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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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M. hat genügend statistische Berichte se<strong>in</strong>er Zeit ausgewertet, um vom "Vampyrdurst nach lebendigem<br />

Arbeitsblut" sprechen zu dürfen, ohne sich den Vorwurf moralisierender Übertreibung<br />

e<strong>in</strong>zuhandeln. So offenbart die frühkapitalistische Verwertungsmasch<strong>in</strong>e vom brutalen und<br />

blutigen Quick & Dirty-Typ, <strong>von</strong> Sozialhistorikern etwas verharmlosend als Manchester-Kapitalismus<br />

bezeichnet, sehr schnell ihre Risiken.<br />

Erstens zeigten sich selbstmörderische Tendenzen des Systems. Innerhalb <strong>von</strong> drei Jahrzehnten<br />

wurde deutlich, dass bei ungestörter Selbstregulation die Versorgung mit leistungsfähigen und<br />

belastbaren Arbeitskräften und damit das System selbst <strong>in</strong> Gefahr geraten würde. Sprich: Zu viele<br />

Arbeitstote, zu viele Invaliden. Krankheiten und Mangelernährung gefährdeten zu Beg<strong>in</strong>n des<br />

19. Jahrhunderts das etwa ab 1750 stattf<strong>in</strong>dende Bevölkerungswachstum. 258 Für das fast vollständig<br />

noch auf extensive Ausweitung der Produktion orientierte Kapital wurde es im ersten<br />

Drittel des 19. Jahrhunders immer schwieriger, ausreichenden Nachschub an belastbaren und<br />

diszipl<strong>in</strong>ierten Arbeitskräften zu f<strong>in</strong>den, auch wenn man versuchte, durch Anwerbungen <strong>in</strong> den<br />

ländlichen Gegenden und <strong>in</strong> Irland die Verwertungsmasch<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Gang zu halten.<br />

Zweitens ist die andere Seite zu beachten. Die Elenden <strong>von</strong> Manchester und Newcastle, <strong>von</strong><br />

London und Bedford haben ihren eigenen Kopf. Spätestens mit dem ersten großen Arbeiterstreik,<br />

dem Weberstreik <strong>von</strong> 1812, wird klar, dass auch mit dem Widerstand der Ware Arbeitskraft<br />

<strong>in</strong> Zukunft zu rechnen se<strong>in</strong> würde. In zahllosen, kaum dokumentierten kle<strong>in</strong>en und kle<strong>in</strong>sten<br />

Aktionen, bekommen die Fabrikanten diesen Widerstand als alltäglichen Klassenkampf zu<br />

spüren. Schließlich tritt <strong>in</strong> immer lauter werdenden Forderungen nach Begrenzung des Arbeitstags<br />

der Gesamtarbeiter selbst als soziale Klasse mit eigenen Persönlichkeiten und eigenen Interessen<br />

auf. 259<br />

Zwischenfrage 49: Kann man sagen, dass e<strong>in</strong> großer <strong>Teil</strong> des ökonomischen Klassenkampfs ebenso zum<br />

Wohl der Kapitalisten wie zum Wohl der Arbeiter erfolgt, die ihn führen? (S.201)<br />

Die Gewerkschaften (unions), obwohl lange Zeit verboten, geben den Klassenkämpfen neue Impulse<br />

und leisten ironischerweise mehr für die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise<br />

als die <strong>in</strong>sgesamt doch eher engstirnigen, ganz auf ihre unmittelbaren Interessen fixierten Kapitalisten<br />

das tun. Die müssen tatsächlich erst durch Verkürzung des Arbeitstags, dann auch durch<br />

Erhöhung der Löhne zu ihrem Glück gezwungen werden.<br />

Mit der staatlichen Fixierung des Arbeitstags, die <strong>in</strong> England etwa 1833 beg<strong>in</strong>nt und <strong>in</strong> anderen<br />

kapitalistischen Ländern etwas später e<strong>in</strong>setzt, wird das Ende der quick & dirty Phase des frühen<br />

Kapitalismus e<strong>in</strong>geleitet. Nicht nur zum Wohl der Arbeiterklasse, die jede Arbeitszeitverkürzung<br />

zu Recht als Erfolg feierte. Es ist vor allem zum Wohl der Kapitalisten selbst geschehen, wenn<br />

das ihren bornierten Vertretern auch immer erst im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>leuchtete.<br />

Was ist normal am Normalarbeitstag?<br />

Mit der ersten staatlichen Regulierungen zur Arbeitszeit beg<strong>in</strong>nt die Ause<strong>in</strong>andersetzung um<br />

den "Normalarbeitstag": Von den Kämpfen um den regulären 12-Stunden-Tag bis zur E<strong>in</strong>führung<br />

des 8-Stunden-Tags 260 führt e<strong>in</strong> langer und längst nicht abgeschlossener Weg. Denn tatsächlich<br />

ist an der Länge des Arbeitstags überhaupt nichts "normal": Se<strong>in</strong>e Länge wie auch der<br />

Umfang der Arbeitszeit verteilt auf die Woche, auf das Jahr und das Leben e<strong>in</strong>es Menschen s<strong>in</strong>d<br />

Ergebnis beständiger Ause<strong>in</strong>andersetzungen, die auch nicht deshalb aufhören, wirklicher Klassenkampf<br />

zu se<strong>in</strong>, weil die Beteiligten dafür harmlos kl<strong>in</strong>gende Bezeichnungen wie Tarifkonflikt<br />

oder Arbeitsmarktpolitik oder Flexibilisierung verwenden und e<strong>in</strong>ige sich nicht entblöden, laut-<br />

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