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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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"Warenfetischismus" gehört vermutlich zu den beliebteren l<strong>in</strong>ken Renommierfloskeln, oft treffsicher<br />

falsch angewendet. Halten wir daher zunächst mal fest, worum es beim "Warenfetischismus"<br />

nicht geht: Geme<strong>in</strong>t ist nicht die <strong>in</strong>dividuelle Vernarrtheit <strong>in</strong> Waren oder die Fixierung e<strong>in</strong>er<br />

Konsumgesellschaft auf die Warenwelt. Auch nicht die feste Überzeugung <strong>von</strong> Menschen, ohne<br />

den Besitz e<strong>in</strong>er bestimmten Ware nicht glücklich se<strong>in</strong> zu können. Auch nicht die Neigung <strong>von</strong><br />

Menschen, die Bedeutung der eigenen Person über den Besitz bestimmter Waren nach außen<br />

mitzuteilen und die Ware zum Sta-<br />

tussymbol zu machen. Solche Aspekte der Warenproduktion mag man aus dem Fetisch-Kapitel<br />

ableiten; wir werden uns damit nicht aufhalten. M. geht es um etwas anderes. Lassen wir ihn an<br />

dieser Stelle mal wieder selbst mit e<strong>in</strong>em längeren Auszug zu Wort kommen:<br />

Lektüre: <strong>Karl</strong> <strong>Marx</strong>: S.227<br />

Ne<strong>in</strong>, trotz des übers<strong>in</strong>nlichen Tisches und der theologischen Mucken: M. ist nicht unter die Parapsychologen<br />

oder Geisterforscher gefallen. Wenn er sich <strong>in</strong> diesem Text auch über die zeitgenössische<br />

Spiritisten-Szene mehr als nur lustig macht. Wer solche Texte nicht gewohnt ist, muß<br />

diesen vermutlich zweimal lesen (m<strong>in</strong>destens). Und wer nicht zu unkritischer Verehrung neigt,<br />

darf auch getrost die "Was soll's?"-Frage stellen.<br />

Schließlich ist nicht zu übersehen, dass M. im Fetisch-Kapitel recht großen literarischen Aufwand<br />

betreibt. Die <strong>von</strong> ihm ohneh<strong>in</strong> bevorzugte Rhetorik, e<strong>in</strong>en Sachverhalt durch immer neue Formulierungen<br />

e<strong>in</strong>zukreisen, wird hier besonders krass praktiziert. Aus unserer Sicht ist M.s Analyse<br />

des "Fetischcharakters der Ware" ke<strong>in</strong> Musterbeispiel für Präzision. 130 Auch der Begriff "Fetischcharakter"...na<br />

ja. Aber die Punkte, auf die es ankommt, s<strong>in</strong>d erkennbar und ke<strong>in</strong>eswegs<br />

banal.<br />

Warum "Fetischcharakter"? Als Fetisch werden die <strong>von</strong> Menschen geschaffenen Gegenstände<br />

bezeichnet, denen man <strong>in</strong> Religionen übernatürliche oder göttliche Kräfte zuerkennt. Dabei<br />

kann es sich um die Tjurunga, die heiligen Gegenstände der Australier, um Talismane der Babylonier<br />

oder um Heiligenknochen <strong>in</strong> der katholischen Kirche handeln. M. spielt im Kapitel oft genug<br />

auf den religiösen Kontext an. Denn für ihn werden <strong>in</strong> der warenproduzierenden Gesellschaft<br />

solche sche<strong>in</strong>bar übers<strong>in</strong>nlichen oder schicksalhaften Kräfte auf die Waren und den Warenaustausch<br />

übertragen. 131<br />

Der Umstand, dass sich der Erfolg des Warenproduzenten erst über die Wertseite se<strong>in</strong>er Waren<br />

und ihren Tausch <strong>in</strong> Geld e<strong>in</strong>stellt, verwandelt jede Ware <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e "gesellschaftliche Hieroglyphe",<br />

wie M. schreibt, deren S<strong>in</strong>n die Menschen zu entziffern suchen, um "h<strong>in</strong>ter das Geheimnis ihres<br />

eignen gesellschaftlichen Produkts zu kommen." 132 Was soll das eigentlich bedeuten? Haben<br />

wir es jetzt mit <strong>Marx</strong>'schen "Hieroglyphen" zu tun, die wir unsererseits erst entziffern müssen?<br />

M. macht es uns <strong>in</strong> diesem Kapitel wirklich nicht leicht.<br />

Mit dem Hieroglyphen-Vergleich betont M. die Notwendigkeit für die Warenproduzenten, e<strong>in</strong>e<br />

praktikable Deutung der Vorgänge zu f<strong>in</strong>den, die aus ihren eigenen Handlungen bestehen. Aber<br />

wie stellen sich für die Warenproduzenten die gesellschaftlichen Verhältnisse dar? Darum geht<br />

es <strong>in</strong> diesem Kapitel.<br />

M. sagt übrigens an ke<strong>in</strong>er Stelle, dass sich die Warenproduzenten e<strong>in</strong> "falsches Bild" dieser<br />

Verhältnisse machen oder dass sie e<strong>in</strong> "falsches Bewußtse<strong>in</strong>" ihrer Lage haben oder ähnliches.<br />

Im Gegenteil: Der Fetischcharakter der Waren entspr<strong>in</strong>gt aus der objektiven Situation des Warenproduzenten.<br />

Die "Verd<strong>in</strong>glichung der Verhältnisse" ist ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>bildung, sondern e<strong>in</strong>e Realität,<br />

die <strong>in</strong> der Grundstruktur der Warenproduktion wurzelt: Die große Zahl der privaten, <strong>von</strong>ei-<br />

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