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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Nur gibt uns die Oberfläche ke<strong>in</strong>en Aufschluß auf die tiefer liegenden Ursachen. Und so wird alles<br />

verdreht, wie man es gerade braucht.<br />

M. geht völlig anders an die Frage heran. Für ihn ist Arbeitslosigkeit e<strong>in</strong>e mit der Produktionsweise<br />

direkt verbundene Ersche<strong>in</strong>ung. Natürlich weiß er, dass es zu allen Zeiten Tagelöhner gegeben<br />

hat und also auch Menschen, die tageweise und länger ohne Erwerbsquelle waren. Aber<br />

was zeichnet die Arbeitslosigkeit <strong>in</strong>nerhalb der kapitalistischen Produktionsweise aus? Wie kann<br />

es se<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong>e immer weiter expandierende, immer mehr produzierende, ganz auf Wachstum<br />

ausgerichtete Produktionsweise <strong>von</strong> Arbeitslosigkeit offenbar begleitet wird?<br />

M.s Perspektive ist nicht die des Arbeitsmarktforschers, der die Arbeitslosen zählt, Schaubilder<br />

malt, <strong>in</strong>dividuelle Merkmale der Arbeitslosen aufdröselt und aus dem Umstand, dass sich ger<strong>in</strong>ger<br />

qualifizierte Arbeitskräfte unter den Arbeitslosen häufiger f<strong>in</strong>den als qualifizierte, sofort ableitet:<br />

Alles nur e<strong>in</strong> Problem der Qualifikation! Denn nach jeder Qualifizierungsoffensive gibt es<br />

immer wieder aufs Neue ger<strong>in</strong>ger qualifizierte Arbeitslose. Und wenn es das nicht ist, ist es<br />

plötzlich die "fehlende Flexibilität" oder das "Anspruchsdenken" oder e<strong>in</strong>fach das enorm hohe<br />

Lebensalter <strong>von</strong> 50 Jahren... Immer neue verme<strong>in</strong>tliche Ursachen der Arbeitslosigkeit werden uns<br />

auf diese Weise <strong>in</strong> wissenschaftlichen Schaubildern präsentiert und über die Medien verbreitet.<br />

344<br />

Für M. ist das, was wir heute Arbeitslosigkeit nennen, e<strong>in</strong> notwendiges und dauerhaftes Resultat<br />

der kapitalistischen Akkumulation; sie erzeugt "im Verhältnis zu ihrer Energie und ihrem Umfang,<br />

beständig e<strong>in</strong>e relative, d.h. für die mittleren Verwertungsbedürfnisse des Kapitals überschüssige,<br />

daher überflüssige oder Zuschuß-Arbeiterbevölkerung." 345 Arbeitslosigkeit entsteht<br />

nicht, weil es zu viel Bevölkerung gibt, wie man zu M.s Zeiten allenthalben behauptete. Sie entsteht<br />

genauso bei s<strong>in</strong>kender Bevölkerungszahl. Was M. die "mittleren Verwertungsbedürfnisse"<br />

nennt, ist der gedachte Durchschnitt: Da im Wechsel der Akkumulationsregimes, der Krisen und<br />

Aufschwünge mal e<strong>in</strong>e Zufuhr an Arbeitskräften erforderlich ist, mal Arbeitskräfte freigesetzt<br />

werden, wird e<strong>in</strong> Reservoir an Arbeitskräften benötigt, das mal Arbeitskräfte liefert, mal Arbeitskräfte<br />

aufnimmt, und so die wechselnden Verwertungsbedürfnisse befriedigt. Dieses Reservoir<br />

bezeichnet M. als <strong>in</strong>dustrielle Reservearmee.<br />

Gefällt uns der Begriff? 346 Er kl<strong>in</strong>gt ähnlich martialisch wie das Wort "Bürgerkrieg", mit dem M.<br />

den fortdauernden Klassenkampf um den Normalarbeitstag bezeichnete. Es steht jedem frei,<br />

stattdessen <strong>von</strong> Arbeitslosen oder <strong>von</strong> der Arbeiterklasse im Wartestand oder auch <strong>von</strong> Klienten<br />

der Bundesagentur für Arbeit zu reden. Wir werden im Folgenden bei M.s Bezeichnung bleiben.<br />

Erstens geht es <strong>in</strong> unserem Text <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie um ihn; wir werden ihn bisweilen kritisieren und<br />

ergänzen, aber gewiß nicht schulmeistern. Zweitens nehmen wir se<strong>in</strong>e Begriffe, die uns dressierten<br />

Tarifvertragsverhandlungspartnern schrill <strong>in</strong> den Ohren kl<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong>fach als Mahnung. Sie er<strong>in</strong>nern<br />

uns daran, dass die Opfer der kapitalistischen Produktionsweise nach Millionen zählen.<br />

Tag für Tag kommen weltweit neue h<strong>in</strong>zu, vor allem dort, wo der Klassenkampf noch nicht oder<br />

nicht mehr ausreicht, um den Verwertungszwang <strong>in</strong> "bequeme und liberale" Formen zu br<strong>in</strong>gen,<br />

wie M. das an anderer Stelle glossierte.<br />

Die "<strong>in</strong>dustrielle Reservearmee" umfaßt nicht etwa die restliche Bevölkerung außerhalb der kapitalistischen<br />

Produktion. Sie wird durch die Arbeiterbevölkerung gebildet, deren Arbeitskraft vorübergehend<br />

für die Unternehmen nicht mehr produktiv verwertbar ist. Gleichzeitig ist die Reservearmee<br />

Sammelstelle für die <strong>Teil</strong>e der Bevölkerung, die durch die fortschreitende Kapitalisierung<br />

der Gesellschaft aus ihren alten B<strong>in</strong>dungen gelöst und zu Arbeit suchenden Lohnabhängi-<br />

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