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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Beispiel: Durch E<strong>in</strong>führung neuer Technologien steigen die Anforderungen an Qualifikation und Ausbildung der<br />

Arbeitskräfte. Je nach Verfügbarkeit werden die Löhne spürbar steigen; wenn sich das neue Qualifikationsniveau<br />

verbreitet, werden die Löhne wieder s<strong>in</strong>ken und sich dem neuen Wert der Arbeitskraft annähern. Gleichzeitig<br />

werden andere Arbeitskräfte durch solche wachsenden Anforderungen dequalifiziert, deren Löhne sogar unter<br />

den Wert s<strong>in</strong>ken können. E<strong>in</strong> anderes Beispiel: Durch veränderte Siedlungsstrukturen, vermittelt durch die Gesetze<br />

des Immobilienmarktes, nehmen die Entfernungen zwischen Produktionsstätten und Wohnorten zu. Da s<strong>in</strong>d<br />

Fahrrad oder Moped oder PKW nicht nur e<strong>in</strong>e gute Lösung, sondern auch e<strong>in</strong>e neue Verwertungssphäre. Sobald<br />

die Sicherstellung <strong>in</strong>dividueller Mobilität zu e<strong>in</strong>em systemischen Faktor und der PKW-Besitz damit sogar zum kulturellen<br />

Standard wird, nimmt das entsprechenden E<strong>in</strong>fluß auf die Lohnentwicklung.<br />

<strong>Das</strong> im zweiten Beispiel genannte Fahrrad ist nicht als Beitrag zum Umweltschutz gedacht. 1900 schreibt e<strong>in</strong><br />

Ökonom, das Fahrrad bahne "die Lösung brennender großstädtischer Probleme, wie der Wohnungsfrage, an",<br />

weil damit die Errichtung <strong>von</strong> Arbeitersiedlungen auf billigen Grundstücken am Stadtrand möglich wurde, ohne<br />

sich große Gedanken darüber machen zu müssen, wie der Arbeiter se<strong>in</strong>en Arbeitsplatz werktäglich erreicht. Viele<br />

Unternehmen boten ihren Mitarbeitern sogar <strong>Teil</strong>zahlungskonditionen für den Erwerb e<strong>in</strong>es Fahrrads an. Wer<br />

e<strong>in</strong>mal den deutschen Spielfilm "Kuhle Wampe" <strong>von</strong> 1931 gesehen hat, weiß, welche Rolle das Fahrrad <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

für die Arbeiterklasse spielte.<br />

188 Andererseits wäre es den meisten <strong>von</strong> uns ebenfalls unangenehm, wenn sich plötzlich der Schwe<strong>in</strong>ebraten,<br />

wie im bekannten Restaurant am Ende des Universums, den verehrten Gästen mit se<strong>in</strong>en saftigsten Lendenstücken<br />

selbst empfiehlt. Alles <strong>in</strong> allem bevorzugen wir e<strong>in</strong>e unbelebte Warenwelt, <strong>in</strong> der wir alles, vom Steak bis<br />

zum Handy, als leblose Sachen behandeln können. Wir vergessen gerne, dass alle Waren, das Steak wie das<br />

Handy, Verausgabung <strong>von</strong> Lebenszeit und Lebenskraft s<strong>in</strong>d.<br />

189 Auch dieses Mehrprodukt, geschaffen <strong>in</strong> der Werkstatt des Handwerksmeister mit Gesellen und Gehilfen,<br />

macht nicht nur viele Meister reicher als andere, sondern ist auch der Happen, an dem sich der Geldbesitzer<br />

schadlos hält, wenn er als Händler handwerklicher Waren se<strong>in</strong>e Dienste anbietet. <strong>Das</strong> andere Mehrprodukt, <strong>von</strong><br />

dem sich die kapitale Raupe Nimmersatt schon zu feudalen Zeiten ihren Anteil holte, war das <strong>in</strong> den Händen des<br />

feudalen Adels sich sammelnde Mehrprodukt aus bäuerlicher Produktion, ideale Kaufkraft für Luxuswaren aller<br />

Art ebenso wie beliebte Sicherheit für Kredite, oft aus der Hand desselben Händlers.<br />

190 Diese neue Klasse ist natürlich nicht 'e<strong>in</strong>fach so' entstanden: Sie wird durch den sich beschleunigenden Prozess<br />

der Kapitalisierung der alten feudalen Produktionsverhältnisse erst formiert. Dabei werden zunächst e<strong>in</strong>zelne<br />

soziale Gruppen der feudalen Gesellschaft (Tagelöhner, landlose Dorfbewohner, Gesellen und Handwerksgehilfen)<br />

e<strong>in</strong>bezogen. Aber erst die Kapitalisierung der Landwirtschaft sorgt auf der e<strong>in</strong>en Seite für die Steigerung der<br />

Erträge, ohne die e<strong>in</strong>e neue Lohnarbeiterklasse außerhalb der Landwirtschaft nicht hätte ernährt werden können.<br />

Auf der anderen Seite sorgt das für die massenweise "Befreiung" der feudalen Arbeitskräfte, die der schnell<br />

wachsenden kapitalistischen Produktion als Arbeitskraft zur Verfügung stehen.<br />

Diese unmittelbare Vorgeschichte der entfalteten bürgerlichen Gesellschaft nennt M. die "sogenannte ursprüngliche<br />

Akkumulation". Was <strong>in</strong> unserer strukturellen Analyse <strong>in</strong> wenigen Gedankenschritten erledigt wird, war <strong>in</strong><br />

Wirklichkeit e<strong>in</strong> langwieriger, mehr oder weniger blutiger und gewaltsamer Prozess. M. beschreibt das für England<br />

im "Kapital" ausführlich (MEW 23, S.741ff).<br />

191 MEW 23, S.793. Wir er<strong>in</strong>nern uns an dieses grundlegende Merkmal <strong>in</strong> M.s Ansatz, der die Perspektive se<strong>in</strong>er<br />

Politischen Ökonomie bestimmt: Die <strong>von</strong> ihm entwickelten Kategorien s<strong>in</strong>d nicht Bezeichnungen <strong>von</strong> D<strong>in</strong>gen und<br />

Personen, sondern <strong>von</strong> Beziehungen zwischen den D<strong>in</strong>gen und Personen. Sie s<strong>in</strong>d Aufdeckung der nicht direkt<br />

sichtbaren Verhältnisse, <strong>in</strong> deren Bahnen wir uns jedoch bewegen und verhalten.<br />

192 Wir er<strong>in</strong>nern uns hoffentlich noch an diesen Satz: "Der Reichtum der Gesellschaften, <strong>in</strong> welchen kapitalistische<br />

Produktionsweise herrscht, ersche<strong>in</strong>t als e<strong>in</strong>e 'ungeheure Warensammlung', die e<strong>in</strong>zelne Ware als se<strong>in</strong>e<br />

Elementarform. Unsere Untersuchung beg<strong>in</strong>nt daher mit der Analyse der Ware." (MEW 23, S.49) Ausgangspunkt<br />

ist nicht nur die Ware als Elementarform, sondern zuallererst jene bürgerliche Gesellschaft, <strong>in</strong> der die kapitalistische<br />

Produktionsweise herrscht. <strong>Das</strong> ist die Plattform, <strong>von</strong> der aus wir die Tiefenbohrung beg<strong>in</strong>nen.<br />

193 M. präsentiert uns se<strong>in</strong>e Analyse, die <strong>in</strong> dieser Form nur vom Standpunkt der bereits entwickelten kapitalistischen<br />

Produktionsweise möglich ist. Vor allem <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kritik an Smith und Ricardo zeigt M. sehr oft, wie diese<br />

beiden hervorragenden Analytiker eben nicht nur an ihren engen B<strong>in</strong>dung an die Interessen der Kapitalisten<br />

scheiterten, sondern gerade auch durch die ger<strong>in</strong>gere Entwicklung der Produktionsweise selbst beh<strong>in</strong>dert wur-<br />

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