die immanente sprachauffassung - Roderic - Universitat de València
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Du brauchst Entschuldigung, sagt’ ich mit verän<strong>de</strong>rter Stimme, und sah mit Stolz ihn an, entschuldige<br />
dich! reinige dich!<br />
Das war zuviel für ihn.<br />
Wie kommt es <strong>de</strong>nn, rief er entrüstet, dass <strong>die</strong>ser Mensch mich beugen soll, wie’s ihm gefällt? – Es ist auch<br />
wahr, ich war zu früh entlassen aus <strong>de</strong>r Schule, ich hatte alle Ketten geschleift und alle zerrissen, nur Eine<br />
fehlte noch, nur eine war noch zu zerbrechen, ich war noch nicht gezüchtiget von einem Grillenfänger –<br />
murre nur! ich habe lange genug geschwiegen! (Schmidt, 1994: 45)<br />
Hyperion hat gera<strong>de</strong> <strong>die</strong> finsteren Freun<strong>de</strong> Alabandas kennengelernt und ist entsetzt. Diesbezüglich<br />
hat Alabanda ihn tief enttäuscht, und <strong>de</strong>swegen haben sich seine Gefühle für Alabanda verän<strong>de</strong>rt,<br />
was man an seiner Stimme merken kann. Lange hat Alabanda sich <strong>die</strong> Vorwürfe angehört,<br />
ohne sich zu verteidigen, d.h. ohne <strong>de</strong>n Mund aufzumachen. Aber endlich bricht es aus ihm<br />
heraus und er bringt seine Empörung sprachlich zum Ausdruck.<br />
So dacht’ ich. Ärgerst du dich daran, mein Bellarmin! Du wirst noch an<strong>de</strong>re Dinge hören.<br />
[...]<br />
Kannst du es hören, wirst du es begreifen, wenn ich dir von meiner langen kranken Trauer sage?<br />
[...]<br />
Ja! ja! es ist recht sehr leicht, glücklich, ruhig zu sein mit seichtem Herzen und eingeschränktem Geiste.<br />
Gönnen kann man’s euch; wer ereifert sich <strong>de</strong>nn, dass <strong>die</strong> bretterne Scheibe nicht wehklagt, wenn <strong>de</strong>r Pfeil<br />
sie trifft, und dass <strong>de</strong>r hohle Topf so dumpf klingt, wenn ihn einer an <strong>die</strong> Wand wirft? (Schmidt, 1994: 48)<br />
Hyperion hat gera<strong>de</strong> über seine Gedanken und Gefühle geschrieben. Das erste „Hören“ impliziert<br />
hier, dass Bellarmin Empfänger weiterer Kommunikationsvorgänge sein wird, in <strong>die</strong>sem<br />
Fall also einfach 'lesen'. Auf <strong>die</strong>selbe Weise steht das zweite „hören“ für 'lesen', so wie „sagen“<br />
für 'schreiben'. Das „Wehklagen“ ist <strong>die</strong> übliche Weise, <strong>de</strong>m eigenen Schmerz durch Sprache<br />
Ausdruck zu verleihen, so dass an<strong>de</strong>re Leute daran teilhaben können.<br />
Ich grüßte meinen Freund mit wun<strong>de</strong>rbarer Zärtlichkeit. (Schmidt, 1994: 58)<br />
Aus <strong>de</strong>m Kontext kann nicht ein<strong>de</strong>utig festgestellt wer<strong>de</strong>n, ob <strong>de</strong>r Gruß gestisch o<strong>de</strong>r sprachlich<br />
stattfand. Angenommen, er wur<strong>de</strong> sprachlich geäußert, dann drückte Hyperion dadurch wun<strong>de</strong>rbare<br />
Zärtlichkeit aus.<br />
Man hörte selten ein ›wie schön!‹ aus ihrem Mun<strong>de</strong>, wenn schon das fromme Herz kein lispelnd Blatt,<br />
kein Rieseln einer Quelle unbehorcht ließ.<br />
[...]<br />
Es ist wohl uns zuliebe so! sagt’ ich, ungefähr, wie Kin<strong>de</strong>r etwas sagen, we<strong>de</strong>r im Scherze noch im Ernste.<br />
Ich kann mir <strong>de</strong>nken, was du sagst<br />
[...]<br />
Ich vertraue, fuhr sie fort, hierinnen <strong>de</strong>r Natur, so wie ich täglich ihr vertraue.<br />
O ich hätte mögen Diotima sein, da sie <strong>die</strong>s sagte! Aber du weißt nicht, was sie sagte, mein Bellarmin! Du<br />
hast es nicht gesehn und nicht gehört. (Schmidt, 1994: 67)<br />
Man kann mit <strong>de</strong>m Mund sowohl Geräusche als auch sprachliche Zeichen hervorbringen. Mit<br />
<strong>de</strong>m Ohr kann man sowohl <strong>die</strong> einen als auch <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren hören. Da kann man Sprache nicht immer<br />
präsupponieren. Wenn das direkte Objekt bei<strong>de</strong>r ein sprachlicher Ausdruck ist, dann wird<br />
aber schon präsupponiert, dass es kein Geräusch war, das gehört o<strong>de</strong>r überhört, gesagt o<strong>de</strong>r verschwiegen<br />
wur<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn sprachliche Zeichen, <strong>die</strong> in <strong>die</strong>sem Fall Gefühle vermitteln sollen.<br />
Das „Sagen“ ist hier das sprachliche Mittel, wodurch Hyperion und Diotima ihre Gefühle austauschen:<br />
eine natürliche Sprache, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r spontanen Sprache <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r ähnelt und erhabene Auffassungen<br />
beschreiben kann.<br />
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