die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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Mein ganzes Wesen richtete sich auf, da ich einmal wie<strong>de</strong>r mit Diotima allein mich sah; sie hatte einen<br />
herrlichen Kampf bestan<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m heiligen Chaos von Athen. Wie das Saitenspiel+ <strong>de</strong>r himmlischen<br />
Muse über <strong>de</strong>n uneinigen Elementen, herrschten Diotimas stille+ Gedanken über <strong>de</strong>n Trümmern. Wie <strong>de</strong>r<br />
Mond aus zartem Gewölke, hob sich ihr Geist aus schönem Lei<strong>de</strong>n empor; das himmlische Mädchen stand<br />
in seiner Wehmut da, wie <strong>die</strong> Blume, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>r Nacht am lieblichsten duftet.<br />
Wir gingen weiter und weiter, und waren am En<strong>de</strong> nicht umsonst gegangen.<br />
O ihr Haine von Angele, wo <strong>de</strong>r Ölbaum und <strong>die</strong> Zypresse, umeinan<strong>de</strong>r flüsternd, mit freundlichen<br />
Schatten #*98*#sich kühlen, wo <strong>die</strong> goldne Frucht <strong>de</strong>s Zitronenbaums aus dunklem Laube blinkt, wo <strong>die</strong><br />
schwellen<strong>de</strong> Traube mutwillig über <strong>de</strong>n Zaun wächst, und <strong>die</strong> reife Pomeranze, wie ein lächeln<strong>de</strong>r<br />
Fündling, im Wege liegt! ihr duften<strong>de</strong>n heimlichen Pfa<strong>de</strong>! ihr friedlichen Sitze, wo das Bild <strong>de</strong>s<br />
Myrtenstrauchs aus <strong>de</strong>r Quelle lächelt! euch werd’ ich nimmer vergessen.<br />
Diotima und ich gingen eine Weile unter <strong>de</strong>n herrlichen Bäumen umher, bis eine große heitere Stelle sich<br />
uns darbot.<br />
Hier setzten wir uns. Es war eine selige Stille+ unter uns. Mein Geist umschwebte <strong>die</strong> göttliche Gestalt <strong>de</strong>s<br />
Mädchens, wie eine Blume <strong>de</strong>r Schmetterling, und all mein Wesen erleichterte, vereinte sich in <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>r begeistern<strong>de</strong>n Betrachtung.<br />
Bist du schon wie<strong>de</strong>r getröstet, Leichtsinniger? sagte+ Diotima.<br />
Ja! ja! ich bin’s, erwi<strong>de</strong>rt’ ich. Was ich verloren wähnte, hab’ ich, wonach ich schmachtete, als wär’ es aus<br />
<strong>de</strong>r Welt verschwun<strong>de</strong>n, das ist vor mir. Nein, Diotima! noch ist <strong>die</strong> Quelle <strong>de</strong>r ewigen Schönheit nicht<br />
versiegt.<br />
Ich habe dir’s schon einmal gesagt+, ich brauche <strong>die</strong> Götter und <strong>die</strong> Menschen nicht mehr. Ich weiß, <strong>de</strong>r<br />
Himmel ist ausgestorben, entvölkert, und <strong>die</strong> Er<strong>de</strong>, <strong>die</strong> einst überfloss von schönem menschlichen Leben,<br />
ist fast, wie ein Ameisenhaufe, gewor<strong>de</strong>n. Aber noch gibt es eine Stelle, wo <strong>de</strong>r alte Himmel und <strong>die</strong> alte<br />
Er<strong>de</strong> mir lacht. Denn alle Götter <strong>de</strong>s Himmels und alle göttlichen Menschen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> vergess’ ich in dir.<br />
Was kümmert mich <strong>de</strong>r Schiffbruch <strong>de</strong>r Welt, ich weiß von nichts, als meiner seligen Insel.<br />
Es gibt eine Zeit <strong>de</strong>r Liebe, sagte+ Diotima mit freundlichem Ernste, wie es eine Zeit gibt, in <strong>de</strong>r<br />
glücklichen Wiege zu leben. Aber das Leben selber treibt uns heraus.<br />
Hyperion! – hier ergriff sie meine Hand mit Feuer, und ihre Stimme+ erhub mit Größe sich – Hyperion!<br />
mich <strong>de</strong>ucht, du bist zu höhern Dingen geboren. Verkenne dich #*99*#nicht! <strong>de</strong>r Mangel am Stoffe hielt<br />
dich zurück. Es ging nicht schnell genug. Das schlug dich nie<strong>de</strong>r. Wie <strong>die</strong> jungen Fechter, fielst du zu rasch<br />
aus, ehe noch <strong>de</strong>in Ziel gewiss und <strong>de</strong>ine Faust gewandt war, und weil du, wie natürlich, mehr getroffen<br />
wur<strong>de</strong>st, als du trafst, so wur<strong>de</strong>st du scheu und zweifeltest an dir und allem; <strong>de</strong>nn du bist so empfindlich,<br />
als du heftig bist. Aber dadurch ist nichts verloren. Wäre <strong>de</strong>in Gemüt und <strong>de</strong>ine Tätigkeit so frühe reif<br />
gewor<strong>de</strong>n, so wäre <strong>de</strong>in Geist nicht, was er ist; du wärst <strong>de</strong>r <strong>de</strong>nken<strong>de</strong> Mensch nicht, wärst du nicht <strong>de</strong>r<br />
lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r gären<strong>de</strong> Mensch gewesen. Glaube mir, du hättest nie das Gleichgewicht <strong>de</strong>r schönen<br />
Menschheit so rein erkannt, hättest du es nicht so sehr verloren gehabt. Dein Herz hat endlich Frie<strong>de</strong>n<br />
gefun<strong>de</strong>n. Ich will es glauben. Ich versteh’+ es. Aber <strong>de</strong>nkst du wirklich, dass du nun am En<strong>de</strong> seist? Willst<br />
du dich verschließen in <strong>de</strong>n Himmel <strong>de</strong>iner Liebe, und <strong>die</strong> Welt, <strong>die</strong> <strong>de</strong>iner bedürfte, verdorren und erkalten<br />
lassen unter dir? Du musst, wie <strong>de</strong>r Lichtstrahl, herab, wie <strong>de</strong>r allerfrischen<strong>de</strong> Regen, musst du nie<strong>de</strong>r ins<br />
Land <strong>de</strong>r Sterblichkeit, du musst erleuchten, wie Apoll, erschüttern, beleben, wie Jupiter, sonst bist du<br />
<strong>de</strong>ines Himmels nicht wert. Ich bitte dich, geh nach Athen hinein, noch Einmal, und siehe <strong>die</strong> Menschen<br />
auch an, <strong>die</strong> dort herumgehn unter <strong>de</strong>n Trümmern, <strong>die</strong> rohen Albaner und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>rn guten kindischen<br />
Griechen, <strong>die</strong> mit einem lustigen Tanze und einem heiligen Märchen sich trösten über <strong>die</strong> schmähliche<br />
Gewalt, <strong>die</strong> über ihnen lastet – kannst du sagen+, ich schäme mich <strong>die</strong>ses Stoffs? Ich meine, er wäre doch<br />
noch bildsam. Kannst du <strong>de</strong>in Herz abwen<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Bedürftigen? Sie sind nicht schlimm, sie haben dir<br />
nichts zulei<strong>de</strong> getan!<br />
Was kann ich für sie tun, rief+ ich.<br />
Gib ihnen, was du in dir hast, erwi<strong>de</strong>rte Diotima, gib –<br />
Kein Wort+, kein Wort+ mehr, große Seele! rief+ ich, du beugst mich sonst, es ist ja sonst, als hättest du<br />
mit Gewalt mich dazu gebracht –<br />
Sie wer<strong>de</strong>n nicht glücklicher sein, aber edler, nein! sie wer<strong>de</strong>n auch glücklicher sein. Sie müssen heraus, sie<br />
#*100*#müssen hervorgehn, wie <strong>die</strong> jungen Berge aus <strong>de</strong>r Meersflut, wenn ihr unterirdisches Feuer sie<br />
treibt.<br />
Zwar steh’ ich allein und trete ruhmlos unter sie. Doch Einer, <strong>de</strong>r ein Mensch ist, kann er nicht mehr, <strong>de</strong>nn<br />
Hun<strong>de</strong>rte, <strong>die</strong> nur Teile sind <strong>de</strong>s Menschen?<br />
Heilige Natur! du bist <strong>die</strong>selbe in und außer mir. Es muss so schwer nicht sein, was außer mir ist, zu<br />
vereinen mit <strong>de</strong>m Göttlichen in mir. Gelingt <strong>de</strong>r Biene doch ihr kleines Reich, warum sollte <strong>de</strong>nn ich nicht<br />
pflanzen können und baun, was not ist?<br />
Was? <strong>de</strong>r arabische Kaufmann säete seinen Koran aus, und es wuchs ein Volk von Schülern, wie ein<br />
unendlicher Wald, ihm auf, und <strong>de</strong>r Acker sollte nicht auch ge<strong>de</strong>ihn, wo <strong>die</strong> alte Wahrheit wie<strong>de</strong>rkehrt in<br />
neu lebendiger Jugend?<br />
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