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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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verdammt angenehm für e<strong>in</strong>en Mann, wenn se<strong>in</strong>e Frau <strong>in</strong> der Phantasie e<strong>in</strong>er ganzen Stadt so als 'verwunschene<br />

Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong>' fortlebt." (MEW 30, S.643) Und nicht zuletzt schmeichelt es der eigenen Eitelkeit, Herr M., oder?<br />

�Jenny <strong>Marx</strong> (1814-1881)<br />

63 Akribisch hat M. Statistiken über die Schandtaten des englischen Kapitalismus studiert und immer wieder zur<br />

Illustration <strong>in</strong> das Kapital übernommen. So weist er im Kapitel "Ersparnis an den Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen auf Kosten<br />

der Arbeiter" darauf h<strong>in</strong>, dass zwischen 1852 und 1861 die Bergwerks<strong>in</strong>spektoren <strong>von</strong> m<strong>in</strong>destens 8466 tödlichen<br />

Unfällen berichten: "Diese Menschenopfer s<strong>in</strong>d größtenteils geschuldet dem schmutzigen Geiz der Grubenbesitzer."<br />

(MEW 25, S.98) <strong>Das</strong> nur zur Begründung, warum wir das Wort "kannibalisch" ohne E<strong>in</strong>schränkung auf<br />

die kapitalistische Produktionsweise anwenden. Ähnliche Statististiken könnte man für die Gegenwart <strong>in</strong> vielen<br />

<strong>Teil</strong>en der Welt erstellen, <strong>in</strong> denen sich kapitalistische Produktionsweise unbehelligt wie <strong>in</strong> alten europäischen<br />

Zeiten austobt. Es war e<strong>in</strong> System, das Millionen Menschenleben vernichtet, um den Profit zu sichern. Und es ist<br />

e<strong>in</strong> solches System nach wie vor, wenn sich auch se<strong>in</strong>e übelsten Schandtaten besser verbergen und sich für uns,<br />

die Bewohner der privilegierten Kernländer des Kapitalismus, sche<strong>in</strong>bar nur noch als Probleme der Peripherie darstellen.<br />

Wir werden auf unserer Reise durch das "Kapital" jedoch ke<strong>in</strong> laufendes Schuldenkonto des Kapitalismus<br />

führen. Die globalisierungskritische Literatur liefert dafür reichhaltiges Material.<br />

64 Im heutigen Polit-Jargon würde man vermutlich <strong>von</strong> M.s Vision reden. <strong>Das</strong> er<strong>in</strong>nert uns aber zu sehr an den<br />

Genuß <strong>von</strong> Fliegenpilzen. Und vermutlich hätte Engels uns flugs mit "Die Entwicklung des Sozialismus <strong>von</strong> der<br />

Vision zur Wissenschaft" die passende Antwort geschrieben. Auch das Wort "Projekt" hätte M. nicht behagt.<br />

Se<strong>in</strong>e Bezeichnungen waren allemal schwungvoller und mitreißender. "Aus dem Reich der Notwendigkeit <strong>in</strong> das<br />

Reich der Freiheit!" <strong>Das</strong> hat was... wenn man M.s Zusatz beachtet: "das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit<br />

als se<strong>in</strong>er Basis aufblühn kann." (MEW 25, S.828) Ob die Politische Ökonomie für dieses Projekt wirklich<br />

der erhoffte zuverlässige Wegweiser se<strong>in</strong> kann? Wir werden sehen.<br />

65 Es war Franz Petry, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er wirklich klugen <strong>Marx</strong>-Kritik dessen reiche H<strong>in</strong>terlassenschaft so beschrieben<br />

hat: "Daß die ökonomische Theorie <strong>von</strong> <strong>Marx</strong> bei der Gew<strong>in</strong>nung ihrer Ergebnisse e<strong>in</strong>e eigen geartete Methode<br />

verfolge, hat <strong>Marx</strong> <strong>in</strong> der Betonung se<strong>in</strong>es Gegensatzes sowohl gegenüber der klassischen Schule als auch der<br />

<strong>von</strong> ihm als 'Vulgärökonomie' bezeichneten Richtung ausdrücklich hervorgehoben. Schwieriger ist es aber nun,<br />

diese Methode selbst klar zu charakterisieren, denn <strong>Marx</strong>' positivistisch gerichteter S<strong>in</strong>n ließ ihn allen prälim<strong>in</strong>ierenden<br />

methodologischen und erkenntnistheoretischen Ausführungen abhold se<strong>in</strong>; er verwob sie <strong>in</strong> den Stoff<br />

selbst, aus dem wir sie nun herausarbeiten müssen." (Franz Petry, Der soziale Gehalt der marxschen Werttheorie;<br />

1916)<br />

66 M.s Gewohnheit, se<strong>in</strong>e Gedanken und <strong>in</strong>nere Diskussion zu notieren und Zwischenergebnisse im Briefwechsel<br />

mit vielen Personen, vornehmlich mit Engels, zu testen, führten zwar zu e<strong>in</strong>em ungeheuerlichen Durche<strong>in</strong>ander<br />

an Manuskripten und anderen schriftlichen Zeugnissen. Aber die <strong>in</strong> weiten <strong>Teil</strong>en der sozialistischen Bewegung<br />

herrschende Verehrung für <strong>Marx</strong> führte gleichzeitig dazu, dass der größte <strong>Teil</strong> dieser Texte erhalten blieb. Jetzt<br />

schon und immer mehr bei weiterem Fortgang der MEGA verfügen wir vermutlich für ke<strong>in</strong>e andere Forschungsarbeit<br />

über so viel Material wie für das "Kapital". <strong>E<strong>in</strong>e</strong> längst noch nicht erschlossene Fundgrube für alle, die mehr<br />

über das Zustandekommen gesellschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse wissen wollen.<br />

67 Die Charakterisierung <strong>von</strong> M.s Methode als E<strong>in</strong>heit <strong>von</strong> historischer und logischer Analyse geht auf Engels zurück,<br />

der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Rezension zu M.s Arbeit "Zur Kritik der politischen Ökonomie" <strong>von</strong> 1859 zu dieser Frage e<strong>in</strong>e<br />

Menge Werbung betreibt. Er kommt dann zu der Feststellung: "Die logische Behandlungsweise war also alle<strong>in</strong><br />

am Platz. Diese aber ist <strong>in</strong> der Tat nichts andres als die historische, nur entkleidet der historischen Form und der<br />

störenden Zufälligkeiten. Womit diese Geschichte anfängt, damit muß der Gedankengang ebenfalls anfangen,<br />

und se<strong>in</strong> weiterer Fortgang wird nichts se<strong>in</strong> als das Spiegelbild, <strong>in</strong> abstrakter und theoretisch konsequenter Form,<br />

des historischen Verlaufs; e<strong>in</strong> korrigiertes Spiegelbild, aber korrigiert nach Gesetzen, die der wirkliche geschichtliche<br />

Verlauf selbst an die Hand gibt, <strong>in</strong>dem jedes Moment auf dem Entwicklungsmoment se<strong>in</strong>er vollen Reife, se<strong>in</strong>er<br />

Klassizität betrachtet werden kann." (MEW 13, S.475) M.s tatsächliches Vorgehen (das, was am Ende übrig<br />

blieb und das "Kapital" bildet) ist für uns nicht auf das "Logische" zurückgeführte, verdünnte Geschichte, sondern<br />

der Versuch, das Allgeme<strong>in</strong>e, die "ökonomische Struktur" im historischen Stoff zu f<strong>in</strong>den. Ob das gelungen<br />

ist und ob das für heutige Analysen ausreicht, wird zu prüfen se<strong>in</strong>. Wir gehen da<strong>von</strong> aus, dass dem historischen<br />

Stoff, <strong>von</strong> dem das empirische Wissen über unsere eigene Gesellschaft immer e<strong>in</strong> <strong>Teil</strong> ist, unbed<strong>in</strong>gt der Vorrang<br />

e<strong>in</strong>geräumt wird. Deshalb wählen wir "strukturelle Analyse", die sich am Stoff bewähren muß, und greifen damit<br />

M.s Formulierung <strong>von</strong> der "ökonomischen Struktur der Gesellschaft" auf. Allen E<strong>in</strong>lassungen mit dem Bombast<br />

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