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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Im Kapitel zum sogenannten Warenfetischismus untersucht M., welche Erkenntnisgrenzen die<br />

ökonomischen Verhältnisse ihren Akteuren setzen. Nicht, weil diese Akteure dumm oder beschränkt<br />

s<strong>in</strong>d, sondern weil sie Akteure <strong>in</strong>nerhalb dieser Verhältnisse s<strong>in</strong>d. 501 Innerhalb dieser<br />

Verhältnisse s<strong>in</strong>d zweifellos brilliante gesellschaftswissenschaftliche Leistungen möglich. Aber<br />

um die durch die Verhältnisse gesetzten Grenzen zu überschreiten, muß man e<strong>in</strong>en Standpunkt<br />

außerhalb der Verhältnisse e<strong>in</strong>nehmen, muß das System als Ganzes "wie <strong>von</strong> außen" betrachten.<br />

Wer das "Kapital" liest, kann ke<strong>in</strong>en Zweifel haben, wo M.s Sympathien liegen: Ohne Zweifel<br />

auf Seiten der Frauen und K<strong>in</strong>der, die <strong>in</strong> den Manufakturen und Fabriken körperlich und seelisch<br />

verbraucht wurden. Gewiß auf Seiten der Fabrikarbeiter und Bergleute, <strong>von</strong> denen tausende an<br />

den Masch<strong>in</strong>en und <strong>in</strong> den Gruben ihr Leben und ihre Gesundheit verloren. <strong>E<strong>in</strong>e</strong> marxistische<br />

Analyse ohne diese grundsätzliche Parte<strong>in</strong>ahme wäre nicht nur schwer vorstellbar. Es käme e<strong>in</strong>em<br />

Verzicht auf wichtige Fragen gleich. Da s<strong>in</strong>d wir wieder bei der "Parteilichkeit".<br />

Mag man jährlich bei der Bundesagentur für Arbeit auch e<strong>in</strong>ige tausend wissenschaftliche Arbeiten<br />

über Vermittlungschancen <strong>von</strong> Arbeitslosen, sozialpsychologische Faktoren der Dauerarbeitslosigkeit,<br />

regionale Unterschiede der Arbeitsmärkte usw. publizieren. Diese Wissenschaft ist nur<br />

Maskerade. Hat man sich erst mal darauf gee<strong>in</strong>igt, Arbeitslosigkeit als "soziales Problem" und<br />

Untersuchungen darüber als querfelde<strong>in</strong> Analyse <strong>von</strong> <strong>in</strong>dividuellen Merkmalen zu betreiben, ist<br />

die Forschung auch schon am Ende. Man wirft wöchentlich sehr wissenschaftlich kl<strong>in</strong>gende Forschungsberichte<br />

auf den Markt; e<strong>in</strong>e Menge Statistik sichert den Anspruch auf Objektivität und<br />

wertneutrale Forschung und Wissenschaftlichkeit. 502 Aber Arbeitslosigkeit selbst wird für natürlich<br />

gehalten, für e<strong>in</strong>e Art unvermeidlicher sozialer Ausleseprozess, der sich der Analyse über die<br />

<strong>in</strong>dividuellen Merkmale der Betroffenen erschließt.<br />

Unqualifizierte Arbeitnehmer s<strong>in</strong>d besonders betroffen? Dann müßt ihr euch eben qualifizieren.<br />

Gesundheitlich e<strong>in</strong>geschränkte Personen s<strong>in</strong>d besonders betroffen? Dann müßt ihr eben fitter<br />

werden. Besonders ältere Menschen s<strong>in</strong>d betroffen? Dann müßt ihr eben jünger werden...<br />

Selbst wenn es <strong>in</strong> der Macht der Betroffenen läge, diesen sche<strong>in</strong>bar wissenschaftlich begründeten<br />

Anforderungen zu entsprechen: Es würde doch nur die Konkurrenz um die vorhandenen<br />

Arbeitsplätze anheizen, aber ke<strong>in</strong>e neuen schaffen und daher auch die Arbeitslosigkeit nicht<br />

m<strong>in</strong>dern. Womit wir wieder bei der Treue zum System wären.<br />

Die Wissenschaftler, die <strong>in</strong> solche Forschungen verwickelt s<strong>in</strong>d, verlieren jedes Gespür für die kritischen<br />

Fragen, ohne die e<strong>in</strong> Blick h<strong>in</strong>ter die Kulissen e<strong>in</strong>er Produktionsweise, <strong>in</strong> deren Verhältnissen<br />

man selber lebt, nun e<strong>in</strong>mal nicht möglich ist. Wissenschaftler, die sich bereitwillig nur vor<br />

den Kulissen tummeln, hören irgendwann auf, Wissenschaftler zu se<strong>in</strong>. Für die werden kritische<br />

Fragen schon zu subversiven Fragen. Lieber werden sie zu Datenerhebungstechnikern und<br />

Statistikprogammanwendungsspezialisten.<br />

1<strong>1.</strong> Was gehört außer dem "großen Kopf" noch zu e<strong>in</strong>er großen Entdeckung?<br />

Natürlich gehört e<strong>in</strong> bestimmter gesellschaftlicher Entwicklungsstand dazu. E<strong>in</strong> Werk wie das<br />

"Kapital" wäre 50 Jahre früher noch nicht möglich gewesen; und vermutlich auch nicht im<br />

mexicanischen Exil. Ganz sicher gehört e<strong>in</strong> Menge Arbeit dazu: "99% Transpiration, 1% Inspiration".<br />

Und im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich gehört die Unabhängigkeit dazu. Als Systemdiener<br />

hätte M. se<strong>in</strong>e Erkenntnisse wohl kaum gew<strong>in</strong>nen können. Und nicht zu vergessen<br />

die Grundausstattung: Umfassende Kenntnisse der Geschichte, politische Erfahrungen (auch am<br />

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