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Klassenbester in Deutsch oder Englisch? Nein danke – das passt ...

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G. Inhaltliche Schlussfolgerungen<br />

G.1. Pädagogisch-sozialpädagogische Schlussfolgerungen<br />

Geschlechtsrollenstereotype besitzen e<strong>in</strong>e außerordentlich profane Logik. Das macht es<br />

e<strong>in</strong>erseits leicht, sie tagtäglich e<strong>in</strong>zuhalten<strong>–</strong> und ermöglicht es andererseits ebenso gut, sie<br />

rasch zu entkräften. Beispiel: die elfjährige Suse aus der fünften Klasse, im<br />

Leitfaden<strong>in</strong>terview 337 danach befragt, ob Frauen und Männer die gleichen Berufe ausüben<br />

können:<br />

Suse: „Bei uns wollt’ e Mädchen Maurer<strong>in</strong> werden. Das f<strong>in</strong>d’ ich komisch. Na, ’n ganzen Tag<br />

off’m Gerüst stehen. … Na ja, der (Junge) kann <strong>das</strong> eben besser als wir Mädchen <strong>oder</strong><br />

Frauen. Die (Mädchen) ham ni so viel Ausdauer.“<br />

Interviewer<strong>in</strong>: „Ist <strong>das</strong> bei euch <strong>in</strong> Sport auch so, <strong>das</strong>s die Mädchen weniger Ausdauer<br />

haben?“<br />

Suse: „Nö.- Na, bei Frauen, die s<strong>in</strong>d eben, die machen die Nägel so schön lackier’n und so<br />

und hohe Schuhe tragen, und da würd’ ich eben denken, <strong>das</strong> wär’ ni so für Frauen.“<br />

Interviewer<strong>in</strong>: „Und wenn sich die Frauen bloß nach der Arbeit hohe Schuhe anzieh’n und nur<br />

für abends die Nägel lackier’n- würde’s dann geh’n, <strong>oder</strong> auch nicht?“<br />

Suse: „Ja, dann geht’s, dann würden se ’s bestimmt machen.“<br />

Tatsächlich s<strong>in</strong>d re<strong>in</strong> ideologische Barrieren, die der Erwägung e<strong>in</strong>er<br />

„geschlechtsuntypischen“ Berufsausübung entgegenstehen, argumentativ schnell <strong>in</strong>s Wanken<br />

zu br<strong>in</strong>gen. Aber, wie es so lakonisch heißt: Alles hat se<strong>in</strong>e Zeit. Im konkreten<br />

Zusammenhang mit der Berufsf<strong>in</strong>dung von Jugendlichen bedeutet dies, <strong>das</strong>s für <strong>das</strong> E<strong>in</strong>setzen<br />

der schulischen Berufsorientierung gewiss ke<strong>in</strong> Zeitpunkt ungünstiger gewählt se<strong>in</strong> kann als<br />

-wie bisher praktiziert- die Pubertät und frühe Adoleszenz, wo die Suche nach e<strong>in</strong>er<br />

geschlechtlichen Identität bzw. <strong>das</strong> Bemühen um deren Stabilisierung exakt mit der Phase der<br />

Ausbildungs- und Studienwahlentscheidung <strong>in</strong>terferieren, welche ja eben nicht durch<br />

kollektive Ausrichtung an berufsfeldbezogenen kulturellen Normen für die beiden sozialen<br />

Großgruppen der Frauen und Männer bestimmt se<strong>in</strong> soll, sondern vielmehr durch <strong>das</strong> jeweils<br />

<strong>in</strong>dividuelle Begabungs- und Neigungsprofil. „Was Hänschen und Gretchen nicht lernen,<br />

lernen Hans und Grete nimmermehr.“ <strong>–</strong> diese altbekannte B<strong>in</strong>senweisheit (deren Erwähnung<br />

an dieser Stelle wegen ihrer Banalität <strong>in</strong> der Aussage fast e<strong>in</strong> wenig pe<strong>in</strong>lich wirken muss,<br />

aber dennoch nicht unterbleiben kann, um sie von ihrem recht unerquicklichen Status als<br />

ignorierte Profanweisheit entb<strong>in</strong>den zu können), diese B<strong>in</strong>senweisheit also gilt es, <strong>in</strong> den<br />

schulischen Alltag zu <strong>in</strong>tegrieren. Wie? Nun, <strong>in</strong>dem sich die Schule als Sozialisations<strong>in</strong>stanz<br />

zu e<strong>in</strong>em Lehr- und Lernraum von Androgynie entwickelt, der <strong>das</strong> Thema Berufe und<br />

kontextverwandte Themata (wie Fach<strong>in</strong>teresse, Fachkompetenz, körperliche Eignung,<br />

berufsfeldrelevantes Sozialverhalten) nicht erst „kurz vor Toresschluss“ anbietet, sondern<br />

kont<strong>in</strong>uierlich über die gesamte Schulzeit h<strong>in</strong>weg aufgreift.<br />

Die Ause<strong>in</strong>andersetzung der Menschheit mit Androgynie weist <strong>in</strong> unserer abendländischen<br />

Kultur e<strong>in</strong>e ebenso lange Tradition wie <strong>das</strong> organisierte höhere Schulwesen selbst auf. War<br />

sie doch schon <strong>in</strong> „…den athenischen…Vorstellungen über die Mischung und Vere<strong>in</strong>barkeit<br />

von männlichen und weiblichen Anteilen…“ präsent 338 , wie die Semantik beweist, nach der<br />

die griechischen Begriffe „andropos“ (Mann) und „gynaika“ (Frau) im Wort „Androgynie“<br />

zur Beidgeschlechtlichkeit mite<strong>in</strong>ander verschmolzen wurden (Hervé, Ste<strong>in</strong>mann, Wurms<br />

337 Bittner, Marietta: Koedukativer Anspruch und ko<strong>in</strong>struktive Wirklichkeit. Diplomarbeit am Institut für<br />

Sozialpädagogik und Sozialarbeit der TU Dresden, 1997, S. 268<br />

338 Duby, Georges/ Perrot, Michelle (Hg.): Geschichte der Frauen. Band 1: Antike. Schmitt-Pantel, Paul<strong>in</strong>e<br />

(Hg.), Fischer Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1997, S. 12<br />

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