner Wehmut da, wie <strong>die</strong> Blume, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>r Nacht am lieblichsten duftet. (Schmidt, 1994: 97)<br />

Diotimas Gedanken sind „still“, d.h. sie bringt sie nicht zum sprachlichen Ausdruck. Aber sie<br />

wird mit <strong>de</strong>m Mond und mit <strong>de</strong>r Blume verglichen, und <strong>die</strong>s impliziert, dass sie mit <strong>de</strong>r Natur innig<br />

verbun<strong>de</strong>n ist, zu <strong>de</strong>r für Höl<strong>de</strong>rlin auch <strong>die</strong> Trümmer <strong>de</strong>s alten Athens gehören. Diotima<br />

selbst wird ja sogar „himmlisch“ genannt. Es gibt also eine wortlose Kommunikation bzw. Verbun<strong>de</strong>nheit<br />

zwischen Diotima und <strong>de</strong>r Natur. Und <strong>die</strong>se Sorte Kommunikation wird mit <strong>de</strong>m Saitenspiel<br />

verglichen.<br />

Du fragst nach Menschen, Natur? Du klagst, wie ein Saitenspiel, worauf <strong>de</strong>s Zufalls Bru<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r Wind, nur<br />

spielt, weil <strong>de</strong>r Künstler, <strong>de</strong>r es ordnete, gestorben ist? Sie wer<strong>de</strong>n kommen, <strong>de</strong>ine Menschen, Natur! Ein<br />

verjüngtes Volk wird dich auch wie<strong>de</strong>r verjüngen, und du wirst wer<strong>de</strong>n, wie seine Braut und <strong>de</strong>r alte Bund<br />

<strong>de</strong>r Geister wird sich erneuen mit dir.<br />

Es wird nur Eine Schönheit sein; und Menschheit und Natur wird sich vereinen in Eine allumfassen<strong>de</strong> Gottheit.<br />

(Schmidt, 1994: 101)<br />

Die Natur „fragt“ und „klagt“. Diese zwei Verben präsupponieren als Subjekt einen Menschen.<br />

Daraus folgt, dass <strong>die</strong> Natur hier personifiziert wird. Außer<strong>de</strong>m wird sie später mit einer „Braut“<br />

verglichen, und sie wird sich später mit <strong>de</strong>r „Menschheit“ „vereinen“. Sie klagt nicht mit Worten,<br />

son<strong>de</strong>rn durch ihren „Wind“ wie mit einem „Saitenspiel“. Die Sprache <strong>de</strong>r Natur ist wie Musik.<br />

Da wir uns ferne waren, rief ich, da, wie Harfengelispel, unser kommend Entzücken uns erst tönte da wir<br />

uns fan<strong>de</strong>n, da kein Schlaf mehr war und alle Töne in uns erwachten zu <strong>de</strong>s Lebens vollen Akkor<strong>de</strong>n, göttliche<br />

Natur! da waren wir immer, wie du, und nun auch da wir schei<strong>de</strong>n und <strong>die</strong> Freu<strong>de</strong> stirbt, sind wir, wie<br />

du, voll Lei<strong>de</strong>ns und doch gut, drum soll ein reiner Mund uns zeugen, dass unsre Liebe heilig ist und ewig,<br />

so wie du. (Schmidt, 1994: 113)<br />

Die Liebe zwischen Hyperion und Diotima ist „heilig“. Die Natur ist „göttlich“ und <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n<br />

Menschen auch. Bei<strong>de</strong> ahnten einan<strong>de</strong>r, bevor sie sich kannten, und <strong>die</strong>se Botschaft <strong>de</strong>s Jenseits,<br />

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