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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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viel energischer bemüht wären, diesen Traum zu verwirklichen. Man kann dabei e<strong>in</strong>e Menge<br />

über den Klassenkampf lernen.<br />

M. reitet so lange im <strong>1.</strong> Band des "Kapital" auf dem Mehrwert-Thema herum, weil unbed<strong>in</strong>gt<br />

deutlich werden soll, dass die Ausbeutung eben nicht aus der ungerechten Verteilung <strong>von</strong> Profiten<br />

und Löhnen resultiert, obwohl diese Verteilung nach allen uns bekannten moralischen Wertsystemen<br />

zweifellos ungerecht ist. Ausbeutung der Arbeitskraft ist für M. nicht deshalb Ausbeutung,<br />

weil zuwenig Lohn gezahlt wird. Und sie hört nicht auf, e<strong>in</strong> Interesse des Kapitalisten zu<br />

se<strong>in</strong>, wenn mehr Lohn gezahlt wird. Im Gegenteil... dann würde sogar die Verschärfung der<br />

Ausbeutung zu e<strong>in</strong>em neuen existentiellen Zwang.<br />

M. weist immer wieder darauf h<strong>in</strong>, dass es e<strong>in</strong>e exakte Berechnung des Lohns als Wert der Arbeitskraft<br />

gar nicht gibt. Deshalb ist ja auch die Forderung nach e<strong>in</strong>em "gerechten Lohn" ökonomisch<br />

absurd, wenn sie im Lohnkampf auch propagandistisch sehr wirksam ist. Denn die Forderung<br />

unterstellt, es gäbe e<strong>in</strong>e berechenbare Lohnhöhe, deren Zahlung am Ende für e<strong>in</strong>e Art<br />

Gleichstand zwischen Kapital und Arbeit und e<strong>in</strong> Ende der "Ausbeutung" sorgt.<br />

Auch wenn die Gewerkschaften e<strong>in</strong>e solche Stärke erreichen sollten, um die 30 Stunden Woche<br />

mit 20% Lohnerhöhung durchzusetzen, wäre das zwar e<strong>in</strong> schwerer Schlag gegen die Unternehmer<br />

und es würde sich die Verteilung des gesellschaftlichen Mehrwerts, zum<strong>in</strong>dest vorübergehend,<br />

klar verschieben und dafür der Klassenkampf erheblich verschärfen. Aber die Aneignung<br />

des Mehrwerts durch die Eigentümer des Kapitals, der Zwang zur ständigen Kapitalverwertung,<br />

die Orientierung auf Aktienkurse und Rendite: All das würde sich dadurch noch nicht ändern,<br />

weil ja das zugrunde liegende Kapitalverhältnis und die darauf sich gründenden Eigentumsverhältnisse<br />

fortbestehen. Sorry, aber wir werden später noch sehen, dass dieser "Zwang<br />

zur Verwertung" e<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Produktionsweise e<strong>in</strong>gebauter Mechanismus ist, der sozusagen ihr<br />

Herz darstellt. Wer daran rüttelt, stellt die "Wer-Wen" Frage und muß sich auf e<strong>in</strong>e Menge gefaßt<br />

machen; nicht nur auf Protestnoten des Unternehmerverbands und gehässige Wahlkampagnen.<br />

Auch wenn alle Kapitalisten und ihre Manager über Nacht durch göttliche E<strong>in</strong>gebung e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n<br />

für Gerechtigkeit entwickeln wie Salomon <strong>in</strong> Bestform: Würde sich die Ausrichtung der Produktion<br />

an den Profit<strong>in</strong>teressen der Kapitalisten dadurch ändern können? Vielleicht gäbe es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

solch fabulösen Lage mit plötzlich lauter ehrlichen, <strong>von</strong> ihren Gewissen geplagten Unternehmern<br />

und Managern schlagartig mehr Spenden, mehr Stiftungen, ke<strong>in</strong>e Steuerbetrüger und Bilanzfälscher<br />

mehr - kurioser Traum. Aber wie lange? Denn selbst göttliche E<strong>in</strong>gebung alle<strong>in</strong> würde<br />

nicht die kapitalistische Produktionsweise und ihre Zwangsgesetze der Verwertung aufheben. Im<br />

Gegenteil: Die Macht dieser Gesetze ist unerbittlich und sie wirken unabhängig vom Wollen und<br />

Wünschen der Akteure. Sie würden auch den durch göttliches Wunder jäh entstandenen Geme<strong>in</strong>s<strong>in</strong>n<br />

flugs wieder <strong>in</strong> das Reservat der frommen Sonntagsreden zurücktreiben.<br />

E<strong>in</strong>zelne Kapitalisten und Manager mögen ehrliche Menschen se<strong>in</strong> und viele s<strong>in</strong>d es auch. Als<br />

Gesellschaftsklasse, die da<strong>von</strong> lebt, sich <strong>in</strong> der gegenseitigen Konkurrenz die Butter vom Brot zu<br />

nehmen, wo der Gew<strong>in</strong>n des e<strong>in</strong>en der Verlust des anderen ist, f<strong>in</strong>det die Hoffnung auf moralische<br />

Besserung des Systems ke<strong>in</strong>e Basis.<br />

Deswegen s<strong>in</strong>d alle Versuche, e<strong>in</strong>en auf der Überzeugungsarbeit, auf missionarischer Bekehrung<br />

aufbauenden "christlichen" oder "islamischen" oder "ethischen Kapitalismus" oder dergleichen<br />

zu schaffen, zum Scheitern verurteilt - sofern sie überhaupt ernst geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d und nicht nur als<br />

Placebo bei kritischer Unruhe der öffentlichen Debatte verordnet werden. Sie s<strong>in</strong>d nicht deshalb<br />

zum Scheitern verurteilt, weil "der Mensch an sich" schlecht ist, sondern weil die kapitalistische<br />

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