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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Tatsächlich erfordert die Politische Ökonomie wie alle Wissenschaft e<strong>in</strong>e nüchterne Denkweise<br />

und e<strong>in</strong>e nachprüfbare Methode, vor allem aber stetige, unvore<strong>in</strong>genommene Analyse der wirklichen<br />

Bewegungen, gerade weil sie auf Veränderung ausgerichtet ist. Wenn's mehr nicht ist...<br />

M.s Politische Ökonomie berücksichtigt dabei immer, dass alle Erkenntnis über die Gesellschaft<br />

gesellschaftliche Erkenntnis ist. Erkenntnis wird durch Individuen vollzogen. Klar. Alles, was<br />

Menschen tun, muss zunächst durch ihren Kopf h<strong>in</strong>durch. Aber dort entsteht die Erkenntnis<br />

nicht. Erkenntnisse werden durch die gesellschaftliche Praxis hervorgebracht und dadurch erst<br />

erkennbar und kopffähig. <strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong> gewaltiger Unterschied zu allen Versuchen, den Gang der<br />

Geschichte durch urplötzlich auftauchende Ideen zu erklären. 53<br />

Zwischenfrage 11: Was gehört außer dem "großen Kopf" noch zu e<strong>in</strong>er großen Entdeckung? (S.171)<br />

"Denken" und "Entdecken" ist auch für M. nicht <strong>in</strong>dividualistische Ideenschmiede, sondern gesellschaftliche<br />

Produktion <strong>von</strong> Wissen und immer gebunden an gesellschaftliche Interessen. Wir<br />

kommen darauf im nächsten Kapitel zurück. M. sah sich als jemanden, der auf den Schultern<br />

se<strong>in</strong>er Vorgänger stehend, all die Erkenntnisse zusammenfasst und systematisiert, die <strong>in</strong> der Gesellschaft<br />

und durch die Gesellschaft im historischen Prozess der alltäglichen Praxis hervorgebracht<br />

worden s<strong>in</strong>d.<br />

Wer auf den Schultern se<strong>in</strong>er Vorgänger steht, sieht auch weiter, selbst wenn er nicht M.s Größe<br />

hat. Und wenn es uns gel<strong>in</strong>gt, auf M.s Schultern zu steigen, werden wir vielleicht erkennen,<br />

was M. noch nicht sehen konnte, und werden so auch zu e<strong>in</strong>em besseren Verständnis des heutigen<br />

Kapitalismus gelangen. Zum<strong>in</strong>dest erhoffen wir uns das.<br />

Die Wirklichkeit drängt zum Gedanken<br />

Jedem Entdecken liegt die gesellschaftliche Produktion <strong>von</strong> Wissen zugrunde. <strong>Das</strong> gilt auch für<br />

bedeutende Entdecker wie <strong>Marx</strong>. Sehen wir uns etwas genauer an, welche Umstände M. zu se<strong>in</strong>er<br />

Großtat befähigten.<br />

Es ist ke<strong>in</strong> Zufall, dass die entscheidenden Beiträge zur Politischen Ökonomie im 19. Jahrhundert<br />

aus England kamen. Dabei waren es drei sich allgeme<strong>in</strong> aufdrängende Fragen, mit denen die<br />

ökonomische Debatte seit dem 18. Jahrhundert konfrontiert wurde:<br />

Die erste Frage befaßt sich mit dem schnellen Wachstum <strong>von</strong> Produktion und Handel und den<br />

nicht m<strong>in</strong>der rasant wachsenden Vermögen der Fabrikanten, Händler und Geldgeber: Woher<br />

kommt dieser neue Reichtum der Nationen? 54<br />

Es gab zu M.s Zeit e<strong>in</strong>e Reihe mite<strong>in</strong>ander konkurrierender Erklärungen: Wichtig <strong>in</strong> der Frühphase<br />

war die Arbeitswertlehre, mit der bereits die Arbeit als Quelle des Reichtums erkannt wurde.<br />

<strong>Das</strong> ist auch M.s Ansatzpunkt. Andere, damit verbundene Erklärungen nannten den Boden oder<br />

die Industrie (im S<strong>in</strong>ne <strong>von</strong> neuer Produktionstechnik), die Kolonisierung oder die Tatkraft der<br />

Fabrikanten als Reichtumsquelle.<br />

Es gab auch schon nationalistische und rassistische Deutungen wie "englischer Erf<strong>in</strong>dungsreichtum"<br />

oder die "Überlegenheit des Europäers" oder "der weißen Rasse", die uns auch heute<br />

noch <strong>in</strong> gleicher Form begegnen, wenn etwa herablassend-bedauernd und bedeutungsschwer<br />

<strong>von</strong> der "afrikanischen Tragödie" die Rede ist. Solche Denkmuster f<strong>in</strong>den sich aber auch <strong>in</strong> den<br />

vergleichsweise biederen Dauerbrennern <strong>von</strong> der Art "deutscher Fleiß" oder "schweizer Präzision".<br />

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