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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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man nicht gegen die Armen, sondern gegen die Armut zu Felde ziehen müsse." (Ludwig Börner, Briefe aus Paris;<br />

1832)<br />

260 Der 8-Stunden-Tag als Normalarbeitstag wurde erstmals 1866 durch die Internationale Arbeiterassoziation<br />

gefordert, deren Sekretariat M. angehörte. Danach dauerte es noch mehr als 50 Jahre. Erst die revolutionäre Krise<br />

nach dem <strong>1.</strong> Weltkrieg legte <strong>in</strong> vielen europäischen Ländern die Grundlage. So blieb uns <strong>von</strong> der Novemberrevolution<br />

1918 <strong>in</strong> Deutschland vielleicht nicht viel, immerh<strong>in</strong> aber das Gesetz über den 8-Stunden-Tag (e<strong>in</strong>er 6-<br />

Tage-Woche) und das gleiche Wahlrecht für Männer und Frauen. Die Verwirklichung des rechtlichen Anspruchs<br />

freilich dauerte noch wesentlich länger.<br />

261 MEW 23, S.316<br />

262 Dieser Kampf um die Länge des Arbeitstags ist ke<strong>in</strong>eswegs beendet. <strong>Das</strong> dürften viele Leser aus eigener Erfahrung<br />

wissen. Machtverhältnisse verändern sich. Waren es vor 30 Jahren noch die Gewerkschaften, die für <strong>Teil</strong>e<br />

der Arbeiterklasse e<strong>in</strong>e Verkürzung der Wochenarbeitszeit durchsetzen konnten, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den letzten Jahren die<br />

Unternehmer am Drücker. Es gel<strong>in</strong>gt ihnen <strong>in</strong> vielen Bereichen, Arbeitszeitverkürzungen wieder rückgängig zu<br />

machen, so wie <strong>in</strong> der Automobil<strong>in</strong>dustrie wieder <strong>von</strong> der 35- und 37-Stundenwoche zur 38,5 zurückgekehrt<br />

wurde; für große <strong>Teil</strong>e der Belegschaften wurde sogar e<strong>in</strong>e 42 Stundenwoche festgeschrieben, was nur die Richtung<br />

beschreibt, die das nehmen soll.<br />

Auch die Kürzung der Ansprüche auf Urlaub und Sonderurlaub, der durch angedrohte Entlassungen reduzierte<br />

Krankenstand ("aus Angst vor Entlassung gesund geworden"), die Streichung <strong>von</strong> Feiertagen... mit solchen<br />

Maßnahmen wird flächendeckend an der Ausweitung der Arbeitszeit gearbeitet.<br />

Vor allem bei der Reduzierung der Urlaubsansprüche gibt es offenbar noch Reserven, wie man gerne durch Rückgriff<br />

auf den japanischen Arbeitnehmer illustriert; über den lesen wir nämlich: "Im Durchschnitt nahmen die Arbeitnehmer<br />

nur 46 Prozent der ihnen pro Jahr zustehenden 17 Tage bezahlter Ferien." (NZZ 23.12.2008)<br />

263 Bei den Schwitzbuden geht es nicht nur um die sogenannte "Dritte Welt". Solche Schwitzbuden gibt es auch<br />

bei uns <strong>in</strong> Mengen. Wie sollen wir es nennen, wenn zehntausende Arbeitskräfte <strong>in</strong> Deutschland, meistens Frauen,<br />

zu ungünstigsten Arbeitszeiten und niedrigsten Löhnen den Krawattenträgern des Gesamtarbeiters die Büros<br />

und Klos säubern? Der durch Outsourc<strong>in</strong>g und andere Maßnahmen erzeugte Druck auf die Löhne ist längst bei<br />

uns angekommen und hat sich seit 15 Jahren <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Brückenkopf zu e<strong>in</strong>em akzeptierten Tarifbereich entwickelt,<br />

den auch kritische Gewerkschafter derzeit bestenfalls mit der Forderung nach e<strong>in</strong>em M<strong>in</strong>destlohn bekämpfen<br />

wollen.<br />

Die Entwicklung geht weiter: Durch zunehmende Leiharbeit werden <strong>in</strong> den Unternehmen die Lohnkosten gesenkt,<br />

tarifliche Vere<strong>in</strong>barungen unterlaufen und die Belegschaft <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger verdienende Leiharbeiter und Gelegenheitsarbeiter<br />

und besser verdienende Stammbelegschaft gespalten. Es gibt bereits Unternehmen, die eigene<br />

Leiharbeitsfirmen betreiben oder daran beteiligt s<strong>in</strong>d, um sich auf diesem Weg selber billige tariffreie Arbeitskräfte<br />

mit verlängerten Arbeitszeiten zuzuführen.<br />

Neben den Angriffen auf die <strong>in</strong> Tarifen fixierten Errungenschaften gibt es die tagtäglichen Sticheleien, die <strong>von</strong><br />

außen nicht sichtbaren, für die Betroffenen aber sehr wohl spürbaren Zumutungen. In den meisten Unternehmen<br />

wird stillschweigend viel mehr an E<strong>in</strong>satz erwartet, als im Arbeitsvertrag festgeschrieben ist. Zeitlich befristete<br />

Arbeitsverträge oder sogenannte <strong>in</strong>formelle Arbeitsverhältnisse wie Praktikantenstellen, Werkverträge und merkwürdige<br />

Probezeiten schaffen dafür die Grundlage. H<strong>in</strong>zu kommt der allgegenwärtige Druck durch ständige Drohungen<br />

des Managements mit Abbau <strong>von</strong> Arbeitsplätzen. Und ohne Frage haben wir es selbst auch den lange<br />

Jahre praktizierten automatischen Tarifrallys zu verdanken, wenn es heute kampferfahrene Belegschaften kaum<br />

mehr gibt.<br />

In der IT-Branche s<strong>in</strong>d unbezahlte Überstunden ("Mehrarbeitszeit") an der Tagesordnung. Schließlich will man<br />

doch Karriere machen... E<strong>in</strong>satzbereitschaft zeigen... Man macht das nicht wirklich freiwillig, denn man weiß,<br />

dass andernfalls der zeitlich befristete Arbeitsvertrag wohl kaum verlängert würde. Durch vielfältige Methoden,<br />

W<strong>in</strong>kelzüge und Kniffe s<strong>in</strong>d die Unternehmen dabei, noch mehr Arbeitszeit aus den Arbeitskräften herauszuholen<br />

und deren <strong>in</strong>dividuellen Widerstand zu brechen.<br />

Doch statt den durch Riesenerfolge seit mehr als 120 Jahren bewährten Weg des gewerkschaftlichen Widerstands<br />

zu gehen, geben sich viele Angehörige des Gesamtarbeiters damit zufrieden, ihren eigenen kle<strong>in</strong>en Kampf<br />

mit ihren eigenen kle<strong>in</strong>en Siegen zu führen: Da mal e<strong>in</strong> paar M<strong>in</strong>uten für sich rausholen, dort mal e<strong>in</strong>e Erkältung<br />

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