09.01.2013 Aufrufe

Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Nun wird man e<strong>in</strong>wenden, dass schließlich jeder Bastler mit e<strong>in</strong>em Voltmeter den Strom messen<br />

kann. Und jeder hat hoffentlich schon aus eigener Erfahrung das Gefühl gespürt, verliebt zu<br />

se<strong>in</strong>. Und das Hauseigentum: Muß man dafür etwa ke<strong>in</strong>e Grundbesitzabgaben leisten? Gibt es<br />

ke<strong>in</strong>e Grundbücher, die man sich ansehen kann? Na bitte.<br />

Gutes Argument. Aber folgendes gilt auch: Um zwischen der Glühbirne und dem elektrischen<br />

Strom, zwischen rotem Kopf und Verliebtse<strong>in</strong>, zwischen Grundbuch und Hauseigentum e<strong>in</strong>en<br />

Zusammenhang zu sehen, bedarf es der Kenntnisse und Erfahrungen oder eigener Forschung.<br />

Und darum geht es ja. E<strong>in</strong> großer <strong>Teil</strong> aller wissenschaftlichen Bemühungen besteht dar<strong>in</strong>, das<br />

nicht Sichtbare im doppelten S<strong>in</strong>ne erkennbar zu machen, ob es sich um die Gravitation oder<br />

den menschlichen Gencode handelt. Und was wir der naturwissenschaftlichen Forschung zugestehen,<br />

sollte auch für die Analyse der Gesellschaft akzeptiert werden.<br />

Warum soll bei der Behandlung gesellschaftlicher Fragen immer alles sofort sichtbar und greifbar<br />

und daher auch sofort e<strong>in</strong>sichtig se<strong>in</strong>? Weil wir selbst täglich <strong>in</strong> der Gesellschaft leben? Weil wir<br />

glauben, als Mitglieder e<strong>in</strong>er Gesellschaft automatisch auch e<strong>in</strong> Experte für Gesellschaftsfragen<br />

zu se<strong>in</strong> und Bescheid zu wissen? Gibt nicht auch <strong>in</strong> der Gesellschaft mehr H<strong>in</strong>tergründiges, mehr<br />

Verdecktes als das, was wir unmittelbar sehen? Darauf darf man wetten.<br />

Machen wir den Test mit dem Thema Nummer E<strong>in</strong>s. Wer sich mal "Romeo und Julia" oder "Kabale<br />

und Liebe" gegönnt (oder angetan) hat, weiß <strong>von</strong> den tragischen Folgen <strong>in</strong>dividueller Zuneigung.<br />

Den zunächst glückstrahlenden, später aber toten Liebespaaren sieht man die gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse, die ihnen Gewalt antun, nicht an. Glücklicherweise bleiben den meisten<br />

<strong>von</strong> uns tragische Erfahrungen dieser Art erspart. Aber auch heute spielt sich ke<strong>in</strong>e Liebesgeschichte<br />

frei <strong>von</strong> den unsichtbaren ökonomischen, sozialen und kulturellen Zwängen ab, <strong>in</strong> denen<br />

wir leben.<br />

Also ist Liebe viel mehr als die Zuneigung zweier Menschen. Sie ist immer auch gesellschaftliches<br />

Verhältnis. Jeder Familienrichter oder Anwalt für Familienrecht könnte uns dafür reichlichen Forschungsstoff<br />

liefern. Was e<strong>in</strong> durchschnittlich begabter Psychologe zur Analyse e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen<br />

Trennungsgeschichte bemüht, um die H<strong>in</strong>tergründe wenigstens anzudeuten (soziokulturelle Unterschiede,<br />

divergente Persönlichkeitsbilder, psychosoziale Stressoren pipapo), läßt M.s Bemühungen<br />

um den Wertbegriff als geradezu spartanisch ersche<strong>in</strong>en.<br />

So landen wir wieder beim Wertbegriff. Mit der zunächst abstrakten (<strong>von</strong> allen Details absehenden)<br />

begrifflichen Konstruktion soll das nicht Sichtbare h<strong>in</strong>ter jeder Ware begriffen werden: Sie<br />

ist e<strong>in</strong> Produkt der Arbeitsteilung, <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em privaten Produzenten für den Tausch hergestellt,<br />

damit die <strong>in</strong> der Ware steckende Arbeit als Wert zurückfließt. Und erst mit dem Verkauf und<br />

dem damit verbundenen Rückfluß des Werts <strong>in</strong> Gestalt e<strong>in</strong>er anderen werthaltigen Ware (die<br />

heute Geld heißt) ist das Lebensziel der Ware erfüllt. Sehen kann man das alles nicht, trotz des<br />

Wertbegriffs. Man kann es damit nur gedanklich erfassen.<br />

Wertgröße und Tauschwert<br />

Obwohl untrennbar mit jeder Ware verbunden, ist der Wert nichts, was man mit e<strong>in</strong>er Waage<br />

wiegen oder mit dem Zollstock messen könnte. Und trotzdem ist der Wert als Tauschwert immer<br />

auch e<strong>in</strong>e quantitative Wertgröße, ohne die ke<strong>in</strong> Tauschvorgang funktionieren würde. Auf das<br />

Messen wird also nicht verzichtet. Nur: Wo und wie f<strong>in</strong>det es statt? Wie wird die Wertgröße bestimmt?<br />

37

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!