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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Massen <strong>von</strong> Händen und Instrumenten, die es vorf<strong>in</strong>det. Es agglomeriert sie unter se<strong>in</strong>er Botmäßigkeit. <strong>Das</strong> ist<br />

se<strong>in</strong> wirkliches Anhäufen; das Anhäufen <strong>von</strong> Arbeitern auf Punkten nebst ihren Instrumenten." (MEW 42, S.415)<br />

Was wir als Akkumulationsprozess des Kapitals kennenlernten, ist auf der anderen Seite Anhäufung <strong>von</strong> Menschenmassen.<br />

Was so unsche<strong>in</strong>bar mit unserm Verwertungsschema begann, zeigt jetzt volle Wirkung auf Städte<br />

und Siedlunsstrukturen, auf unsere Umwelt, auf die Natur. Zu M.s Zeit ist dieser Prozess längst im Gange.<br />

Bereits 1863 wird die erste U-Bahn-Strecke <strong>in</strong> London eröffnet, der rasch weitere folgen. Schon die seit 1830 <strong>in</strong><br />

Massen e<strong>in</strong>gesetzten Pferdeomnibusse hatten der kont<strong>in</strong>uierlichen Versorgung der Produktionsstätten mit Arbeitskräften<br />

e<strong>in</strong>e erste technische Grundlage gegeben. Jetzt kommt es mit dem neuen Transportmittel, der "Tube",<br />

schnell zur Entstehung großer Arbeiterviertel am Stadtrand. <strong>Das</strong> alles mit dem e<strong>in</strong>en Ziel: Stetige Verfügbarkeit<br />

<strong>von</strong> Arbeitskräften und möglichst reibungslose Zirkulation der anderen Waren. Was <strong>in</strong> London passiert, passiert<br />

<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>erem Maßstab <strong>in</strong> allen <strong>in</strong>dustriellen Zentren der sich ausbreitenden kapitalistischen Welt.<br />

382 <strong>Das</strong> alles entwickelt sich nicht absichtsvoll, etwa durch übergreifende Absprache und Planung, sondern verwirklicht<br />

sich über die Konkurrenz der Marktteilnehmer. Um es noch e<strong>in</strong>mal zu sagen: Konkurrenz ist hier nicht<br />

nur der Wettbewerb zwischen Produzenten gleicher Branche. Es ist für den Unternehmer immer auch Konkurrenz<br />

um die Kaufkraft und damit Konkurrenz mit vielen Kapitalen um den Anteil am gesellschaftlichen Mehrwert.<br />

Ist die kapitalistische Produktionsweise also nur getarntes Chaos? Wer e<strong>in</strong>mal das zweifelhafte Vergnügen hatte,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Konzernzentrale zu arbeiten, weiß, wie akribisch man dort alle Vorhaben plant. Im Handeln der Akteure<br />

steckt immer e<strong>in</strong>e Menge an Planung und Absprachen <strong>in</strong>nerhalb des Unternehmens und mit anderen Unternehmen:<br />

Statt immer wieder Kohle zu kaufen, wird e<strong>in</strong> Unternehmen mit berechenbarem Kohlebedarf Lieferverträge<br />

mit anderen Unternehmen aushandeln, die sowohl dem Käufer wie auch dem Verkäufer Vorteile br<strong>in</strong>gen. Wer<br />

se<strong>in</strong>en Masch<strong>in</strong>enpark erneuert, kauft den nicht auf dem Wochenmarkt, sondern läßt sich alles paßgenau zu festen<br />

Preisen herstellen.<br />

Aber solche Maßnahmen verfolgen nicht das Ziel, den Gesamtprozess zu planen, sondern nur den eigenen Weg<br />

durch den Dschungel der Konkurrenz etwas sicherer und berechenbarer zu machen. Unabhängig da<strong>von</strong> lauern<br />

genug Gefahren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Netzwerk dicht verwobener, aber für sich selbständiger Prozesse, denen jede Preisschwankung,<br />

jede Z<strong>in</strong>sveränderung, jedes Abflauen <strong>von</strong> Nachfragen an irgende<strong>in</strong>er Stelle des Netzes, sogar an<br />

weit entfernten Stellen, höchste Gefahren bescheren kann. Unbekannterweise...<br />

383 "Durch die Verwandlung <strong>von</strong> Geldkapital <strong>in</strong> produktives Kapital hat der Kapitalwert e<strong>in</strong>e Naturalform erhalten,<br />

wor<strong>in</strong> er nicht fortzirkulieren kann, sondern <strong>in</strong> die Konsumtion, nämlich <strong>in</strong> die produktive Konsumtion,<br />

e<strong>in</strong>gehn muß." (MEW 24, S.40)<br />

384 Als "Primat der Produktion" hat sich dieser Grundsatz <strong>in</strong> der marxistischen Literatur zu dogmatischer Qualität<br />

verdichtet. Was am Ende dazu führte, dass <strong>in</strong> den sozialistischen Ländern (deren Führungskräfte angeblich marxistisch<br />

gebildet waren) diese Erkenntnis zwar immer wieder verkündet, <strong>in</strong> der politischen Praxis jedoch ebensooft<br />

ignoriert wurde.<br />

Dogma h<strong>in</strong> oder her: Selbstverständlich steht auch für uns die Produktion als Fundament aller sozialen Prozesse<br />

außer Zweifel, und die meisten würden diesem Grundsatz, so allgeme<strong>in</strong> formuliert, wohl auch sofort zustimmen.<br />

Trotzdem kommt es immer wieder zu erstaunlichen Verirrungen, <strong>von</strong> denen die Diskussion über die aktuelle Wirtschaftskrise<br />

nur das seit langem auffälligste Beispiel ist.<br />

Sogar viele kapitalismus-kritische, marxistisch <strong>in</strong>spirierte Analysen dieser Krise nahmen sie als F<strong>in</strong>anzkrise mit<br />

Auswirkungen auf die "Realwirtschaft". Ganz so, als ob das auf den F<strong>in</strong>anzmärkten zirkulierende und nach Verwertung<br />

stöbernde Geld <strong>von</strong> F<strong>in</strong>anzmarktfuzzies irgendwo agrarisch geerntet oder ungeschlechtlich vermehrt und<br />

dann mißbraucht worden sei; als ob diese Überakkumulation (oder Verwertungskrise) nicht <strong>in</strong> der Produktionssphäre<br />

wurzelt; als ob die Geschichte dieser Krise wirklich den Subprime-Hypotheken entsprungen wäre. Genauso<br />

könnte man sagen, die Ursache e<strong>in</strong>es Vulkanausbruchs sei die dünne Erdschicht an dieser Stelle. Die oft zu<br />

hörende These <strong>von</strong> der "relativen Verselbständigung der F<strong>in</strong>anzmärkte" (der wir durchaus zustimmen) hilft nicht<br />

weiter, wenn man nicht gleichzeitig den systemischen Zusammenhang <strong>von</strong> Produktion und F<strong>in</strong>anzmarkt für den<br />

heutigen Kapitalismus beachtet; wenn man nicht die Funktion dieser relativen Selbständigkeit und ihre Grenzen<br />

benennt. Dazu mehr im dritten <strong>Teil</strong> unserer <strong>Spurensuche</strong>, <strong>in</strong> dem wir versuchen, M.s Erkenntnisse anzuwenden.<br />

<strong>Das</strong> wird e<strong>in</strong>e Art Elchtest, bei dem es auch darum geht zu prüfen, ob uns M.s spezielle Sicht auch für die aktuelle<br />

Weltwirtschaftskrise zu tieferen E<strong>in</strong>sichten verhilft.<br />

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