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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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176 E<strong>in</strong>ige Zeitgenossen haben e<strong>in</strong>e andere Idee: Sie weisen darauf h<strong>in</strong>, dass der wachsende Reichtum der Kapitalistenklasse<br />

ja auch daher stammen könnte, dass diese immer kle<strong>in</strong>er wird, weil nur die besten oder rücksichtslosesten<br />

überleben. Dann braucht es ke<strong>in</strong>en Mehrwert zur Erklärung. Schön und gut. Gewiss er<strong>in</strong>nert die kapitalistische<br />

Wirtschaft <strong>in</strong> mancher H<strong>in</strong>sicht an e<strong>in</strong> Fischbecken, <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>ige große sich auf Kosten vieler kle<strong>in</strong>er Fische<br />

mästen. Aber Tatsache ist, dass die Kapitalistenklasse ke<strong>in</strong>eswegs kle<strong>in</strong>er wird. Auch wenn die <strong>in</strong>nere Differenzierung<br />

nach der Kapitalgröße beachtlich ist: Es bleibt e<strong>in</strong>e Tatsache ist, dass die Wertschöpfung der kapitalistischen<br />

Gesellschaften im historischen Verlauf wächst und die Quelle der Wertschöpfung verständlicherweise zu<br />

den ideologisch umstrittenen, <strong>in</strong> letzter Zeit auch lieber nicht diskutierten Tatbeständen zählt.<br />

Man sieht das auch <strong>in</strong> der aktuellen Diskussion über "Armut" <strong>in</strong> der Bundesrepublik. Da wird nicht über die<br />

Quellen des Reichtums gesprochen; die werden als gegeben angenommen und sprudeln irgendwie. Nur die ungerechte<br />

Verteilung des Reichtums steht zur Debatte, wobei sich jeder unter e<strong>in</strong>er "gerechten Verteilung" etwas<br />

anderes vorstellen darf, so lange er jedem Radikalismus fernbleibt. Auffällig auch, dass besonders die "K<strong>in</strong>derarmut"<br />

als Thema beliebt ist. Vermutlich deshalb, weil K<strong>in</strong>der an ihrer sozialen Lage völlig unschuldig s<strong>in</strong>d. Und da<br />

schw<strong>in</strong>gt natürlich der Gedanke mit, dass der erwachsene Hartz IV Empfänger eben nicht unschuldig sei. Deshalb<br />

hat der se<strong>in</strong> selbst- oder doch wenigstens mitverschuldetes Armutslos zu tragen und jede eventuelle Hilfe mit e<strong>in</strong>er<br />

Gegenleistung zu verdienen: Bereitschaft zu jeder Arbeit, fleißiger Besuch der Behörde, anstelliges und demütiges<br />

Verhalten gegenüber dem Sachbearbeiter der Agentur und dem Rest der Obrigkeit. M<strong>in</strong>destens.<br />

177 MEW 23, S.180f<br />

178 In e<strong>in</strong>er Fußnote erläutert M. diesen Punkt, der für ihn <strong>von</strong> zentraler Bedeutung ist: "Die Kapitalbildung muß<br />

möglich se<strong>in</strong>, auch wenn der Warenpreis gleich dem Warenwert. Sie kann nicht aus der Abweichung der Warenpreise<br />

<strong>von</strong> den Warenwerten erklärt werden. Weichen die Preise <strong>von</strong> den Werten wirklich ab, so muß man sie<br />

erst auf die letzteren reduzieren, d.h. <strong>von</strong> diesem Umstande als e<strong>in</strong>em zufälligen absehn, um das Phänomen der<br />

Kapitalbildung auf Grundlage des Warenaustauschs re<strong>in</strong> vor sich zu haben und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Beobachtung nicht<br />

durch störende und dem eigentlichen Verlauf fremde Nebenumstände verwirrt zu werden. Man weiß übrigens,<br />

daß diese Reduktion ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e bloß wissenschaftliche Prozedur ist. Die beständigen Oszillationen der<br />

Marktpreise, ihr Steigen und S<strong>in</strong>ken, kompensieren sich, heben sich wechselseitig auf und reduzieren sich selbst<br />

zum Durchschnittspreis als ihrer <strong>in</strong>neren Regel. Diese bildet den Leitstern z.B. des Kaufmanns oder des Industriellen<br />

<strong>in</strong> jeder Unternehmung, die längeren Zeitraum umfaßt. Er weiß also, daß, e<strong>in</strong>e längere Periode im ganzen betrachtet,<br />

die Waren wirklich weder unter noch über, sondern zu ihrem Durchschnittspreis verkauft werden. Wäre<br />

<strong>in</strong>teresseloses Denken also überhaupt se<strong>in</strong> Interesse, so müßte er sich das Problem der Kapitalbildung so stellen:<br />

Wie kann Kapital entstehn bei der Regelung der Preise durch den Durchschnittspreis, d.h. <strong>in</strong> letzter Instanz durch<br />

den Wert der Ware? Ich sage '<strong>in</strong> letzter Instanz', weil die Durchschnittspreise nicht direkt mit den Wertgrößen der<br />

Waren zusammenfallen, wie A. Smith, Ricardo usw. glauben." (MEW 23, S.181 Fußnote)<br />

179 MEW 23, S.181<br />

180 MEW 23, S.183. Wichtig: Der freie Arbeiter ist ke<strong>in</strong> Sklave. Er ist formal frei <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Handeln und kann daher<br />

mit anderen e<strong>in</strong>en Vertrag über den Gebrauch se<strong>in</strong>er Arbeitskraft abschließen, diesen Vertrag aber auch kündigen<br />

und mit anderem Vertragspartner e<strong>in</strong>en neuen e<strong>in</strong>gehen.<br />

181 Deshalb ist die Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise sowohl e<strong>in</strong> Prozess der Befreiung <strong>von</strong><br />

den sozialen und rechtlichen E<strong>in</strong>schränkungen der feudalen Ordnung, häufig voran getrieben durch politische Revolutionen,<br />

wie auch e<strong>in</strong> Prozess der ökonomischen, häufig aber auch der gewaltsamen Enteignung ehemals<br />

selbständiger Handwerker und Bauern. Die ehemals selbständigen Produzenten werden <strong>von</strong> ihrer traditionellen<br />

Art des Lebensunterhalts befreit. Mit dieser Befreiung werden viele Hofgeme<strong>in</strong>schaften und Handwerksbetriebe<br />

aufgelöst und auch alle durch sie ökonomisch versorgten Menschen ebenfalls befreit. Wenn uns auch die Entwicklung<br />

<strong>von</strong> Technik und Arbeitsproduktivität im Kapitalismus bee<strong>in</strong>druckt und M. mehr als e<strong>in</strong>mal zu Lobeshymnen<br />

über die Leistungen der Bourgeoisie stimuliert. Es ist e<strong>in</strong> widersprüchlicher Prozess, was sonst? So sehr<br />

<strong>in</strong> revolutionären Zeiten die Befreiung <strong>von</strong> den feudalen Zwängen große Begeisterung und e<strong>in</strong>e Menge Illusionen<br />

hervorbrachte. In den ruhigen Zeiten äußert sich ebenso stark die romantische Er<strong>in</strong>nerung an die vergangene<br />

Ordnung, <strong>in</strong> der jeder se<strong>in</strong>en Platz hatte.<br />

Man könnte hier e<strong>in</strong>werfen, dass heute jedenfalls jeder Arbeitnehmer das Recht und die Freiheit besitzt, selbständig<br />

zu werden. Richtig. Jeder darf e<strong>in</strong>e Pizzeria, e<strong>in</strong>e Kneipe, e<strong>in</strong>e Softwareschmiede, e<strong>in</strong>en Kaufhauskonzern,<br />

e<strong>in</strong> Stahlwerk, e<strong>in</strong>e Halbleiterfabrik, e<strong>in</strong>en Erdöl- oder Stromkonzern gründen... Gut, bleiben wir bei Pizzeria<br />

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