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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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sich erholen und Frie<strong>de</strong>n fin<strong>de</strong>n, als auch das Wort aufgeben, um wortlos und glücklich wie <strong>die</strong><br />

Götter zu wer<strong>de</strong>n und zu bleiben.<br />

Ich wollte nun aus Deutschland wie<strong>de</strong>r fort. Ich suchte unter <strong>die</strong>sem Volke nichts mehr, ich war genug gekränkt,<br />

von unerbittlichen Beleidigungen, wollte nicht, dass meine Seele vollends unter solchen Menschen<br />

sich verblute.<br />

Aber <strong>de</strong>r himmlische Frühling hielt mich auf; er war <strong>die</strong> einzige Freu<strong>de</strong>, <strong>die</strong> mir übrig war, er war ja meine<br />

letzte Liebe, wie konnt’ ich noch an andre Dinge <strong>de</strong>nken und das Land verlassen, wo auch er war?<br />

Bellarmin! Ich hatt’ es nie so ganz erfahren, jenes alte feste Schicksalswort, dass eine neue Seligkeit <strong>de</strong>m<br />

Herzen aufgeht, wenn es aushält und <strong>die</strong> Mitternacht <strong>de</strong>s Grams durchdul<strong>de</strong>t, und dass, wie Nachtigallgesang<br />

im Dunkeln, göttlich erst in tiefem Leid das Lebenslied <strong>de</strong>r Welt uns tönt. Denn, wie mit Genien,<br />

lebt’ ich jetzt mit <strong>de</strong>n blühen<strong>de</strong>n Bäumen, und <strong>die</strong> klaren Bäche, <strong>die</strong> darunter flossen, säuselten, wie Götterstimmen,<br />

mir <strong>de</strong>n Kummer aus <strong>de</strong>m Busen. Und so geschah mir überall, du Lieber! – wenn ich im Grase<br />

ruht’, und zartes Leben mich umgrünte, wenn ich hinauf, wo wild <strong>die</strong> Rose um <strong>de</strong>n Steinpfad wuchs, <strong>de</strong>n<br />

warmen Hügel ging, auch wenn ich <strong>de</strong>s Stroms Gesta<strong>de</strong>, <strong>die</strong> luftigen umschifft’ und alle <strong>die</strong> Inseln, <strong>die</strong> er<br />

zärtlich hegt. (Schmidt, 1994: 172)<br />

Das Kompositum „Lebenslied“ legt eher intuitiv als vernünftig nahe, dass das Wesen <strong>de</strong>s weltlichen<br />

Lebens wie ein göttliches Lied ist, das uns tönend erreicht und sagt, dass das Schicksal es<br />

doch nicht so grausam mit uns meint. Aus <strong>de</strong>m umgeben<strong>de</strong>n Kontext geht hervor, dass <strong>die</strong> Natur<br />

und <strong>die</strong> Götter Hyperion klar machen wollen, er soll <strong>die</strong> schlechten Zeiten aushalten, <strong>de</strong>nn dann<br />

kommt eine neue Seligkeit. Das „Schicksalswort“ ist „alt“, also seit langer Zeit bekannt. Es ist<br />

auch „fest“, hat sich also durch all <strong>die</strong> Zeiten nicht geän<strong>de</strong>rt, es ist beständig: Der „himmlische<br />

Frühling“ und seine Hoffnungsbotschaft bestehen seit jeher für <strong>die</strong> Menschen. Das Substantiv<br />

„Wort“ be<strong>de</strong>utet hier natürlich nicht nur etwas, das zwischen Leerstellen geschrieben wird, son<strong>de</strong>rn<br />

auch 'Ausdruck, Äußerung', also hier 'Spruch, Botschaft'. Der Sen<strong>de</strong>r sind <strong>die</strong> Götter, <strong>die</strong><br />

Natur, das Schicksal, <strong>de</strong>swegen wird es „Schicksalswort“ genannt. Aus <strong>die</strong>sem Grund kann man<br />

<strong>die</strong>sen Spruch als heilige Sprache erkennen. Es wird mit <strong>de</strong>r Musik verglichen und „Lied“ genannt,<br />

und das ist ein weiterer Grund, <strong>die</strong>se Art Sprache als heilig zu bezeichnen. Der Empfänger<br />

ist hier Hyperion, aber im Prinzip auch alle Menschen, <strong>die</strong> hören wollen. Wahrscheinlich bezieht<br />

sich Höl<strong>de</strong>rlin auf einen seit <strong>de</strong>r Antike bekannten Weisheitsspruch, <strong>de</strong>r <strong>die</strong>se Lebensweisheit<br />

enthält. Der tiefste Sinn <strong>de</strong>r Welt spiegelt sich <strong>de</strong>mnach in einem prägnanten Spruch wi<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r<br />

als Leitlinie angenommen wer<strong>de</strong>n kann und soll, um das eigene Leben bestmöglich zu führen.<br />

B.II.b.2. Sprache und Kommunikation<br />

B.II.b.2.1. Verlorene Sprache als Anzeichen entfrem<strong>de</strong>ter<br />

Existenz<br />

Ich lebte nun sehr still, sehr anspruchslos in Tina. Ich ließ auch wirklich <strong>die</strong> Erscheinungen <strong>de</strong>r Welt vorüberziehn,<br />

wie Nebel im Herbste, lachte manchmal auch mit nassen Augen über mein Herz, wenn es hinzuflog,<br />

um zu naschen, wie <strong>de</strong>r Vogel nach <strong>de</strong>r gemalten Traube, und blieb still und freundlich dabei.<br />

Ich ließ nun je<strong>de</strong>m gerne seine Meinung, seine Unart. Ich war bekehrt, ich wollte niemand mehr bekehren,<br />

nur war mir traurig, wenn ich sah, dass <strong>die</strong> Menschen glaubten, ich lasse darum ihr Possenspiel unangetastet,<br />

weil ich es so hoch und teuer achte, wie sie. (Schmidt, 1994: 49)<br />

Hyperion ist traurig und teilnahmslos, drückt seine Meinungen und Gefühle nicht aus, son<strong>de</strong>rn<br />

bleibt „still“, <strong>de</strong>nn er fühlt sich einsam, und er kommuniziert mit nieman<strong>de</strong>m, weil er überzeugt<br />

ist, niemand wür<strong>de</strong> ihn verstehen. Er fühlt sich wie ein Fremdling in einer Welt, zu <strong>de</strong>r er nicht<br />

passt.<br />

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