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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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und das an die Historiker delegieren. Mit der Frage nach dem Herkommen ist allzu leicht die<br />

pe<strong>in</strong>liche Frage nach dem Verschw<strong>in</strong>den verbunden.<br />

6. Ist M.s Politische Ökonomie e<strong>in</strong>e "Weltanschauung"? Oder e<strong>in</strong> <strong>Teil</strong> da<strong>von</strong>?<br />

<strong>Das</strong> Wort "Weltanschauung" wird oft <strong>von</strong> anti-marxistischer Seite für M.s Theorie angewendet,<br />

m<strong>in</strong>destens so oft wie der (abwertend geme<strong>in</strong>te) Begriff "Ideologie". Auch <strong>von</strong> marxistischer<br />

Seite hört man den Begriff bisweilen; früher häufiger als heute. Wir verwenden den Begriff<br />

"Weltanschauung" nicht. Erstens, weil es eben gerade nicht um "Anschauung", sondern um<br />

"h<strong>in</strong>ter die Kulissen schauen" geht. Wie jede Wissenschaft, will auch M.s Politische Ökonomie<br />

das nicht direkt Sichtbare erkennbar machen. Zweitens, weil die ganze "Welt" etwas zu viel auf<br />

e<strong>in</strong>mal wäre. Also wäre "Gesellschaftsh<strong>in</strong>terschauung" zwar e<strong>in</strong> monströser, aber viel angemessenerer<br />

Begriff.<br />

Man sollte auch beachten, dass uns das Etikett "Weltanschauung" letztlich zu Betrachtern<br />

macht. M.s Ansatz geht aber unbed<strong>in</strong>gt <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er aktiven, teilnehmenden, verändernden Wissenschaft<br />

aus, bei der Erkenntnis der Verhältnisse ("Aneignung der Welt") und Ändern der Verhältnisse<br />

e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit bilden. In gewisser Weise ist sogar die Bereitschaft zu verändern e<strong>in</strong>e Voraussetzung<br />

für die Erkennbarkeit der Verhältnisse: Wer Verhältnisse für natürlich oder unveränderbar<br />

hält, hat wenig Trieb zur Erkenntnis der Zusammenhänge, mögen sie nun verborgen se<strong>in</strong><br />

oder auf der Hand liegen. Der ist mit dem, was ist, zufrieden.<br />

Außerdem täuscht der Begriff "Weltanschauung", vor allem <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Etiketten wie<br />

"<strong>Marx</strong>ismus-Len<strong>in</strong>ismus", e<strong>in</strong>e Geschlossenheit und Leistungsstärke der Theorie vor, die <strong>in</strong> der<br />

Praxis gar nicht e<strong>in</strong>zulösen ist. Vor allem legt der Begriff nahe, diese "Weltanschauung" sei etwas,<br />

das aus festgefügten Regeln besteht, die man e<strong>in</strong>mal erwirbt und nach Bedarf wie Kochrezepte<br />

zur Lösung aller möglichen Probleme anwendet.<br />

<strong>Das</strong> aber wäre doch e<strong>in</strong>e kuriose, geradezu anti-marxistische Vorstellung: Die Verhältnisse s<strong>in</strong>d<br />

nicht nur veränderbar, sie verändern sich auch stetig. Zu glauben, e<strong>in</strong>mal gewonnene Erkenntnisse<br />

müßten e<strong>in</strong>fach nur wiederholt werden, um auch die Veränderungen zu begreifen, führt<br />

auf den Holzweg.<br />

M.s Theorie ist auch ke<strong>in</strong>e "Geschichtsphilosophie", ke<strong>in</strong> Entwicklungsmodell, auf dem die Gesellschaft,<br />

durch Klassenkampf getrieben, <strong>von</strong> der Urgesellschaft zum Sozialismus unverdrossen<br />

voranschreitet. M. hat sich über solche Geschichtsmodelle nur lustig gemacht.<br />

Als e<strong>in</strong> russischer Rezensent M.s Skizze zur Vorgeschichte des englischen Kapitalismus als Zukunftsmodell<br />

Russlands werten wollte, wehrte sich M. gegen den Versuch, "me<strong>in</strong>e historische<br />

Skizze <strong>von</strong> der Entstehung des Kapitalismus <strong>in</strong> Westeuropa <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e geschichtsphilosophische<br />

Theorie des allgeme<strong>in</strong>en Entwicklungsganges" zu verwandeln.<br />

M. macht an e<strong>in</strong>em historischen Beispiel klar, dass es solche Zwangläufigkeit nicht gibt, dass im<br />

Gegenteil ganz ähnliche Umstände zu ganz anderen Ergebnissen führen können. Er schreibt,<br />

dass sich die Ursachen für solche unterschiedlichen Entwicklungen leicht f<strong>in</strong>den lassen, "wenn<br />

man jede dieser Entwicklungen für sich studiert und sie dann mite<strong>in</strong>ander vergleicht", also durch<br />

konkrete historische Analyse. Demgegenüber werde man die wirklichen Ursachen e<strong>in</strong>er historischen<br />

Entwicklung niemals mit dem "Universalschlüssel e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en geschichtsphilosophischen<br />

Theorie" aufdecken. 497 Und weil das so ist, sollten wir es auch niemals versuchen, so verlockend<br />

und bequem das auch se<strong>in</strong> mag.<br />

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