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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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und Klerus im Mittelalter ernähren und schmücken sollen? Wie hätten Musiker, Maler oder Bildhauer<br />

leben, wie hätten Pyramiden und Kathedralen errichtet werden können? Was das kapitalistische<br />

Mehrprodukt, den Mehrwert, vom Mehrprodukt anderer Produktionsweisen unterscheidet,<br />

sagt M., ist die Form, <strong>in</strong> der dieser Mehrwert produziert und angeignet wird. 303 Diese<br />

Form ist eben das Kapitalverhältnis, kürzer gesagt: das Kapital selbst, dessen e<strong>in</strong>deutige Signatur<br />

die massenweise Anwendung der Lohnarbeit ist.<br />

Was sich unseren Augen als Kapital darbietet, s<strong>in</strong>d Geldmengen, Aktien, Anlagen und Masch<strong>in</strong>en,<br />

dazwischen Menschen, bisweilen <strong>in</strong> großen Werkhallen vor lauter Technik kaum noch zu<br />

sehen... Es sche<strong>in</strong>t, als wohne der stofflichen Gestalt des Kapitals selbst die geheimnisvolle Kraft<br />

zur Verwertung <strong>in</strong>ne, der es gel<strong>in</strong>gt, aus Kostenbewusstse<strong>in</strong>, Organisation, Mitarbeiterführung<br />

und Technik, also alle<strong>in</strong> durch die Regie des Kapitals, den Mehrwert zu erzielen. Wir sehen das<br />

anders, obwohl wir ke<strong>in</strong>en Augenblick die Bedeutung dieser Punkte bestreiten. Schließlich s<strong>in</strong>d<br />

diejenigen, die da Kosten und Qualität kontrollieren, die organisieren und motivieren, die die<br />

Technik entwickeln, konstruieren und bauen, mit denen andere dann arbeiten, allesamt Glieder<br />

des produktiven, weil Mehrwert produzierenden Gesamtarbeiters. Aber wodurch gel<strong>in</strong>gt die<br />

Aneignung des Mehrwerts? Er wird gesellschaftlich, <strong>in</strong> der Verb<strong>in</strong>dung <strong>von</strong> Millionen Menschen<br />

produziert, aber dennoch den Interessen e<strong>in</strong>er längst außerhalb der Produktionssphäre lebenden<br />

Klasse voll und ganz unterworfen. M.s Mehrwerttheorie legt diesen Kern offen:<br />

"Aller Mehrwert, <strong>in</strong> welcher besondern Gestalt <strong>von</strong> Profit, Z<strong>in</strong>s, Rente usw. er sich später kristallisiere,<br />

ist se<strong>in</strong>er Substanz nach Materiatur 304 unbezahlter Arbeitszeit. <strong>Das</strong> Geheimnis <strong>von</strong> der<br />

Selbstverwertung des Kapitals löst sich auf <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Verfügung über e<strong>in</strong> bestimmtes Quantum<br />

unbezahlter fremder Arbeit." 305<br />

Wenn wir mit M. die lebendige Arbeitskraft als Quelle aller Werte und daher auch des Mehrwerts<br />

bezeichnen, ist das vilelleicht für e<strong>in</strong>ige Leser neu. Aber es ist beileibe nicht Neues. Für die<br />

feudale Ökonomie würde niemand der Behauptung widersprechen, dass e<strong>in</strong> Burgherr nur essen<br />

konnte, was zuvor durch bäuerliche Arbeit hervorgebracht wurde. Doch die konsequente Anwendung<br />

dieser B<strong>in</strong>senweisheit auf das Kapitalverhältnis erzeugt Mißmut und Unruhe auf <strong>in</strong>teressierter<br />

Seite. Warum?<br />

Für die feudale Ökonomie sche<strong>in</strong>t die Sache klar zu se<strong>in</strong>: Dort erfolgt die Aneignung des Mehrprodukts<br />

durch den Grundbesitzer. Bei aller Berufung auf Tradition und göttliche Ordnung erfolgt<br />

sie letztlich durch Gewaltmittel: Man nimmt e<strong>in</strong>en <strong>Teil</strong> der Produktion weg. In der kapitalistischen<br />

Produktionsweise liegt <strong>in</strong> der Lohnarbeit der ganze Trick. Denn wo die "Quelle aller Werte",<br />

die menschliche Arbeit, als Lohnarbeit angewendet wird, sche<strong>in</strong>t doch alles mit rechten<br />

D<strong>in</strong>gen zuzugehen. Niemandem muß etwas durch Gewaltandrohung fortgenommen werden.<br />

Jeder bekommt, was ihm als juristisch gleichberechtigtem <strong>Teil</strong>nehmer des Marktes zusteht. Wen<br />

<strong>in</strong>teressiert da noch die Frage nach der Quelle der Werte? Die rückt <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund.<br />

Man beschäftigt sich stattdessen mit Corporate Identity, Good Governance, Market<strong>in</strong>ganalysen,<br />

Mitarbeiterschulung, Bilanzpressekonferenzen... und schafft so die wichtigen Kanäle, auf denen<br />

sich der Mehrwert <strong>von</strong> der Quelle fortbewegt. Und siehe da: Es gibt ihn plötzlich nur noch als<br />

Betriebsergebnis, Bilanzgew<strong>in</strong>n, Cashflow, Dividende, Kreditz<strong>in</strong>sen, Managerbonus... Was Wunder,<br />

wenn am Ende sogar das Drumherum, die kapitalistische Inszenierung des Ganzen, als eigentliche<br />

Quelle des Mehrwerts ersche<strong>in</strong>t. 306<br />

Plötzlich gibt es sche<strong>in</strong>bar neue Wahrheiten: <strong>Das</strong>s nämlich unter diesen Bed<strong>in</strong>gungen die Arbeitskraft<br />

offensichtlich nur deshalb arbeiten kann, weil der Kapitalist ihr etwas zu arbeiten gibt.<br />

Weil Masch<strong>in</strong>en und Rohstoffe und alles Drumherum vom Kapitalisten bereitgestellt werden.<br />

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