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die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València

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Das Verb „flüstern“ be<strong>de</strong>utet 'leise sprechen bzw. sagen' und präsupponiert als Subjekt einen<br />

Menschen. Dies impliziert, dass <strong>die</strong> Bäume personifiziert sind. Wenn Hyperion es erzählt, dann<br />

höchstwahrscheinlich <strong>de</strong>shalb, weil er selbst das Flüstern gehört hat und als Sprache <strong>de</strong>r Natur<br />

ge<strong>de</strong>utet hat. Man könnte meinen, es han<strong>de</strong>lt sich lediglich um eine Metapher, wobei das „Flüstern“<br />

ähnlich klingt wie das Summen <strong>de</strong>s Win<strong>de</strong>s im Laub. Aber <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong> Kontext schreibt<br />

das Adverb „mutwillig“ <strong>de</strong>r „Traube“ zu, und vergleicht <strong>die</strong> „Pomeranze“ mit einem „lächeln<strong>de</strong>n<br />

Fündling“. Dies alles sind Personifizierungen. Dazu kommt <strong>die</strong> Tatsache, dass Höl<strong>de</strong>rlin <strong>die</strong> Natur<br />

als das eigentliche und einzige Leben, als <strong>die</strong> eigentliche und einzige Gottheit auffasst, so<br />

dass alle Naturerscheinungen eine Sprache <strong>de</strong>r Natur ausmachen, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Menschen anspricht.<br />

Du fragst nach Menschen, Natur? Du klagst, wie ein Saitenspiel, worauf <strong>de</strong>s Zufalls Bru<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r Wind, nur<br />

spielt, weil <strong>de</strong>r Künstler, <strong>de</strong>r es ordnete, gestorben ist? Sie wer<strong>de</strong>n kommen, <strong>de</strong>ine Menschen, Natur! Ein<br />

verjüngtes Volk wird dich auch wie<strong>de</strong>r verjüngen, und du wirst wer<strong>de</strong>n, wie seine Braut und <strong>de</strong>r alte Bund<br />

<strong>de</strong>r Geister wird sich erneuen mit dir.<br />

Es wird nur Eine Schönheit sein; und Menschheit und Natur wird sich vereinen in Eine allumfassen<strong>de</strong> Gottheit.<br />

(Schmidt, 1994: 101)<br />

Hyperion nimmt wahr, dass <strong>die</strong> Natur „fragt“ und „klagt“. Diese zwei Verben präsupponieren als<br />

Subjekt einen Menschen. Daraus folgt, dass <strong>die</strong> Natur hier personifiziert wird und eine menschenähnliche<br />

– o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st für einige Menschen verständliche – Sprache benutzt. Später<br />

wer<strong>de</strong>n sich <strong>die</strong> Menschheit und und Natur vereinen, meint Hyperion. Der „Künstler“ ist <strong>de</strong>rjenige,<br />

<strong>de</strong>r das Saitenspiel ordnete, aber er ist jetzt tot. Wenn <strong>die</strong> Sprache <strong>de</strong>r Natur mit einem Saitenspiel<br />

verglichen wird, dann ist <strong>de</strong>r Künstler, <strong>de</strong>r es ordnete, wohl <strong>de</strong>r Schöpfer <strong>de</strong>r Welt, <strong>de</strong>r<br />

seiner Schöpfung ihre innewohnen<strong>de</strong> Harmonie verlieh.<br />

Und das himmlische Licht rann lauter vom offenen Himmel, durch alle Zweige lächelte <strong>die</strong> heilige Sonne,<br />

<strong>die</strong> gütige, <strong>die</strong> ich niemals nenne ohne Freu<strong>de</strong> und Dank, <strong>die</strong> oft in tiefem Lei<strong>de</strong> mit einem Blicke mich geheilt,<br />

und von <strong>de</strong>m Unmut und <strong>de</strong>n Sorgen meine Seele gereinigt. (Schmidt, 1994: 105)<br />

Offenbar ist für Hyperion <strong>die</strong> Sonne heilig und personifiziert, eine Gottheit also, <strong>die</strong> er nur mit<br />

Ehrfurcht und Verehrung nennt, weil er sich mit ihr eng verbun<strong>de</strong>n fühlt, so dass er keine an<strong>de</strong>re<br />

als <strong>die</strong> heilige Sprache benutzt, um mit ihr umzugehen.<br />

O ich möchte mit dir, rief Diotima mir zu.<br />

Es ist auch gut, dass du bleibst, Diotima! sagt’ ich. Die Priesterin darf aus <strong>de</strong>m Tempel nicht gehen. Du<br />

bewahrst <strong>die</strong> heilige Flamme, du bewahrst im Stillen das Schöne, dass ich es wie<strong>de</strong>rfin<strong>de</strong> bei dir. (Schmidt,<br />

1994: 112)<br />

Die Pristerin soll <strong>de</strong>n Kommunikationskanal mit <strong>de</strong>r Gottheit bewahren, damit <strong>de</strong>r Kontakt aufrechterhalten<br />

bleibt. Sie hat in <strong>die</strong>sem Fall sonst nichts zu vermitteln, <strong>de</strong>shalb tut sie ihre Arbeit<br />

„im Stillen“.<br />

Ach! rief ich, mir ist’s brennend heiß im Herzen, und ihr steht alle so kalt, ihr Lieben! und nur <strong>die</strong> Götter<br />

<strong>de</strong>s Hauses neigen ihr Ohr? – Diotima! – du bist stille, du siehst nicht! – o wohl dir, dass du nicht siehst!<br />

(Schmidt, 1994: 113 f.)<br />

Das „Ohr“ wird als Kommunikationsorgan aufgefasst. In einer so extremen Situation, wo allen<br />

Menschen <strong>die</strong> Sprache versagt, weil Hyperion sich verabschie<strong>de</strong>t und in <strong>de</strong>n Krieg zieht, sind <strong>die</strong><br />

Hausgötter als Einzige noch immer bereit, mit Hyperion zu kommunizieren.<br />

In hol<strong>de</strong>r Februarluft hab’ ich Leben gesammelt und bringe das Gesammelte dir. Es hat auch mir noch wohl<br />

getan, das frische Erwarmen <strong>de</strong>s Himmels, noch hab’ ich sie mitgefühlt, <strong>die</strong> neue Wonne <strong>de</strong>r Pflanzenwelt,<br />

<strong>de</strong>r reinen, immer gleichen, wo alles trauert und sich wie<strong>de</strong>r freut zu seiner Zeit.<br />

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