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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Jahren auf dem Rückzug und werden durch Fabrikbackwaren und Schnellbäckereien auf Basis zugelieferter Backl<strong>in</strong>ge<br />

verdrängt, die als <strong>in</strong>dustrielle Massenware kostengünstiger s<strong>in</strong>d.<br />

350 Wer sich mit den neuen Technologien rund ums Internet auskannte, konnte <strong>in</strong> den 1990er Jahren e<strong>in</strong> überdurchschnittliches<br />

Gehalt bekommen. Seitdem hat man e<strong>in</strong>e große Zahl solcher Fachleute produziert, die heute<br />

zu Dutzenden <strong>in</strong> Großraumbüros mit unsicheren Arbeitsverträgen für gar nicht mehr so tolle Gehälter ihren Job<br />

machen. Von Näher<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fabrik unterscheiden sie sich nur <strong>in</strong> drei D<strong>in</strong>gen: Vor ihnen steht e<strong>in</strong> PC und<br />

ke<strong>in</strong>e Nähmasch<strong>in</strong>e. Ihr E<strong>in</strong>kommen ist immer noch deutlich höher. Und sie träumen <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er großen Karriere,<br />

<strong>von</strong> der sie hoffen, sie hänge nur <strong>von</strong> ihrem Fleiß und ihrer E<strong>in</strong>satzbereitschaft ab. Alles <strong>in</strong> allem aber ist die Annäherung<br />

dieser sogenannten Zukunftsberufe an traditionelle Lohnarbeiten <strong>in</strong> nur wenigen Jahren frappierend.<br />

351 Die Autoren <strong>von</strong> Sozialpolitik und soziale Lage <strong>in</strong> Deutschland kommentieren ihre grafische Darstellung der<br />

Arbeitslosenzahlen für die letzten 30 Jahre so:<br />

"Die sozialökonomische Entwicklung <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland ist seit mehr als drei Jahrzehnten durch<br />

anhaltende Massenarbeitslosigkeit gekennzeichnet. Noch bis zur ersten Hälfte der 1950er Jahre belief sich die<br />

absolute Zahl der Arbeitslosen auf über e<strong>in</strong>e Mio. Personen. Die günstige Arbeitsmarktlage, <strong>in</strong> der weitgehend<br />

Vollbeschäftigung geherrscht hat, dauerte bis etwa zur Mitte der 1970er Jahre an. Sie wurde abgelöst durch e<strong>in</strong><br />

hohes und steigendes Maß an Unterbeschäftigung - e<strong>in</strong>e Entwicklung, die noch <strong>in</strong> den 1960er und 1970er Jahren<br />

unter dem E<strong>in</strong>druck hoher Wachstumsraten und knapper Arbeitskräfte für unmöglich gehalten wurde. Mit<br />

dem Wirtschaftse<strong>in</strong>bruch <strong>in</strong> Folge der ersten Ölpreiskrise 1974/75 wurde bei der Arbeitslosenzahl erstmals wieder<br />

die Millionengrenze überschritten. Die Arbeitslosigkeit konnte seit dieser Zeit zwar <strong>in</strong> konjunkturellen Aufschwungphasen<br />

abgebaut werden, doch der verbleibende Sockel stieg <strong>von</strong> Krise zur Krise an, so dass <strong>in</strong> Deutschland<br />

seit rund dreißig Jahren e<strong>in</strong>e hohe und überzyklisch steigende Arbeitslosigkeit besteht."<br />

Bäcker/Naegele/Bisp<strong>in</strong>ck/Hofemann/Neubauer: Sozialpolitik und soziale Lage <strong>in</strong> Deutschland. Band 1: Grundlagen,<br />

Arbeit, E<strong>in</strong>kommen und F<strong>in</strong>anzierung, S.481f; Opladen: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008<br />

352 <strong>E<strong>in</strong>e</strong> Hemdenfabrik läßt 300 Nähmasch<strong>in</strong>en zweischichtig rattern. Beliefert werden diese Arbeitsplätze durch<br />

100 Zuschneideplätze. Im H<strong>in</strong>tergrund wirken 40 Arbeiter, die Transport und Logistik, Buchhaltung und allgeme<strong>in</strong>e<br />

Verwaltung sicherstellen. <strong>Das</strong> s<strong>in</strong>d 840 Arbeitskräfte. <strong>E<strong>in</strong>e</strong> Erweiterung um weitere 300 Nähmasch<strong>in</strong>en erfordert<br />

weitere 100 Zuschneideplätze. <strong>Das</strong> wäre klassische extensive Akkumulation, mit der die Reserverarmee<br />

um 800 Arbeitskräfte entlastet wird. Aber weil die 40 Arbeiter im H<strong>in</strong>tergrund jetzt die Versorgung <strong>von</strong> 1600<br />

statt vormals 800 Arbeitsplätzen garantieren, steckt natürlich e<strong>in</strong> Element der Intensivierung dar<strong>in</strong>. Wenn aber im<br />

Zuge der Erweiterung der Zuschnitt auf computergesteuerte Technik umgestellt wird, wodurch die Versorgung<br />

<strong>von</strong> 600 zweischichtig genutzten Nähmasch<strong>in</strong>en durch <strong>in</strong>sgesamt 50 Zuschneider, 25 <strong>in</strong> jeder Schicht, gesichert<br />

wird, gew<strong>in</strong>nt die <strong>in</strong>tensive Akkumulation noch mehr an Gewicht. Und die <strong>in</strong>dustrielle Reservearmee wird <strong>in</strong>sgesamt<br />

nur um 450 Arbeitskräfte entlastet. Nehmen wir an, dass diese Restrukturierung ausnahmsweise darauf<br />

verzichtet, mit H<strong>in</strong>weis auf die Investitionen und die Sicherung der Arbeitsplätze pipapo gleichzeitig auch die Akkordsätze<br />

an den Nähmasch<strong>in</strong>en zu erhöhen. Dennoch s<strong>in</strong>d die Auswirkungen auf den Gesamtarbeiter ke<strong>in</strong>eswegs<br />

so günstig, wie es sche<strong>in</strong>t. Wenn nicht die Nachfrage nach Hemden ebenfalls auf das doppelte steigt, werden<br />

die neu geschaffenen Arbeitsplätzen <strong>in</strong> anderen Hemdenfabriken verloren gehen und der Reservearmee zugeführt.<br />

Durch das <strong>in</strong>tensive Element <strong>in</strong>nerhalb der extensiven Akkumulation wird sich die Reservearmee sogar<br />

um 150 Arbeitskräfte vermehren, nämlich um die durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität nicht mehr benötigten<br />

Arbeitskräfte. Vielleicht ist die Wirkung noch größer, wenn es gel<strong>in</strong>gt, auch an den Nähmasch<strong>in</strong>en durch<br />

sanften Druck den Ausstoß an Hemden zu steigern. Immerh<strong>in</strong> macht e<strong>in</strong>e simple Steigerung um 1% pro Nähmasch<strong>in</strong>e<br />

und Schicht schon weitere 12 Arbeitsplätze überflüssig - entweder hier oder <strong>in</strong> der Fabrik irgende<strong>in</strong>es<br />

Konkurrenten.<br />

353 <strong>Das</strong> s<strong>in</strong>d Krisen, die durch ungleichmäßige Akkumulation <strong>in</strong> <strong>von</strong>e<strong>in</strong>ander abhängigen Sektoren hervorgerufen<br />

oder durch technologische Neuerungen ausgelöst werden. Klassisches Beispiel: Der Ausbau des Eisenbahnsystems<br />

<strong>in</strong> den USA Mitte des 19. Jahrhunderts wurde durch das Privileg des Bodenraubs und die darauf basierende<br />

Grundstücksspekulation angetrieben. Die Gew<strong>in</strong>ne und die Akkumulationsraten lagen anfänglich hoch. Sehr viel<br />

höher als die Akkumulationsraten der Industrie und deren Expansion. Übermäßig viel Kapital strömte <strong>in</strong> die Eisenbahn-<br />

und Bodenspekulation, und der Bereich koppelte sich <strong>von</strong> der tatsächlichen Produktionsentwicklung<br />

ab.<br />

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