die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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Ein „Künstler“ ist hier für Hyperion jemand, <strong>de</strong>r eine reine Seele hat. Die Verben „rufen, sagen“<br />
leiten hier <strong>die</strong> direkte Re<strong>de</strong> ein. „Singen“ ist hier eine <strong>de</strong>r vielen alltäglichen Tätigkeiten, <strong>die</strong> Hyperion<br />
glücklich machten, so wie auch „jagen, ba<strong>de</strong>n, trinken“, welche zu einem Prototyp gehören,<br />
<strong>de</strong>r nichts mit <strong>de</strong>r Sprachauffassung zu tun hat. Seine „Lippen“ benutzte er zum Singen und<br />
dazu, Wein zu trinken. Das Adjektiv „still“ be<strong>de</strong>utet hier zuerst 'diskret, unbemerkt' und dann<br />
'bewegungslos, unbeweglich'. Das Verb „ruhen“ be<strong>de</strong>utet hier 'in Frie<strong>de</strong>n sein'. Das Verb „stillen“<br />
be<strong>de</strong>utet hier 'sich wie ein Säugling von <strong>de</strong>r Mutter Natur ernähren und sich beruhigen und<br />
friedlich wer<strong>de</strong>n'.<br />
Drum lässt auch keiner von <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn, sagte Alabanda.<br />
O ich habe dir ein schwer Bekenntnis abzulegen, sagt’ ich. Wirst du mir es glauben, dass ich fort gewollt?<br />
von dir! dass ich gewaltsam meinen Tod gesucht! war das nicht herzlos? rasend? ach und meine Diotima!<br />
sie soll mich lassen, schrieb ich ihr, und drauf noch einen Brief, <strong>de</strong>n Abend vor <strong>de</strong>r Schlacht – und da<br />
schriebst du, rief er, dass du in <strong>de</strong>r Schlacht <strong>de</strong>in En<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>n wolltest? o Hyperion! Doch hat sie wohl <strong>de</strong>n<br />
letzten Brief noch nicht. Du musst nur eilen, ihr zu schreiben, dass du lebst.<br />
Bester Alabanda! rief ich, das ist Trost!<br />
[...]<br />
Und <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn Brief, wo vom Entsagen <strong>die</strong> Re<strong>de</strong> war, versteht, vergibt <strong>die</strong> gute Seele dir leicht, setzt’ er<br />
hinzu.<br />
Vergibt sie? rief ich; o ihr Hoffnungen alle! ja! wenn ich noch glücklich mit <strong>de</strong>m Engel wür<strong>de</strong>!<br />
Noch wirst du glücklich sein, rief Alabanda<br />
[...]<br />
Einige Augenblicke darauf, da ich eben an Diotima schreiben wollte, trat Alabanda freudig wie<strong>de</strong>r ins Zimmer.<br />
Ein Brief, Hyperion! rief er; ich schrak zusammen und flog hinzu.<br />
Wie lange, schrieb Diotima, musst’ ich leben ohne ein Zeichen von dir! Du schriebst mir von <strong>de</strong>m Schicksalstage<br />
in Misistra und ich antwortete schnell; doch allem nach erhieltst du meinen Brief nicht. Du<br />
schriebst mir bald darauf wie<strong>de</strong>r, kurz und düster, und sagtest mir, du seiest gesonnen, auf <strong>die</strong> russische<br />
Flotte zu gehn; ich antwortete wie<strong>de</strong>r; doch auch <strong>die</strong>sen Brief erhieltst du nicht; nun harrt’ auch ich vergebens,<br />
vom Mai bis jetzt zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Sommers, bis vor einigen Tagen <strong>de</strong>r Brief kommt, <strong>de</strong>r mir sagt, ich<br />
möchte dir entsagen, Lieber!<br />
[...]<br />
Ich wusste es bald; ich konnte dir nicht Alles sein. Konnt’ ich <strong>die</strong> Ban<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sterblichkeit dir lösen? konnt’<br />
ich <strong>die</strong> Flamme <strong>de</strong>r Brust dir stillen, für <strong>die</strong> kein Quell fleußt und kein Weinstock wächst? konnt’ ich <strong>die</strong><br />
Freu<strong>de</strong>n einer Welt in einer Schale dir reichen?<br />
[...]<br />
Wem einmal, so, wie dir, <strong>die</strong> ganze Seele beleidiget war, <strong>de</strong>r ruht nicht mehr in einzelner Freu<strong>de</strong>, wer so,<br />
wie du, das fa<strong>de</strong> Nichts gefühlt, erheitert in höchstem Geiste sich nur, wer so <strong>de</strong>n Tod erfuhr, wie du, erholt<br />
allein sich unter <strong>de</strong>n Göttern.<br />
Glücklich sind sie alle, <strong>die</strong> dich nicht verstehen! Wer dich versteht, muss <strong>de</strong>ine Größe teilen und <strong>de</strong>ine<br />
Verzweiflung. (Schmidt, 1994: 141 f.)<br />
Die Verben „rufen, schreiben, sagen“ leiten hier <strong>die</strong> direkte bzw. indirekte Re<strong>de</strong> ein. Das Verb<br />
„ruhen“ ist hier synonym für 'sich erholen'. Das Verb „stillen“ be<strong>de</strong>utet hier 'beruhigen, eindämmen'.<br />
Das Verb „verstehen“ be<strong>de</strong>utet hier zuerst 'gutheißen, einwilligen', dann in <strong>de</strong>n letzten bei<strong>de</strong>n<br />
Verwendungen 'begreifen, auffassen' und hat in keinem Fall direkt mit sprachlicher Kommunikation<br />
zu tun.<br />
Zu wem so laut das Schicksal spricht, <strong>de</strong>r darf auch lauter sprechen mit <strong>de</strong>m Schicksal, sagt’ ich mir<br />
[...]<br />
Den Ernst <strong>de</strong>r Alten gewann in <strong>de</strong>iner Schule <strong>de</strong>r Genius unserer Jünglinge bald, und seine vergänglichen<br />
Spiele wur<strong>de</strong>n unsterblich, <strong>de</strong>nn er schämte sich, hielt für Gefangenschaft <strong>de</strong>n Schmetterlingsflug. –<br />
Dem hätt’, ein Ross zu lenken, genügt; nun ist er ein Feldherr. Allzu genügsam hätte <strong>de</strong>r ein eitel Liedchen<br />
gesungen; nun ist er ein Künstler. (Schmidt, 1994: 143)<br />
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