09.01.2013 Aufrufe

Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

M. wollte erklären, warum im England des 19. Jahrhunderts gleichzeitig der gesellschaftliche<br />

Reichtum und das soziale Elend steil anstiegen. Diese elendigen Verhältnisse im <strong>in</strong>dustriellen<br />

England se<strong>in</strong>er Zeit waren noch ke<strong>in</strong>e 50 Jahre alt. Und es war offensichtlich, dass <strong>in</strong> diesem<br />

Zeitraum die Menschen ke<strong>in</strong>eswegs schlechter geworden waren und für ihre Schlechtigkeit<br />

durch Elend bestraft wurden. Deshalb g<strong>in</strong>gen M. die Verteidiger der neuen Produktionsweise,<br />

die Propagandisten des Freihandels um jeden Preis, die predigenden Tugendwächter und die zynischen<br />

Vulgärökonomen so heftig auf den Geist. Ihre Erklärungen für die Ursachen des Elends<br />

waren offensichtlich falsch und fanden nur deshalb Widerhall, weil sie den Interessen des Bürgertums<br />

so pe<strong>in</strong>lich exakt folgten und das immer reicher werdende Bürgertum <strong>von</strong> aller Verantwortung<br />

für das Elend der Vielen frei sprachen, <strong>in</strong>dem man die Opfer des Elends zu Opfern aus<br />

eigener Schuld stempelte.<br />

M.s Gegenposition: Nicht Bevölkerungswachstum und lüsterne Geilheit, nicht Alkoholismus oder<br />

allgeme<strong>in</strong>e moralische Verkommenheit br<strong>in</strong>gen das Elend hervor. Die Elendigen schaffen ihr<br />

Elend weder selbst noch begeben sie sich freiwillig h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Wenn man wissen will, woher die<br />

elendigen Verhältnisse stammen, muss man untersuchen, was die moderne Industrie und mit ihr<br />

das neue Elend hervorgebracht hat. Es s<strong>in</strong>d die ökonomischen Verhältnisse, der Verwertungszwang<br />

der Akkumulation, der mit se<strong>in</strong>er ungeh<strong>in</strong>derten Entfaltung jene Verhältnisse<br />

schafft, die M. so ausdrucksstark als "Akkumulation <strong>von</strong> Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit,<br />

Brutalisierung und moralischer Degradation" bezeichnet.<br />

M. begründet uns das so schlüssig, wie man <strong>in</strong> den Gesellschaftswissenschaften überhaupt etwas<br />

begründen kann. <strong>Das</strong> ganze lange Kapitel zum Akkumulationsprozess handelt da<strong>von</strong>. Dar<strong>in</strong><br />

gibt es Sätze, die heute als störend empfunden werden. <strong>Das</strong> ist vor allem die Absolutheit, mit<br />

der M. das Gesetz der Akkumulation formuliert. Sofort gehen wir <strong>in</strong> Gedanken unsere eigenen<br />

Erfahrungen durch und f<strong>in</strong>den für unsere Verhältnisse ke<strong>in</strong>e so direkte und vollständige Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

<strong>in</strong> Sachen Reservearmee, Lazarusschicht und Pauperismus, die wir doch f<strong>in</strong>den müssten,<br />

wenn es sich um e<strong>in</strong> absolutes und allgeme<strong>in</strong>es Gesetz handelt. Kommen wir damit auf den<br />

bereits erwähnten propagandistischen Knüller zurück?<br />

Der Knüller ist <strong>von</strong> Leuten erfunden, die nicht lesen können oder M. als veralteten Ideologen<br />

darstellen wollen, ohne sich überhaupt mit se<strong>in</strong>en Aussagen vertraut zu machen. M. hat sich mit<br />

se<strong>in</strong>em Gesetz ke<strong>in</strong>eswegs verrannt. Wir müssen ihm, mit H<strong>in</strong>weis auf die extrem brutalen Arbeitskraftverwerter<br />

se<strong>in</strong>er Zeit, weder mildernde Umstände verschaffen noch anderweitig irgendwie<br />

<strong>in</strong> Schutz nehmen.<br />

M. weiß sehr gut, wo<strong>von</strong> er redet, und nimmt selbst die historische E<strong>in</strong>ordnung se<strong>in</strong>es Gesetzes<br />

vor. Leider wird das immer wieder, sogar <strong>von</strong> erklärten und ansonsten kundigen <strong>Marx</strong>isten,<br />

überlesen. Die historische E<strong>in</strong>ordnung liegt natürlich im historischen Stoff selbst, der M.s Formulierung<br />

des Gesetzes zugrunde liegt. Nur wird allzugern die umfängliche Ausbreitung des historischen<br />

Stoffs im "Kapital" als didaktisches Beiwerk abgetan, das M. vor se<strong>in</strong>en zeitgenössischen<br />

Lesern der Anschaulichkeit wegen ausbreitet. 362 Aber das ist ke<strong>in</strong> Beiwerk, sondern untrennbar<br />

mit se<strong>in</strong>er Methode verbunden.<br />

Auch hier. Unmittelbar nach se<strong>in</strong>er Formulierung des Gesetzes illustriert uns M. auf 63 Seiten<br />

dessen Wirkungsweise. Die sozialen Realitäten, die den Ausgangspunkt unserer Reise markierten<br />

und unsere Leitfragen formulierten, s<strong>in</strong>d auch wieder Zielpunkt der Analyse. Im Mittelpunkt<br />

steht jetzt England <strong>in</strong> den Jahren 1846 bis 1866. Hier liegt die Erklärung, warum M.s H<strong>in</strong>weise<br />

auf "mannigfache Umstände", die das Gesetz modifizieren, eben nicht als Ausrede gedacht s<strong>in</strong>d<br />

und warum er dennoch zu se<strong>in</strong>er Zeit auf deren Analyse verzichten konnte. Se<strong>in</strong>e Illustrationen<br />

120

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!