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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Volkswirtschaft: "Standen früher Anlagestrategen und Analysten an vorderster Front, um Investoren,<br />

Top-Kunden und Journalisten ihre Empfehlungen für das kommende Jahr zu präsentieren,<br />

so führen sie diesmal e<strong>in</strong> Schattendase<strong>in</strong>. Stattdessen dom<strong>in</strong>ieren diejenigen, die sonst wegen<br />

ihrer als trocken und manchmal gar praxisfern verschrieenen Materie im H<strong>in</strong>tergrund standen."<br />

Auch die Akteure der F<strong>in</strong>anzkrise teilen sche<strong>in</strong>bar unsere Ablehnung der Volkswirtschaftslehre.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs geht es denen wohl nicht um Wissenschaft. Die wünschen sich nur eben e<strong>in</strong>e Lehre,<br />

die ihnen traumwandlerisch sicheren Zugang zu den Renditequellen weist. Und wenn schon<br />

nicht das, ihnen wenigstens rechtzeitig e<strong>in</strong>e Warnung zuruft und dann <strong>in</strong> der Lage ist, den Krisenschaden<br />

zu reparieren.<br />

Doch für die Volkswirte kommt es noch knüppeldicker. E<strong>in</strong>ige Krisenmonate später steht ihre<br />

"Lehre" endgültig da, wo sie h<strong>in</strong>gehört: Im Regen nämlich aus Spott und Hohn der eigenen<br />

Klassenbrüder und Auftraggeber. Beispielhaft die Vorwürfe der neoliberalen Neuen Zürcher Zeitung<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Grundsatzbeitrag der Redaktion vom 1<strong>1.</strong>4.2009:<br />

Die Vorwürfe betreffen erstens den "vom Zeitgeist geprägten, überzogenen Optimismus" und<br />

es heißt: "Dieser naive Zukunftsglaube liess viele die unvermeidliche Zyklizität, ja Krisenanfälligkeit<br />

jeder Volkswirtschaft vergessen." Holla, im Angesicht der Weltwirtschaftskrise macht Leugnen<br />

wirklich ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n. Also wird (entgegen früheren Verlautbarungen) die These vom krisenfreien<br />

Kapitalismus den Zeitgeistfolgern untergeschoben. Und mit weltmännischem Augenzw<strong>in</strong>kern<br />

tut man selber so, als seien zyklische Krisen das normalste <strong>von</strong> der Welt – wie tägliches<br />

Zähneputzen.<br />

Der zweite Vorwurf betrifft "die übertriebene Betonung der an sich durchaus hilfreichen Mathematik<br />

und der Modelle". Im Schatten der Krise werden plötzlich die Anhänger des freien<br />

Marktes (der ja auch nur e<strong>in</strong> Modell ist) zu methodologischen Skeptikern: "Je raff<strong>in</strong>ierter die<br />

Formeln wurden... desto mehr g<strong>in</strong>g der zugrundeliegende ökonomische Sachverhalt verloren: Je<br />

genauer die Ergebnisse wurden, desto irrelevanter wurden sie zugleich." Mit der Forderung<br />

nach e<strong>in</strong>em "Denken <strong>in</strong> Ordnungen, das nicht an e<strong>in</strong>e präzise Vorhersagbarkeit und Steuerbarkeit<br />

der Wirtschaft glaubt", wird der "Blick fürs Ganze" gefordert.<br />

Der dritte Vorwurf betrifft die Zergliederung der ökonomischen Wissenschaften. Und siehe da:<br />

Besonders wird die "Vernachlässigung der Geschichte" hervorgehoben: "Manchmal wünschte<br />

man sich sogar, die historische Schule der Nationalökonomie komme trotz all ihren methodischen<br />

Defekten wieder etwas mehr zu Ehren, weil sie dem Denken <strong>in</strong> gesellschaftlichen Gesamtzusammenhängen<br />

verpflichtet ist." Was? Neoliberales Sehnen nach M. und Konsorten? Trotz<br />

"der methodischen Defekte" wie Mehrwerttheorie und Fall der Profitrate? Dann muß es wirklich<br />

übel aussehen.<br />

Der vierte Vorwurf gilt der "Tendenz, die Ökonomie re<strong>in</strong> technokratisch zu betreiben." <strong>Das</strong> ist<br />

geschickt, um die Rolle der echten Neoliberalen <strong>in</strong>s rechte Licht zu rücken: "Gerade nicht die<br />

angeblichen Marktideologen, sondern vielmehr die ökonomischen Technokraten, die an wertfreie<br />

Objektivität glauben und die Wirtschaftswissenschaften als blutleeres Instrument verstehen,<br />

haben nie die S<strong>in</strong>nfrage gestellt." S<strong>in</strong>nfrage? Der S<strong>in</strong>n des Ganzen besteht offenbar dar<strong>in</strong>, e<strong>in</strong><br />

tiefgreifende ideologische Krise durch Beschimpfung der anderen zu meistern. Die bürgerlichen<br />

Wirtschaftswissenschaften haben zu ke<strong>in</strong>em Zeitpunkt gehalten, was ihre Akteure den Auftraggebern<br />

und was die Auftraggeber sich selbst versprochen haben. Die Krise hat das nur mal wieder<br />

deutlich gemacht. Aber sie kommt dem neoliberalen Ma<strong>in</strong>stream gerade recht als Sündenbock.<br />

Also schließt der NZZ-Kommentar: "Die Krise der Wirtschaft ist deshalb auch die Krise ei-<br />

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