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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Wir kommen auf M.s Skizze zur geschichtlichen Tendenz der kapitalistischen Akkumulation zurück, wenn wir uns<br />

dem tendenziellen Fall der Profitrate zuwenden.<br />

198 "Die Natur produziert nicht auf der e<strong>in</strong>en Seite Geld- oder Warenbesitzer und auf der andren bloße Besitzer<br />

der eignen Arbeitskräfte. Dies Verhältnis ist ke<strong>in</strong> naturgeschichtliches und ebensowenig e<strong>in</strong> gesellschaftliches,<br />

das allen Geschichtsperioden geme<strong>in</strong> wäre. Es ist offenbar selbst das Resultat e<strong>in</strong>er vorhergegangenen historischen<br />

Entwicklung, das Produkt vieler ökonomischer Umwälzungen, des Untergangs e<strong>in</strong>er ganzen Reihe älterer<br />

Formationen der gesellschaftlichen Produktion." (MEW 23, S.183)<br />

199 Bei der E<strong>in</strong>hegung wurde das vorher <strong>von</strong> Pächtern und Kle<strong>in</strong>bauern bearbeitete Ackerland <strong>in</strong> Weideland für<br />

die Schafzucht umgewandelt. Damit reagierten die Grundbesitzer auf die starke Nachfrage vor allem der flandrischen<br />

Wollwebereien nach Schafswolle; erst nach dem S<strong>in</strong>ken des Wollpreises entwickelte sich e<strong>in</strong>e eigenständige<br />

Woll<strong>in</strong>dustrie <strong>in</strong> England, die für die Entwicklung der neuen Produktionsweise große Bedeutung erlangte.<br />

200 Die kont<strong>in</strong>uierliche Landvertreibung, die <strong>in</strong> der bürgerlichen Geschichtsschreibung verharmlosend als "Landflucht"<br />

bezeichnet wird, hatte beachtliche Ausmasse. Die E<strong>in</strong>wohnerzahl Londons nimmt zwischen 1800 und<br />

1835 um das doppelte auf 2 Millionen zu. Die meisten der städtischen Zuwanderer waren "überflüssige" Landarbeiter,<br />

ehemalige Kle<strong>in</strong>bauern und Kle<strong>in</strong>pächter, aber auch proletarisierte Handwerker. <strong>Das</strong> gleichzeitige Bevölkerungswachstum<br />

geht wohl vor allem auf die steigende Zahl der Eheschließungen und das s<strong>in</strong>kende Heiratsalter<br />

<strong>in</strong> den Städten zurück.<br />

201 In der auf Massenwirkung zielenden Geschichtspräsentation f<strong>in</strong>det man immer wieder Sätze dieser Art: "Arbeitskräfte<br />

drängten <strong>in</strong> die neuen Industriezentren, <strong>in</strong> wenigen Jahren wurden aus Dörfern Großstädte, wo die<br />

Massen unter miserablen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> überbelegten 'Arbeiterkasernen' und feuchten Kellern hausten. Die Arbeitszeit<br />

lag bei 14 Stunden, immer im Rhythmus der Masch<strong>in</strong>en, Frauen mussten für weniger Lohn ebenso viel<br />

schaffen, vor allem <strong>in</strong> Bergwerken und Textilfabriken, auch K<strong>in</strong>der wurden skrupellos ausgebeutet." Auf der e<strong>in</strong>en<br />

Seite betont man gerne die Elendigkeit der Lebensbed<strong>in</strong>gungen, um den Kontrast zur Moderne herauszustellen,<br />

die ja eigentlich gar ke<strong>in</strong> richtiger Kapitalismus mehr sei. Der blutige und gewaltsame Prozess der Proletarisierung<br />

wird aber verschwiegen. Oder glaubt man wirklich, dass Millionen Menschen freiwillig <strong>in</strong> das <strong>in</strong>dustrielle<br />

Elend drängten? E<strong>in</strong> schönes Beispiel für die idyllisierende Betrachtung der Industriegeschichte und die Überbetonung<br />

des "technischen Erf<strong>in</strong>dunsgsreichtums" bietet die Website �Europäische Route der Industriekultur vom<br />

Netzwerk der europäischen Industriemuseen, der auch das Zitat entnommen ist.<br />

202 MEW 23, S.788. Im Vorwort zur ersten Auflage des "Kapital" macht M. ausdrücklich darauf aufmerksam,<br />

dass die für England beschriebene besondere Brutalität <strong>in</strong> der Frühphase des Kapitalismus ke<strong>in</strong>eswegs für alle<br />

Länder gelten muß, <strong>in</strong> denen sich kapitalistische Produktionsweise durchsetzt: "Dort wird er sich <strong>in</strong> brutaleren<br />

oder humaneren Formen bewegen, je nach dem Entwicklungsgrad der Arbeiterklasse selbst." (MEW 23, S.15)<br />

203 <strong>Das</strong> kl<strong>in</strong>gt hart. Wer sieht sich schon gern selber als Tier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zirkus? Niemand. Aber diese "Dressur" ist<br />

e<strong>in</strong>e historische Tatsache. Oder kann irgendjemand glauben, dass die Menschen massenweise und bereitwillig <strong>in</strong><br />

die Kohlenflöze gefahren s<strong>in</strong>d und an den Hochöfen geschuftet haben? <strong>Das</strong>s man bereitwillig <strong>in</strong> die übervölkerten<br />

Wohnquartiere gezogen ist, vor denen es sogar e<strong>in</strong>em Leibeigenen des 1<strong>1.</strong> Jahrhunderts gegraust hätte, der<br />

mit se<strong>in</strong>er Familie selber nur auf wenig Stroh <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Hütte hauste, die eher e<strong>in</strong> überdachtes Erdloch war?<br />

Übrigens stammt das englische Wort "manage" vom late<strong>in</strong>ischen "manus", was "Hand" bedeutet, und "agere"<br />

gleich "führen". Ursprünglich bezeichnete es die Kunst, e<strong>in</strong> Pferd <strong>in</strong> allen Gangarten mit der Hand zu führen, es<br />

dazu zu br<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong> der Reitbahn, auch manège genannt, auf jede Zügelbewegung zu gehorchen: Manager –<br />

Manege – Dressur... abwegig? Wir kommen auf die Dressurfrage zurück, wenn wir den Kampf um den Normalarbeitstag<br />

streifen.<br />

204 Versteht sich, dass viele diese Zugehörigkeit zur "Arbeiterklasse" weit <strong>von</strong> sich weisen. Kurioserweise stufen<br />

sich bei entsprechenden Befragungen die meisten als Angehörige der "Mittelschicht" und nicht bei "Arbeiterklasse"<br />

e<strong>in</strong>, mit der man möglicherweise Schiebermütze, körperliche Arbeit und grobe Umgangsformen verb<strong>in</strong>det.<br />

Aber wir werden ja noch M.s Gesamtarbeiter begegnen, der für ihn die polit-ökonomische Bezeichnung für<br />

Arbeiterklasse ist. Und wenn wir das tun, haben die wenigsten e<strong>in</strong>e Chance, dieser Zuordnung zu entkommen,<br />

ob wir nun Metallstücke formen oder papierene Vorgänge weiterleiten oder K<strong>in</strong>der pädagogisch für das Leben<br />

trimmen.<br />

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