die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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gessenheit, für einen nicht mehr bewussten Umgang mit <strong>de</strong>r Natur steht. Er fliegt also in eine<br />
Sphäre, <strong>de</strong>r er nicht angehört, weil sie ihm fremd ist und fremd bleiben muss. Da fühlt er kaum<br />
einen Schmerz, und <strong>de</strong>shalb ist <strong>die</strong> Sprache für ihn kaum nötig und beinahe unmöglich. Aber er<br />
ist vom erkennen<strong>de</strong>n Subjekt zum erkenntnislosen Objekt heruntergekommen, hat sich vermessen,<br />
gehört nicht dazu, weshalb <strong>die</strong> Sonne ihn versengt und verdorren lässt, so dass er unfruchtbar<br />
und leer wird. Wie ein Zeichen ohne Be<strong>de</strong>utung.<br />
An<strong>de</strong>rerseits ist es auch wahr, dass <strong>die</strong> mystische Erfahrung – d.h. <strong>die</strong> höchste Erkenntnis <strong>de</strong>r<br />
Allnatur als einer Ganzheit – <strong>de</strong>n Menschen wortlos und sprachlos macht, wie es im Hyperion<br />
heißt:<br />
Wie bist du <strong>de</strong>nn so wortarm gewor<strong>de</strong>n? fragte mich einmal Alabanda mit Lächeln. In <strong>de</strong>n heißen Zonen,<br />
sagte ich, näher <strong>de</strong>r Sonne, singen ja auch <strong>die</strong> Vögel nicht. (Schmidt, 1994: 38)<br />
Wie ist ein solcher Wi<strong>de</strong>rspruch zu verstehen?<br />
Für Höl<strong>de</strong>rlin, ebenso wie für <strong>de</strong>n jungen Goethe 150 , ist <strong>die</strong> Natur stillschweigend beredt. So im<br />
Hyperion:<br />
Und all <strong>die</strong>s war <strong>die</strong> Sprache Eines Wohlseins, alles Eine Antwort auf <strong>die</strong> Liebkosungen <strong>de</strong>r entzücken<strong>de</strong>n<br />
Lüfte. (Schmidt, 1994: 59)<br />
Durch das Vorhan<strong>de</strong>nsein ihrer unzähligen und mannigfaltigen Erscheinungen spricht sie zu <strong>de</strong>n<br />
„gut gearteten Seelen“, wie es im Hyperion heißt 151 , und erzählt von ihrer höchsten und allumfassen<strong>de</strong>n<br />
Harmonie und vollkommenen Schönheit. Die Annäherung zur Sonne, <strong>die</strong> jetzt für das<br />
Unmittelbare, für das Göttliche steht, beruht für Höl<strong>de</strong>rlin auf <strong>die</strong>ser höchsten Erkenntnis, auf<br />
<strong>de</strong>m Bewusstsein, ein Teil <strong>de</strong>r Allnatur zu sein. Der gut geartete und empfindliche Mensch lei<strong>de</strong>t<br />
– so Höl<strong>de</strong>rlin – meistens sehr, hat Sprache und Erinnerung, aber von Zeit zu Zeit gelingt ihm<br />
eine vorübergehen<strong>de</strong> Ekstase, ein beruhigen<strong>de</strong>s und befriedigen<strong>de</strong>s – obwohl nur zeitweiliges –<br />
Gefühl <strong>de</strong>r Auflösung in <strong>de</strong>r Ganzheit. Diese kurze Annäherung zum bewussten Unmittelbaren,<br />
zur göttlichen Ganzheit, ist für ihn wie ein Zug frischer Luft o<strong>de</strong>r wie ein Heilbad, und während<br />
<strong>die</strong>se Annäherung stattfin<strong>de</strong>t, wird <strong>de</strong>r Mensch wortarm bzw. sogar wortlos.<br />
Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite – so Höl<strong>de</strong>rlin – leben <strong>die</strong> unbewussten Menschen stetig schmerzlos und<br />
<strong>de</strong>m unbewussten Unmittelbaren immer näher, was für sie schließlich <strong>de</strong>n Tod be<strong>de</strong>utet. Da sie<br />
<strong>de</strong>r Erkenntnis – d.h. ihrer Rolle in <strong>de</strong>r Natur – abgesagt haben, ist <strong>die</strong>se für sie fremd, sie haben<br />
an ihr nicht teil, sie tragen zur Harmonie <strong>de</strong>r Ganzheit nicht bei. Sie gehören nicht zu <strong>de</strong>n Erscheinungen,<br />
<strong>die</strong> stillschweigend sprechen. Auch in <strong>die</strong>sem Sinne sind sie sprachlos.<br />
Sprachlos ist man folglich entwe<strong>de</strong>r, weil man <strong>die</strong> heilige Sprache noch nicht verstan<strong>de</strong>n hat und<br />
beschränkt wie ein Tier bzw. wie ein Materialist ist, o<strong>de</strong>r weil man gera<strong>de</strong> durch <strong>die</strong> heilige<br />
Sprache das Beschränktheitsbewusstsein überwun<strong>de</strong>n hat und sich im unaussprechlichen Zustand<br />
<strong>de</strong>r himmlischen Seligkeit befin<strong>de</strong>t. Entwe<strong>de</strong>r vermag man noch keinen Nutzen aus <strong>de</strong>r Sprache<br />
zu ziehen, o<strong>de</strong>r sie ist überflüssig gewor<strong>de</strong>n, so untauglich sie ist, das Göttliche zu beschreiben.<br />
Für Höl<strong>de</strong>rlin gibt es nun zwei gegensätzliche Weisen, <strong>de</strong>n ersehnten Frie<strong>de</strong>n, das ersehnte<br />
Glück, mitten in <strong>de</strong>r Natur zu sein, <strong>de</strong>n ersehnten Zustand <strong>de</strong>r Zugehörigkeit, <strong>de</strong>r mit Sprachlosigkeit<br />
einhergeht, zu genießen: entwe<strong>de</strong>r dadurch, dass <strong>de</strong>r Mensch unbewusst und primitiv wie<br />
150<br />
Mendoza Casp, 2000: 301 f.<br />
151<br />
Schmidt, 1994: 168, 12.<br />
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