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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Kapitalisten befähigte, die steigenden Ansprüche der Arbeiter niederzuschmettern, die das beg<strong>in</strong>nende Fabriksystem<br />

zur Krise zu treiben drohten. Man könnte e<strong>in</strong>e ganze Geschichte der Erf<strong>in</strong>dungen seit 1830 schreiben, die<br />

bloß als Kriegsmittel des Kapitals wider Arbeiteremeuten <strong>in</strong>s Leben traten." (MEW 23, S.459)<br />

293 Der Begriff Freisetzung für Entlassungen soll die Vorgänge nicht verniedlichen. Andererseits geht es uns an<br />

dieser Stelle auch nicht darum, e<strong>in</strong>fach aus unserer strukturellen Analyse <strong>in</strong> die Sozialpolitik der Gegenwart zu<br />

hüpfen und daraus e<strong>in</strong>en Sozialreport zu machen. Schon gar nicht geht es um alberne Sprachreglungen e<strong>in</strong>er<br />

politicial correctness.<br />

Wenn wir aktuelle Vorgänge e<strong>in</strong>beziehen, ist es für unsere <strong>Spurensuche</strong> viel wichtiger, sich klar zu machen, wie<br />

das Wechselspiel <strong>von</strong> Freisetzung und B<strong>in</strong>dung der Arbeitskräfte <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander verwoben ist und beständig um uns<br />

herum stattf<strong>in</strong>det, allerd<strong>in</strong>gs mit zyklisch wechselnder Intensität. Für die Jahre 1998 bis 2008 berechnet die Bundesagentur<br />

für Arbeit im Durchschnitt die E<strong>in</strong>stellung <strong>von</strong> 30.690 Arbeitskräften pro Arbeitstag. Dem stehen<br />

30.510 Entlassung pro Arbeitstag gegenüber. <strong>Das</strong> leichte Plus ist auf die Aufstiegsjahre 1997 bis 2000 und 2005<br />

bis 2008 zurückzuführen und wird derzeit <strong>von</strong> der Ende 2008 e<strong>in</strong>setzenden Wirtschaftskrise geschreddert.* Die<br />

Zahlen zeigen uns die Wechselwirkungen <strong>von</strong> Freisetzung und B<strong>in</strong>dung als normale Bewegungsform der wirtschaftlichen<br />

Entwicklung, deren Intensität <strong>Teil</strong> der zyklischen Bewegung ist. <strong>Das</strong> heißt: Auch der krisenhafte Abbau<br />

der Arbeitsplätze vollzieht sich immer noch im Wechselspiel <strong>von</strong> Freisetzung und B<strong>in</strong>dung <strong>von</strong> Arbeitskräften,<br />

nur dass <strong>in</strong> diesem Fall die Freisetzungen deutlich überwiegen.<br />

Man darf nicht übersehen, dass der "Aufschwung" bis 2008 zu mehr als e<strong>in</strong>em Viertel auf die Ausweitung der<br />

Leiharbeit zurückgeht. Zu etwa e<strong>in</strong>em Drittel s<strong>in</strong>d def<strong>in</strong>itorische Änderungen beteiligt, nach denen Personen<br />

schon ab e<strong>in</strong>er Stunde Arbeit pro Woche als beschäftigt gelten, sofern Sozialversicherung gezahlt wird. M<strong>in</strong>ijobs<br />

und ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse über- wiegen bei den "neuen" Arbeitsplätzen<br />

*Anmerkung 18 Monate später: Vertan, vertan... mit e<strong>in</strong>em politisch geschickten Zug, der die Kurzarbeiterregelung<br />

kurzerhand verlängerte und ausweitete,wurden bis zu 1,5 Mio. Beschäftigte zeitweilig <strong>in</strong> Kurzarbeit geschickt.<br />

Die kurzfristigen Erfolge dieser Maßnahme liegen auf der Hand: <strong>E<strong>in</strong>e</strong> im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich moderate<br />

Arbeitslosenrate <strong>von</strong> unter 8% und e<strong>in</strong>e flachere Rezession als <strong>in</strong> 2008 vorhergesagt. Die fortdauernde Beschäftigung<br />

der Kurzarbeiter, die <strong>von</strong> der Bundesagentur für Arbeit alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> 2009 mit 4,6 Mrd. Euro gestützt<br />

wurde, wirkt viel direkter und schneller auf die B<strong>in</strong>nennachfrage als alle Konjunkturprogramme. Aber mit der<br />

Kurzarbeiterregelung g<strong>in</strong>g es um mehr: Da wurde immer wieder die Absicht betont, den Unternehmen das Knowhow<br />

e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>gespielten Belegschaft zu erhalten, um auf dieser Grundlage besser und schneller als die <strong>in</strong>ternationale<br />

Konkurrenz aus den Startlöchern <strong>in</strong> den Aufschwung zu spr<strong>in</strong>ten. Ob sich solche strategischen Ziele <strong>in</strong> der<br />

kapitalistischen Konkurrenz so e<strong>in</strong>fach erreichen lassen? Wir werden sehen.<br />

294 Solange das Kapital durch Wissen und Erfahrung an den Arbeitsprozess gebunden ist, also zum Beispiel: Masch<strong>in</strong>en<br />

und Know how für Gußeisenprodukte besitzt, wird sich se<strong>in</strong>e Ausdehnung auch zunächst auf diese Sphäre<br />

der Produktion beschränken. Man wird versuchen, zusätzlich zu Gullydeckeln mit gußeisernen Haushaltsgeräten,<br />

Straßenlaternen usw. das Geschäft auszudehnen.<br />

Aber unserem Kapitalisten (und spätestens se<strong>in</strong>en Erben) geht es im Grunde nicht um Gußeisen. <strong>Das</strong> ist nur der<br />

Weg, der sich irgendwann e<strong>in</strong>mal auftat, um aus Geld noch mehr Geld zu machen. Man ahnt hier schon den<br />

großen und absurden Traum des Kapitals, sich <strong>von</strong> der stofflichen Basis der Mehrwertproduktion unabhängig zu<br />

machen. Diese erträumte Unabhängigkeit realisiert sich (sche<strong>in</strong>bar) im modernen F<strong>in</strong>anzkapital, das sich mal <strong>in</strong><br />

dieser, mal <strong>in</strong> jener Branche verwertet, den ganzen Globus als Aktionsraum nutzt, um sich dort anzulegen, wo<br />

kurzfristig beste Verwertung w<strong>in</strong>kt.<br />

Damit werden dem stofflich <strong>in</strong> der materiellen Produktion gebundenen Kapital neue Handlungsvorgaben gesetzt.<br />

Dieses fungierende Kapital, <strong>von</strong> den Akteuren des F<strong>in</strong>anzmarkts als Realwirtschaft tituliert, muss sich daher nicht<br />

nur <strong>in</strong> der Konkurrenz um Marktanteile, sondern auch <strong>in</strong> der Konkurrenz um das Wohlwollen des F<strong>in</strong>anzkapitals<br />

immer wieder bewähren. Die Orientierung auf das Wohlwollen jener om<strong>in</strong>ösen Investoren ist für Unternehmensmanager<br />

heute sogar zu e<strong>in</strong>er bestimmenden Größe geworden. Oder wie es der Manager e<strong>in</strong>er großen Wirtschaftsberatung<br />

formulierte: "Die Kapitalsammelstellen (= Private Equity und Hedge Fonds) geben heute <strong>in</strong> Unternehmen<br />

stärker den Ton an als das Management, das für die Produktion der realen Güter verantwortlich ist."<br />

Auch dieses Thema wird uns noch e<strong>in</strong>igen Stoff liefern.<br />

295 Wir nannten bereits für Großbritannien die Arbeit <strong>von</strong> Hobsbawm (1968a; 1968b) oder für Deutschland die<br />

ältere <strong>von</strong> Mottek (1957; 1964), die e<strong>in</strong>e gute Übersicht geben. Wer an den welthistorischen Dimensionen des<br />

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