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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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97 Wir haben im vorigen Kapitel bereits <strong>von</strong> der objektiven Werttheorie gesprochen. Mit diesem Zusatz wollen<br />

wir ke<strong>in</strong>eswegs das Wertgesetz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Art Naturgesetz verwandeln. <strong>Das</strong> wäre das allerletzte. "Objektiv" besagt:<br />

<strong>Das</strong> Wertgesetz wirkt unabhängig vom menschlichen Dafürhalten, ob wir daran glauben oder nicht. <strong>Das</strong>s es kurioserweise<br />

durch das Handeln all der Menschen realisiert wird, die se<strong>in</strong>e Existenz weit <strong>von</strong> sich weisen würden,<br />

gehört nicht nur zu den Ironien gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern stellt auch den objektiven Charakter dieses<br />

Gesetzes nicht <strong>in</strong> Frage.<br />

Im Grund ist das e<strong>in</strong>e alte Kiste, der e<strong>in</strong> verwurzeltes Mißverstehen zugrunde liegt. Nehmen wir als Beispiel die<br />

gerade <strong>von</strong> strikten Gegnern e<strong>in</strong>es objektiven Wertgesetzes immer wieder gern zitierte Metapher <strong>von</strong> der unsichtbaren<br />

Hand des Marktes. Mit dieser Formulierung, die allen Neoliberalen so gut gefällt, obwohl ihnen offenbar<br />

die Po<strong>in</strong>te entgangen ist, fokussiert Adam Smith selbst die subjektiv-objektiv Beziehung ökonomischer<br />

Gesetze: Auf der e<strong>in</strong>en Seite die Vielzahl der subjektiven Handlungen der Marktteilnehmer, die sich ihrer Handlungen<br />

sehr wohl bewusst s<strong>in</strong>d, und ganz eigene Intentionen damit verfolgen. Aber gerade die Vielzahl dieser<br />

subjektiven Handlungen objektivieren sich auf der anderen Seite zu den Bewegungsgesetzen des Marktes, eben<br />

zu se<strong>in</strong>er unsichtbaren Hand. Doch halt, wir s<strong>in</strong>d hier etwas vorausgeeilt; später mehr da<strong>von</strong>.<br />

98 Es ist auch nicht zu leugnen, dass M. <strong>in</strong> formaler H<strong>in</strong>sicht durchaus mal nachlässig ist. Auch im "Kapital" ist<br />

etwa die Verwendung des Begriffs Tauschwert im Verhältnis zu Wertgröße nicht immer stabil. In jedem Fall ist<br />

aber klar, was geme<strong>in</strong>t ist und warum die jeweilige begriffliche Sonderung vollzogen wird.<br />

99 Solche Formulierungen können manche schwer verdauen. "Was denn nun", rufen sie, "Ware oder nicht Ware?<br />

Die Sache kann doch nicht plötzlich ganz anders werden, nur weil das D<strong>in</strong>g unverkäuflich war." Doch, sie<br />

kann. Wer jemals als Verkäufer tätig war, kennt den Unterschied. Wer jemals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Unternehmen arbeitete,<br />

das plötzlich auf se<strong>in</strong>en Waren sitzenblieb, weiß natürlich, dass die Produkte dieselben blieben. Nur fanden sie<br />

ke<strong>in</strong>e zahlende Nachfrage mehr und wurden, wenngleich als Waren, also für den Austausch produziert, niemals<br />

zu Waren. Die geleistete Arbeit (sprich: Wertsubstanz) ist zum Teufel, das Unternehmen pleite.<br />

100 Allerd<strong>in</strong>gs hat M. durch e<strong>in</strong>ige Formulierungen im "Kapital" diesen physiologischen Interpretationen e<strong>in</strong>en<br />

Ansatzpunkt gegeben. So schreibt er: "Alle Arbeit ist e<strong>in</strong>erseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen<br />

S<strong>in</strong>n, und <strong>in</strong> dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie<br />

den Warenwert. Alle Arbeit ist andrerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft <strong>in</strong> besondrer zweckbestimmter<br />

Form, und <strong>in</strong> dieser Eigenschaft konkreter nützlicher Arbeit produziert sie Gebrauchswerte." (MEW 23, S.61)<br />

Aus dem ersten Satz zu schließen, der Wert sei messbare Anhäufung <strong>von</strong> Lebenskraft und daraus ergebe sich das<br />

Tauschverhältnis, ist abwegig. <strong>Das</strong> Tauschverhältnis ergibt sich immer wieder neu, wie wir schon gesehen haben,<br />

durch das ständige vergleichende Handeln der Akteure als Produzenten, Konsumenten, Kreditgeber, Aktienspekulanten,<br />

Investoren usw.usf. <strong>Das</strong> gesamte Ensemble des kapitalistischen Wirtschaftstheaters ist daran beteiligt.<br />

101 MEW 42, S.85f. Die zitierte Selbstermahnung ist <strong>von</strong> M. <strong>in</strong> Klammern gesetzt worden: Solche geklammerten<br />

Textstellen und E<strong>in</strong>schübe s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> M.s Manuskripten zahlreich und stellten so etwas wie M.s persönliche "to-do"-<br />

Liste dar. Der Selbstermahnung geht übrigens unmittelbar dieser Abschnitt voraus: "Wir sehn also, wie es dem<br />

Geld immanent ist, se<strong>in</strong>e Zwecke zu erfüllen, <strong>in</strong>dem es sie zugleich negiert; sich zu verselbständigen gegen die<br />

Waren; aus e<strong>in</strong>ern Mittel zum Zweck zu werden; den Tauschwert der Waren zu realisieren, <strong>in</strong>dem es sie <strong>von</strong> ihm<br />

lostrennt; den Austausch zu erleichtern, <strong>in</strong>dem es ihn spaltet; die Schwierigkeiten des unmittelbaren Warenaustauschs<br />

zu überw<strong>in</strong>den, <strong>in</strong>dem es sie verallgeme<strong>in</strong>ert; <strong>in</strong> demselben Grad, wie die Produzenten vom Austausch<br />

abhängig werden, den Austausch gegen die Produzenten zu verselbständigen." Vor allem sehen wir an diesem<br />

Abschnitt, wie berechtigt M.s Selbstermahnung ist.<br />

102 <strong>Das</strong> Abstraktionsverfahren, mit dem M. se<strong>in</strong>e Ergebnisse präsentiert, hat viel Kritik hervorgerufen. Merkwürdigerweise<br />

war diese Kritik bisweilen geradezu vernichtend, obwohl e<strong>in</strong>e vergleichbare Kritik gegenüber den nun<br />

wirklich s<strong>in</strong>nlosen Jäger-Fischer-Anekdoten und Inselwitzen der bürgerlichen "National"-Ökonomie offenbar wegen<br />

<strong>in</strong>nerer Übere<strong>in</strong>stimmung wegfiel. Sei's drum. M.s Verfahren der Abstraktion ist wissenschaftlich nicht nur<br />

legitim; es ist unverzichtbar. Albert E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> fordert zur Erklärung der Relativitätstheorie se<strong>in</strong>e Leser auf, sich zwei<br />

Züge vorzustellen, die mit Lichtgeschw<strong>in</strong>digkeit ane<strong>in</strong>ander vorbeifahren, während der Leser auf dem Bahnsteig<br />

auf und ab gehen soll. Warum sollte mich dann e<strong>in</strong>e auf ihre elementaren Merkmale zurückgeführte Warenproduktion<br />

erschrecken? Auch M.s Abstraktion ist <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne nichts anderes als e<strong>in</strong> vernünftiges Gedankenexperiment<br />

Marke Albert. Wie anders sollte man über sehr komplexe Zusammenhänge überhaupt nachdenken, die<br />

man schließlich nicht experimentell oder im Modell testen kann? Da geht es Albert so wie <strong>Karl</strong>.<br />

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