die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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1.2.3. Möglichkeiten und Grenzen <strong>de</strong>r literaturwissenschaftlichen<br />
Textanalyse<br />
Ziel <strong>de</strong>r linguistischen und literaturwissenschaftlichen Analyse, wie auch aller wissenschaftlichen<br />
Forschung im Allgemeinen, ist es, neue Erkenntnisse mit Gewissheit zu gewinnen. Diese<br />
Aufgabe scheint im Bereich <strong>de</strong>r Literaturanalyse jedoch nicht so einfach zu sein. Zu ein und<br />
<strong>de</strong>mselben Werk gibt es in <strong>de</strong>r Regel viele verschie<strong>de</strong>ne Interpretationen, <strong>die</strong> sich manchmal radikal<br />
wi<strong>de</strong>rsprechen. Deswegen hat man Mo<strong>de</strong>lle entwickeln müssen, <strong>die</strong> sich jeweils nach einer<br />
bestimmten Metho<strong>de</strong> auf einen einzigen Aspekt konzentrieren, <strong>de</strong>r als zentral dargestellt wird,<br />
während alle an<strong>de</strong>ren Faktoren ausgeklammert wer<strong>de</strong>n.<br />
So war für das „klassische Mo<strong>de</strong>ll“ <strong>de</strong>r Romantik und <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts <strong>die</strong> Absicht <strong>de</strong>s Sen<strong>de</strong>rs<br />
stets <strong>die</strong> oberste Instanz für <strong>die</strong> Interpretation 52 . Eric Donald Hirsch vertritt <strong>die</strong> gleiche Meinung<br />
und unterschei<strong>de</strong>t zwischen 'Be<strong>de</strong>utung', <strong>die</strong> textinhärent und konstant bleibt, und 'Signifikanz',<br />
<strong>die</strong> mit <strong>de</strong>n jeweils verschie<strong>de</strong>nen Auslegungsperspektiven und interessen variiert. Für<br />
<strong>de</strong>n Hermeneutiker HansGeorg Gadamer ist es nicht <strong>die</strong> Intention <strong>de</strong>s Autors, son<strong>de</strong>rn <strong>die</strong> von<br />
<strong>de</strong>r kulturellen Tradition festgelegte Auslegung <strong>de</strong>s literarischen Textes, was seine Be<strong>de</strong>utung<br />
ausmacht. Husserls transzen<strong>de</strong>ntale Phänomenologie hat hingegen das reale Objekt, <strong>die</strong> wirkliche<br />
Welt, ausgeklammert, um sich darauf zu konzentrieren, wie das Objekt im menschlichen<br />
Geist erfahren wird, während <strong>de</strong>r von Ferdinand <strong>de</strong> Saussure gegrün<strong>de</strong>te Strukturalismus etwas<br />
sehr Ähnliches tut, um sich auf <strong>die</strong> <strong>de</strong>m sprachlichen Zeichen zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Struktur konzentrieren<br />
zu können. Auch <strong>de</strong>r New Criticism konzentriert sich ausschließlich auf <strong>de</strong>n Text und<br />
löst ihn vom Leser, vom Autor und vom sozialen bzw. historischen Kontext los und bemüht sich<br />
um eine werk<strong>immanente</strong> – d.h. implizite – Interpretation ohne Bezug zu <strong>de</strong>n Kommunikationspartnern<br />
und <strong>de</strong>ren Lebenswelten 53 . An<strong>de</strong>rerseits wen<strong>de</strong>t sich beispielsweise Wolfgang Iser als<br />
Vertreter <strong>de</strong>r Rezeptionstheorie entschie<strong>de</strong>n zum Leser hin und verleiht ihm <strong>die</strong> Hauptrolle bei<br />
<strong>de</strong>r Erschließung <strong>de</strong>r literarischen Be<strong>de</strong>utung. Eicher und Wiemann bemerken, dass man <strong>de</strong>r<br />
textorientierten Rezeptionsästhetik Isers vorgeworfen hat, <strong>die</strong> Tatsache nicht zu berücksichtigen,<br />
dass sowohl <strong>die</strong> Produktion einen historischen und kulturellen Kontext hatte, <strong>de</strong>r sie bis zu einem<br />
gewissen Gra<strong>de</strong> bedingt hat, als auch <strong>die</strong> Rezeption, <strong>die</strong> sich immer wie<strong>de</strong>r je nach historischen<br />
und kulturellen Bedingungen erneuert. Die verschie<strong>de</strong>nen, im Laufe <strong>de</strong>r Zeit daraus hervorgegangenen<br />
Interpretationen sollen alle <strong>de</strong>mzufolge genauso gültig sein. Aber innerhalb eines Analyseverfahrens,<br />
das auf implizite Strukturen <strong>de</strong>r Texte und funktionale Kategorien <strong>de</strong>r Textkonstitution<br />
ausgerichtet ist, können <strong>die</strong> Kontexte von Produktion und Rezeption nur insofern Berücksichtigung<br />
fin<strong>de</strong>n, als <strong>die</strong> Texte selbst ihre Gebun<strong>de</strong>nheit an historische Konstellationen zum<br />
Ausdruck bringen 54 .<br />
All <strong>die</strong>se Argumente sind zwar nicht falsch, aber sie laufen Gefahr, davon auszugehen, es gebe<br />
nur einen einzigen, zu beachten<strong>de</strong>n Aspekt. Dabei wählt je<strong>de</strong>r einen an<strong>de</strong>ren Aspekt aus, um ihn<br />
als zentral hervorzuheben. Dennoch stellt es sich oft heraus, dass entwe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r jeweils gewählte<br />
Aspekt nicht <strong>de</strong>r wichtigste ist, o<strong>de</strong>r dass er alleine <strong>de</strong>r Sache nicht gerecht wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Schließlich birgt <strong>die</strong> Suche nach einer objektiven Analyse literarischer Werke augenscheinlich<br />
gravieren<strong>de</strong> Probleme, <strong>de</strong>nn sogar bei <strong>de</strong>r strengsten objektiven Analyse scheint es unmöglich,<br />
einen bestimmten Anteil von Interpretation – und folglich von Subjektivität – zu vermei<strong>de</strong>n.<br />
52<br />
Eagleton, 1988: verschafft uns einen guten Überblick über <strong>die</strong>se Diskussion: zum klassischen Mo<strong>de</strong>ll auf S. 96 f.,<br />
zu Hirsch auf S. 32, zu Gadamer auf S. 37 f., zum Strukturalismus auf S. 90, zum New Criticism auf S. 62, zu Iser<br />
auf S. 44 ff.<br />
53<br />
Nünning, 2001: 529.<br />
54<br />
Eicher u. Wiemann, 1996: 119.<br />
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