Anwendungshinweise zum Aufenthaltsgesetz - Pro Asyl
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60.7.1.3 Bei der Prüfung ist die Sperrwirkung des Absatzes 7 Satz 2 (vgl. Nummer<br />
60.7.2) zu berücksichtigen, wonach Gefahren wie z.B. ein allgemein schlechteres<br />
Niveau des Gesundheitssystems als in Deutschland, denen die Bevölkerung<br />
oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, im Zielstaat<br />
allgemein ausgesetzt ist, allein bei einer Entscheidung der obersten Landesbehörde<br />
nach § 60a Abs. 1 Satz 1 berücksichtigt werden dürfen. Diese Sperrwirkung<br />
bei allgemeinen, also nicht allein individuellen, personenbezogenen Gesundheitsfragen<br />
(z.B. hohe Säuglingssterblichkeit, Malariarisiko, nicht aber<br />
individuelle Erkrankung wie etwa PTBS) besteht nach der Rechtsprechung nur<br />
dann ausnahmsweise nicht, wenn wegen fehlender Anordnung nach § 60a<br />
Abs. 1 Satz 1 die vorgesehene Abschiebung den betroffenen Ausländer in eine<br />
extreme Gefahrenlage bringen würde. Als extrem ist eine Gefahrenlage dann<br />
zu beschreiben, wenn eine Abschiebung etwa bedeuten würde, einen Ausländer<br />
in der konkret gegebenen Situation einer notwendigen und laufenden Behandlung<br />
der Erkrankung in Deutschland zu entziehen und ihn im Heimatland<br />
wegen der Verhältnisse dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einem Risiko<br />
von Tod oder schwersten Verletzungen auszusetzen. Die Prüfung von Risiken<br />
für den Einzelnen kann sich damit nur auf individuell-konkrete Gefahren beziehen.<br />
60.7.1.4 Die in § 59 Abs. 4 festgelegte Verpflichtung bzw. eröffnete Möglichkeit, in bestimmten<br />
Fällen Umstände, die einer Abschiebung entgegenstehen könnten,<br />
unberücksichtigt zu lassen, kann bei verfassungskonformer Auslegung für Fälle<br />
schwerster Gesundheitsgefährdung bis hin zur Lebensgefahr keine Anwendung<br />
finden. Es obliegt aber den Betroffenen, durch ein ärztliches Attest oder<br />
eine ärztliche Stellungnahme des behandelnden Arztes die bestehenden<br />
Erkrankungen, die ein Abschiebungshindernis oder ein Vollstreckungshindernis<br />
darstellen könnten, zur Überzeugung der Ausländerbehörde zu belegen. Welche<br />
Anforderungen an derartige Bescheinigungen zu stellen sind, ergibt sich<br />
zunächst aus der Art der geltend gemachten Erkrankung. Akute körperliche<br />
Erkrankungen wie z.B. eine Infektionskrankheit bei Kindern, eine kurz bevorstehende<br />
Operation oder Zustand nach einer durchgeführten Operation können<br />
ohne weiteren Aufwand durch ein Attest des behandelnden Arztes bescheinigt<br />
werden und bedürfen in der Regel keiner weiteren Überprüfung, solange<br />
mit ihnen lediglich ein vorübergehendes Vollstreckungshindernis geltend<br />
gemacht wird. Atteste und Stellungnahmen zu psychischen Erkrankungen<br />
(PTBS, Depressionen und Suizidgefahr) sollen vielfach sowohl Reiseunfähigkeit<br />
als Vollstreckungshindernis als auch ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis<br />
belegen. Häufig handelt es sich dabei um Fälle, in denen –<br />
auch und gerade bei Geltendmachung einer PTBS – diese Umstände erstmals<br />
kurz vor einer bevorstehenden Abschiebung vorgetragen werden (vgl. Nummer<br />
58.0.8.4.3).<br />
60.7.1.5 Es ist aus psychologischer Sicht nicht ausgeschlossen, dass ein Ausländer<br />
erst unter dem Druck einer aktuell bevorstehenden Abschiebung in der Lage<br />
ist, über seine Traumatisierung und die zugrunde liegenden Umstände zu sprechen.<br />
Dann muss versucht werden, mit der gebotenen Sensibilität im Rahmen<br />
der Sachverhaltsaufklärung auch die Frage zu klären, warum die Traumatisierung<br />
bislang nicht vorgetragen wurde. Insoweit ist für die Entscheidungserheblichkeit<br />
ärztlicher Atteste oder Stellungnahmen deren inhaltliche Nachvollziehbarkeit,<br />
also eine Glaubwürdigkeitsprüfung, von wesentlicher Bedeutung. Sodann<br />
wird zu prüfen sein, ob im Falle der Rückführung ins Herkunftsland die<br />
Gefahr einer wesentlichen oder lebensbedrohlichen Gesundheitsbeeinträchtigung<br />
besteht, wobei eine Abgrenzung <strong>zum</strong> allein durch den Abschiebungsvorgang<br />
verursachten Vollstreckungshindernis vorgenommen werden muss.<br />
Vorläufige Niedersächsische Verwaltungsvorschrift <strong>zum</strong> <strong>Aufenthaltsgesetz</strong> vom 31. März 2005