die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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Wie oft hab’ ich meine Klagen+ vor <strong>die</strong>sem Bil<strong>de</strong> gestillt+! wie oft hat sich das übermütige Leben und <strong>de</strong>r<br />
streben<strong>de</strong> Geist besänftigt, wenn ich, in selige Betrachtungen versunken, ihr ins Herz sah, wie man in <strong>die</strong><br />
Quelle siehet, wenn sie still+ erbebt von <strong>de</strong>n Berührungen <strong>de</strong>s Himmels, <strong>de</strong>r in Silbertropfen auf sie<br />
nie<strong>de</strong>rträufelt!<br />
Sie war mein Lethe, <strong>die</strong>se Seele, mein heiliger Lethe, woraus ich <strong>die</strong> Vergessenheit <strong>de</strong>s Daseins trank, dass<br />
ich vor ihr stand, wie ein Unsterblicher, und freudig mich schalt, und wie nach schweren Träumen lächeln<br />
musste über alle Ketten, <strong>die</strong> mich gedrückt.<br />
O ich wär’ ein glücklicher, ein trefflicher Mensch gewor<strong>de</strong>n mit ihr!<br />
#*69*#Mit ihr! aber das ist misslungen, und nun irr’ ich herum in <strong>de</strong>m, was vor und in mir ist, und drüber<br />
hinaus, und weiß nicht, was ich machen soll aus mir und an<strong>de</strong>rn Dingen.<br />
Meine Seele ist, wie ein Fisch aus ihrem Elemente auf <strong>de</strong>n Ufersand geworfen, und win<strong>de</strong>t sich und wirft<br />
sich umher, bis sie vertrocknet in <strong>de</strong>r Hitze <strong>de</strong>s Tags.<br />
Ach! gäb’ es nur noch etwas in <strong>de</strong>r Welt für mich zu tun! gäb’ es eine Arbeit, einen Krieg für mich, das<br />
sollte mich erquicken!<br />
Knäblein, <strong>die</strong> man von <strong>de</strong>r Mutterbrust gerissen und in <strong>die</strong> Wüste geworfen, hat einst, so sagt+ man, eine<br />
Wölfin gesäugt.<br />
Mein Herz ist nicht so glücklich.<br />
HYPERION AN BELLARMIN<br />
Ich kann nur hie und da ein Wörtchen+ von ihr sprechen+. Ich muss vergessen, was sie ganz ist, wenn ich<br />
von ihr sprechen+ soll. Ich muss mich täuschen, als hätte sie vor alten Zeiten gelebt, als wüsst’ ich durch<br />
Erzählung+ einiges von ihr, wenn ihr lebendig Bild mich nicht ergreifen soll, dass ich vergehe im<br />
Entzücken und im Schmerz, wenn ich <strong>de</strong>n Tod <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong> über sie und <strong>de</strong>n Tod <strong>de</strong>r Trauer um sie nicht<br />
sterben soll.<br />
HYPERION AN BELLARMIN<br />
Es ist umsonst; ich kann’s mir nicht verbergen. Wohin ich auch entfliehe mit meinen Gedanken, in <strong>die</strong><br />
Himmel hinauf und in <strong>de</strong>n Abgrund, zum Anfang und ans En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeiten, selbst wenn ich ihm, <strong>de</strong>r meine<br />
letzte Zuflucht war, <strong>de</strong>r sonst noch je<strong>de</strong> Sorge in mir verzehrte, <strong>de</strong>r alle Lust und allen Schmerz <strong>de</strong>s Lebens<br />
sonst mit <strong>de</strong>r Feuerflamme, worin er sich offenbarte, in mir versengte, selbst wenn ich ihm mich in <strong>die</strong><br />
Arme werfe, <strong>de</strong>m herrlichen geheimen Geiste <strong>de</strong>r Welt, in seine Tiefe mich tauche, wie in <strong>de</strong>n bo<strong>de</strong>nlosen<br />
#*70*#Ozean hinab, auch da, auch da fin<strong>de</strong>n <strong>die</strong> süßen Schrecken mich aus, <strong>die</strong> süßen verwirren<strong>de</strong>n<br />
töten<strong>de</strong>n Schrecken, dass Diotimas Grab mir nah ist.<br />
Hörst+ du? hörst+ du? Diotimas Grab!<br />
Mein Herz war doch so stille+ gewor<strong>de</strong>n, und meine Liebe war begraben mit <strong>de</strong>r Toten, <strong>die</strong> ich liebte.<br />
Du weißt, mein Bellarmin! ich schrieb+ dir lange nicht von ihr, und da ich schrieb+, so schrieb+ ich dir<br />
gelassen, wie ich meine.<br />
Was ist’s <strong>de</strong>nn nun?<br />
Ich gehe ans Ufer hinaus und sehe nach Kalaurea, wo sie ruhet+, hinüber, das ist’s.<br />
O dass ja keiner <strong>de</strong>n Kahn mir leihe, dass ja sich keiner erbarme und mir sein Ru<strong>de</strong>r biete und mir<br />
hinüberhelfe zu ihr!<br />
Dass ja das gute Meer nicht ruhig+ bleibe, damit ich nicht ein Holz mir zimmre und hinüberschwimme zu<br />
ihr.<br />
Aber in <strong>die</strong> toben<strong>de</strong> See will ich mich werfen, und ihre Woge bitten, dass sie an Diotimas Gesta<strong>de</strong> mich<br />
wirft! –<br />
Lieber Bru<strong>de</strong>r! ich tröste mein Herz mit allerlei Phantasien, ich reiche mir manchen Schlaftrank; und es<br />
wäre wohl größer, sich zu befreien auf immer, als sich zu behelfen mit Palliativen; aber wem geht’s nicht<br />
so? Ich bin <strong>de</strong>nn doch damit zufrie<strong>de</strong>n.<br />
Zufrie<strong>de</strong>n? ach das wäre gut! da wäre ja geholfen, wo kein Gott nicht helfen kann.<br />
Nun! nun! ich habe, was ich konnte, getan! Ich fordre von <strong>de</strong>m Schicksal meine Seele.<br />
HYPERION AN BELLARMIN<br />
War sie nicht mein, ihr Schwestern <strong>de</strong>s Schicksals, war sie nicht mein? Die reinen Quellen fordr’ ich auf zu<br />
Zeugen+, und <strong>die</strong> unschuldigen Bäume, <strong>die</strong> uns belauschten+, und das Tagslicht und <strong>de</strong>n Äther! war sie<br />
nicht mein? vereint mit mir in allen Tönen+ <strong>de</strong>s Lebens?<br />
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