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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Ich war voll Seufzens, da ich anfing, dir zu schreiben, mein Geliebter! Jetzt bin ich lauter Freu<strong>de</strong>. So<br />

spricht man über dir sich glücklich. Und siehe! so soll’s auch bleiben. Lebe wohl! (Schmidt, 1994: 123)<br />

Die Verben „sprechen“ und „schreiben“ wer<strong>de</strong>n hier offensichtlich synonym benutzt und be<strong>de</strong>uten<br />

einfach 'sprachlich kommunizieren'. Durch Sprache, egal ob gesprochen o<strong>de</strong>r geschrieben,<br />

kann <strong>die</strong> Gefühlslage eines Menschen wie z.B. hier Diotima verän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, so dass <strong>die</strong> Sprache<br />

sie vom Seufzen zur reinen Freu<strong>de</strong> bringen kann.<br />

Ich habe <strong>die</strong> Briefe erhalten, mein Hyperion, <strong>die</strong> du unterwegens mir schriebst. Du ergreifst mich gewaltig<br />

mit allem, was du mir sagst, und mitten in meiner Liebe schau<strong>de</strong>rt mich oft, <strong>de</strong>n sanften Jüngling, <strong>de</strong>r zu<br />

meinen Füßen geweint, in <strong>die</strong>ses rüstige Wesen verwan<strong>de</strong>lt zu sehn. (Schmidt, 1994: 128)<br />

Dies schreibt Diotima an Hyperion. Die Verben „schreiben“ und „sagen“ sind hier synonym.<br />

Diese sprachliche Tätigkeit hat eine große Wirkung auf Diotima, sie ist nämlich zutiefst ergriffen.<br />

Noch Einmal möcht’ ich wie<strong>de</strong>rkehren an <strong>de</strong>inen Busen, wo es auch wäre! Ätheraugen! Einmal noch mir<br />

wie<strong>de</strong>r begegnen in euch! an <strong>de</strong>inen Lippen hängen, du Liebliche! du Unaussprechliche! und in mich trinken<br />

<strong>de</strong>in entzückend heiligsüßes Leben – aber höre das nicht! ich bitte dich, achte das nicht! Ich wür<strong>de</strong> sagen,<br />

ich sei ein Verführer, wenn du es hörtest. Du kennst mich, du verstehst mich. Du weißt, wie tief du<br />

mich achtest, wenn du mich nicht bedauerst, mich nicht hörst.<br />

Ich kann, ich darf nicht mehr – wie mag <strong>de</strong>r Priester leben, wo sein Gott nicht mehr ist? O Genius meines<br />

Volks! o Seele Griechenlands! ich muss hinab, ich muss im Totenreiche dich suchen. (Schmidt, 1994: 134)<br />

Hyperion schreibt an Diotima und verabschie<strong>de</strong>t sich von ihr, <strong>de</strong>nn nach seiner militärischen<br />

Nie<strong>de</strong>rlage will er sich umbringen lassen, weil er auf <strong>de</strong>r Welt keinen Platz mehr für sich selbst<br />

fin<strong>de</strong>n kann. Er wünscht sich, sie noch einmal zu sehen, aber dann bittet er sie, ihn nicht zu hören,<br />

ihn nicht zu achten. Durch <strong>die</strong> Wie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>r Struktur wird nahegelegt, dass bei<strong>de</strong> Verben<br />

eine vergleichbare Be<strong>de</strong>utung haben. Das zweite „hören“ wird durch <strong>die</strong> Implikation <strong>de</strong>s Bedingungsatzes<br />

mit 'Verführtsein' gleichgesetzt. Das dritte „hören“ müsste wegen <strong>de</strong>r Strukturwie<strong>de</strong>rholung<br />

so viel wie 'bedauern' be<strong>de</strong>uten. Aus allen dreien lässt sich folgern, dass Hyperion<br />

glaubt, durch seine Worte so große Gefühlsregungen bei Diotima auslösen zu können.<br />

Es dämmerte mir wun<strong>de</strong>rbar in <strong>de</strong>r Seele bei seiner Re<strong>de</strong>. (Schmidt, 1994: 141)<br />

Alabanda macht Hyperion durch seine Re<strong>de</strong> Hoffnung auf ein künftiges Zusammenleben mit<br />

Diotima.<br />

Hab’ ich genug gesagt? entschei<strong>de</strong> nun mein Schicksal, teures Mädchen, und bald! – Es ist ein Glück, dass<br />

ich noch halb ein Kranker bin, von <strong>de</strong>r letzten Schlacht her, und dass ich noch aus meinem Dienste nicht<br />

entlassen bin; ich könnte sonst nicht bleiben, ich müsste selbst fort, müsste fragen, und das wäre nicht gut,<br />

das hieße dich bestürmen. (Schmidt, 1994: 147)<br />

Hyperion ist von <strong>de</strong>r Gewalttätigkeit enttäuscht, möchte <strong>die</strong> Welt nicht mehr verän<strong>de</strong>rn, möchte<br />

nur noch allein mit Diotima leben und glücklich sein. Er schreibt ihr und schlägt ihr vor, an einen<br />

abgelegenen Gebirgsort im Ausland zu ziehen. Ihre Antwort ist für das Schicksal bei<strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>nd.<br />

Er möchte sie aber nicht drängen, nicht bestürmen, und <strong>de</strong>swegen will er sie nicht allzu<br />

direkt fragen. „Das wäre nicht gut“. So mächtig kann <strong>die</strong> Sprache sein.<br />

Liebes Leben! ist <strong>de</strong>nn keine Heilkraft mehr für dich in mir? von allen Herzenslauten ruft dich keiner<br />

mehr zurück, ins menschliche Leben, wo du einst so lieblich mit gesenktem Fluge dich verweilt? (Schmidt,<br />

1994: 148)<br />

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