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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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en nicht. <strong>Das</strong> s<strong>in</strong>d Punkte, wo die Ste<strong>in</strong>-auf-Ste<strong>in</strong>-Methode für heutige Leser überstrapaziert wird. Vor allem unsere<br />

Leser, die wenig Erfahrung mit dem methodischen Geplänkel polit-ökonomischer Debatten haben, sollen<br />

nicht allzusehr <strong>in</strong> Stress geraten oder gar das Gefühl bekommen, auf den Arm genommen zu werden. Wir lüften<br />

manche <strong>von</strong> M.s Geheimnissen deshalb schon vor der methodisch vielleicht gebotenen Zeit. Richtig "geheim"<br />

s<strong>in</strong>d die ja schon lange nicht mehr.<br />

249 Höchstens nach <strong>Teil</strong>nahme an e<strong>in</strong>er entsprechenden Schulung <strong>in</strong> Politischer Ökonomie oder nach dem Studium<br />

unseres Textes. Es steht jedem frei, die Sache mit dem Mehrwert sehr persönlich zu nehmen. Aber es wäre<br />

bestenfalls e<strong>in</strong> agitatorischer Scherz, wenn man etwa nach 4 Stunden Arbeit ernsthaft und lauthals das Ende der<br />

notwendigen und den Beg<strong>in</strong>n der Mehrarbeitszeit verkündet. Wir erzeugen den Mehrwert weder zeitlich separiert<br />

noch e<strong>in</strong>zeln. Er bleibt das gesellschaftliche Produkt des Gesamtarbeiters. Unsere eigene tagtägliche Leistung <strong>in</strong><br />

der betrieblichen Tretmühle ist dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gebettet.<br />

250 Im <strong>1.</strong> Band des "Kapital" ist das umfangreiche Mehrwertkapitel deshalb <strong>in</strong> gewisser Weise passend, aber<br />

auch dem Plan der Darstellung vorauseilend. Es paßt, weil es hier um den Kern <strong>von</strong> M.s Theorie geht, ohne den<br />

alles weitere ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n ergäbe. Es ist vorauseilend, weil M. nicht umh<strong>in</strong> kann, hier schon die Konkurrenz zwischen<br />

den Kapitalen <strong>in</strong> die Überlegungen e<strong>in</strong>zubeziehen (was umfassend erst im 3. Band erfolgt) und den "Extramehrwert"<br />

als Antrieb der e<strong>in</strong>zelnen Kapitale zur Steigerung der Arbeitsproduktivität zu nutzen. Wir er<strong>in</strong>nern<br />

uns: In der Mehrwerttheorie wird ja gerade das gesellschaftliche Produktionsverhältnis als Quelle des Mehrwerts<br />

genannt. Für das E<strong>in</strong>zelkapital tritt der Mehrwert, wie wir sehen werden, nur als Profit auf. Deshalb kann das<br />

e<strong>in</strong>zelne Kapital durch technische Innovation eigentlich ke<strong>in</strong>en "Extramehrwert", sondern nur Extraprofit erzeugen.<br />

M. nimmt diese begriffliche Ungenauigkeit (wie manche andere) gelassen h<strong>in</strong>, weil es ihm wichtiger ist, den<br />

Antrieb des Kapitals zur Technisierung der Produktion auch an dieser Stelle schon mal begreifbar zu machen, ohne<br />

auf den dritten Band des "Kapital" zu verweisen, <strong>von</strong> dem er zu diesem Zeitpunkt gar nicht wissen konnte, ob<br />

der je ersche<strong>in</strong>en würde. Und das war weitsichtig, denn se<strong>in</strong>e Ausführungen zur Rolle der Durchschnittsprofitrate<br />

und des Extraprofits wurden uns ja tatsächlich erst lange nach M.s Tod durch Engels' Herausgabe des 3. Bandes<br />

1894 zugänglich gemacht.<br />

251 <strong>Das</strong> Kapitel heißt "Der Arbeitstag" (MEW 23, S.245ff).<br />

252 E<strong>in</strong> besondere Variante <strong>in</strong> der Erzeugung diszipl<strong>in</strong>ierter Manufakturarbeiter entwickelte sich <strong>in</strong> Preußen, wo<br />

Soldaten und deren Ehefrauen an Manufakturen vermietet wurden und <strong>in</strong> den Sp<strong>in</strong>nereien arbeiten mußten, um<br />

den wachsenden Tuchbedarf (nicht zuletzt der preußischen Armee) zu decken. Dabei erhielt der Kompaniechef<br />

für die soldatischen Leiharbeiter die Hälfte des Solds. Die Soldaten und ihre Frauen erhielten für die Dauer der<br />

"Beurlaubung" die andere Hälfte und kümmerlichen Lohn. Genaugenommen handelt es sich um e<strong>in</strong>en Vorläufer<br />

unserer heutigen Leiharbeit, ganz ohne Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Der Manufakturbesitzer erhielt Arbeitskräfte,<br />

die der Militärgerichtsbarkeit unterlagen, also nicht e<strong>in</strong>fach gehen konnten, wenn ihnen danach war.<br />

Denn genau das passierte zum Kummer der Manufakturbetreiber immer wieder, wenn er auf den doppelt freien<br />

Lohnarbeiter zurückgreifen mußte. Wer genug verdient hatte, machte sich da<strong>von</strong>, um <strong>von</strong> se<strong>in</strong>em Verdienst erst<br />

e<strong>in</strong>mal ohne Plackerei zu leben. Kapitalistische Lohnarbeit kam ke<strong>in</strong>eswegs als Traum der Massen <strong>in</strong> die Welt,<br />

eher schon als Albtraum.<br />

253 Oder gar Nachtarbeit? Noch vor 200 Jahren wäre die Forderung nach Nachtarbeit nicht e<strong>in</strong>mal dem Hirn e<strong>in</strong>es<br />

umnachteten Kapitalisten entsprungen. Es dauert aber nicht lange, dann erwächst aus dem Bedürfnis der<br />

Kapitalisten, die neu entstandene teure Masch<strong>in</strong>erie nicht die halbe Nacht als totes Kapital ruhen, sondern ihr<br />

Tag wie Nacht leben e<strong>in</strong>hauchen zu lassen, e<strong>in</strong>e neue "Naturnotwendigkeit" mit dem Namen Nachtarbeit. <strong>Das</strong><br />

durchaus Kannibalische dieses Triebs beschreibt M.: "Die Verlängrung des Arbeitstags über die Grenzen des natürlichen<br />

Tags <strong>in</strong> die Nacht h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> wirkt nur als Palliativ (= Mittel zur L<strong>in</strong>derung der Symptome), stillt nur annähernd<br />

den Vampyrdurst nach lebendigem Arbeitsblut. Arbeit während aller 24 Stunden des Tags anzueignen ist<br />

daher der immanente Trieb der kapitalistischen Produktion. Da dies aber physisch unmöglich, würden dieselben<br />

Arbeitskräfte Tag und Nacht fortwährend ausgesaugt, so bedarf es, zur Überw<strong>in</strong>dung des physischen H<strong>in</strong>dernisses,<br />

der Abwechslung zwischen den bei Tag und Nacht verspeisten Arbeitskräften." (MEW 23, S.271) Tatsächlich<br />

stehen der allgeme<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>führung <strong>von</strong> Tag-Nacht-Schichten zu M.s Zeiten erhebliche moralische Bedenken der<br />

englischen Öffentlichkeit gegenüber. Die Bedenken äußern sich vor allem mediz<strong>in</strong>isch und betonen zum Beispiel<br />

die schädlichen Auswirkungen der Nachtarbeit auf die Gehirnfunktionen. M. dazu trocken: "Daß solche D<strong>in</strong>ge<br />

überhaupt den Gegenstand ernsthafter Kontroversen bilden, zeigt am besten, wie die kapitalistische Produktion<br />

auf die 'Gehirnfunktionen' der Kapitalisten und ihrer reta<strong>in</strong>ers (= Gefolgsleute) wirkt." (MEW 23, S.273, Fußno-<br />

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