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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Jahnkes Interpretation läuft letztlich darauf h<strong>in</strong>aus, <strong>in</strong> solchen Entwicklungen Fehler der Politik zu sehen; er<br />

spricht sogar <strong>von</strong> Sünden. Triebkräfte dieser moralischen Fehltritte sche<strong>in</strong>en für ihn die weltwirtschaftlichen Verflechtungen<br />

zu se<strong>in</strong>: Ch<strong>in</strong>as Preisdump<strong>in</strong>g und osteuropäisches Sozialdump<strong>in</strong>g s<strong>in</strong>d praktische Erklärungen, weil<br />

sie e<strong>in</strong>en äußeren Gegner ausmachen. Die Erklärungen treffen durchaus gewichtige Punkte, s<strong>in</strong>d aber nicht wirklich<br />

entscheidend.<br />

Unsere Interpretation, die vom absoluten und relativen Mehrwert ausgeht, greift weiter aus. Die Grafik zeigt uns<br />

<strong>in</strong> komprimierter Form die Folgen umfassender Maßnahmen zur Sicherung des Mehrwerts. Diese Maßnahmen<br />

werden nicht <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a oder Rumänien, sondern <strong>in</strong> den Konzernzentralen gefaßt. <strong>Das</strong> s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e hilflosen Reflexe<br />

auf äußere Ereignisse, sondern stellt e<strong>in</strong> politisch-ökonomisches Dauerprogramm dar, das seit 1990 unter den<br />

veränderten Bed<strong>in</strong>gungen nur modernisiert wird. Wie dieses Programm aussieht, wird uns später noch beschäftigen.<br />

282 Wenn nämlich Unternehmer <strong>in</strong> Deutschland ihren vor mehr als 50 Jahren vere<strong>in</strong>barten "Arbeitnehmeranteil"<br />

an den Sozialabgaben schrittweise den Beschäftigten aufbürden, ist das nichts anderes als geschickte Lohnkürzung.<br />

<strong>Das</strong>selbe gilt natürlich für den Abbau sogenannter "außertariflicher Leistungen", vom Zuschuß zum Kant<strong>in</strong>enessen<br />

über Urlaubsgeld bis zum 13. Monatsgehalt. Genaugenommen fällt auch die Kürzung der Unternehmenssteuern<br />

unter diesen Punkt. Denn wesentliche Folge der ger<strong>in</strong>geren Steuere<strong>in</strong>nahmen des Staates ist die<br />

Abwälzung <strong>von</strong> Kosten auf die Lohnempfänger. <strong>Das</strong> reicht <strong>von</strong> Zuzahlungen zu Medikamenten über die Praxisgebühr<br />

bis h<strong>in</strong> zu teuren Zusatzversicherungen für Gesundheits- und Altersversorgung.<br />

So bleibt der Lohn formal gleich, erhöht sich vielleicht sogar. Aber durch zunehmende Zwangsausgaben s<strong>in</strong>kt er<br />

real. Sogar <strong>in</strong> den Jahren 2003 bis 2007, die für Deutschland kuriose Jahre e<strong>in</strong>es Aufschwungs waren, den niemand<br />

recht bemerkte, s<strong>in</strong>d die realen Nettolöhne um 4,2 % gesunken. Besonders gravierend ist hier die gleichzeitige<br />

Polarisierung der Beschäftigten nach dem Lohne<strong>in</strong>kommen. Gemessen an den Stundenlöhnen g<strong>in</strong>g das<br />

reale E<strong>in</strong>kommen im unteren E<strong>in</strong>kommensviertel zwischen 1995 und 2006 um 14% zurück, während die höheren<br />

E<strong>in</strong>kommensgruppen noch Zuwächse um 4% erzielten. Da<strong>von</strong> hat die Inflation mit offiziellen Raten um 3% bis<br />

Herbst 2008* für die e<strong>in</strong>en kräftig an den Zuwächsen genagt, für die anderen den Reallohnverlust noch erhöht.<br />

Nur 2008 gab es erstmals wieder auf breiter Front Reallohnzuwächse, wenn auch bescheidener Art. Die haben<br />

immerh<strong>in</strong> die Ende 2008 e<strong>in</strong>setzende Rezession, das ist Schrumpfung der Wirtschaftskraft gemessen am Brutto<strong>in</strong>landsprodukt,<br />

anfänglich verlangsamt, werden aber <strong>in</strong> 2009 durch gestiegene Kurzarbeit und steigende Arbeitslosenzahlen<br />

aufgefressen.<br />

*Vor allem durch den Verfall er Erdölpreises seit Herbst 2008 ist die berechnete Inflationsrate gesunken. Aber<br />

auch das ist zum <strong>Teil</strong> Täuschung. Denn erstens ist die Preisentwicklung für Waren des täglichen Bedarfs auch <strong>in</strong><br />

der gegenwärtigen Krise noch aufwärts gerichtet, so dass untere E<strong>in</strong>kommensgruppen nach wie vor e<strong>in</strong>er spürbaren<br />

Inflation ausgesetzt s<strong>in</strong>d. Zum andern gilt ohneh<strong>in</strong> der Europäischen Zentralbank e<strong>in</strong>e Inflation knapp unter 2<br />

% als ideale Preisstabilität. Gegenwärtig (Juni 2009) steigen die Rohstoffpreise wieder deutlich an. Verbunden<br />

mit der exzessiven Geldpolitik der Zentralbanken wird die Inflation für 2010 oder 2011 und damit Reallohn- und<br />

Vermögensverluste vor allem für Arbeiter und Angestellte zu e<strong>in</strong>er bedrohlichen Gefahr.<br />

** Reallohn mißt den Lohn nicht als Geldmenge, sondern als Kaufkraft, betrachtet den Lohn danach, was damit<br />

an Gebrauchswerten gekauft werden kann. <strong>Das</strong> hat nichts mit dem Wert der Arbeitskraft zu tun. Der Wert der<br />

Arbeitskraft könnte sogar trotz gestiegenem Reallohn s<strong>in</strong>ken; dann nämlich, wenn durch steigende Arbeitsproduktivität<br />

die Preise der Waren stärker s<strong>in</strong>ken, die den Wert der Arbeitskraft bestimmen. Freilich dürfen wir dabei<br />

nicht nur uns selbst als E<strong>in</strong>zelperson sehen und an unsere alltäglichen Warenkäufe denken, sondern müssen den<br />

gesellschaftlichen Wert der Arbeitskraft im Auge behalten, also die Gesamtaufwendungen für den Gesamtarbeiter,<br />

se<strong>in</strong>e Erziehung, Ausbildung, Bereitstellung. <strong>Das</strong> ändert aber nichts an der Feststellung, dass steigender Reallohn<br />

für alle Beschäftigten zwar e<strong>in</strong>e erfreuliche Überraschung ist, aber nicht automatisch e<strong>in</strong>en steigenden Wert<br />

der Arbeitskraft signalisiert.<br />

283 Wir wollen nicht vergessen, dass <strong>in</strong> diesem Punkt auch die politische L<strong>in</strong>ie der Staatspolitik e<strong>in</strong>e Rolle spielt,<br />

<strong>in</strong> der sich die unterschiedlichen Interessen der Wirtschaftsgruppen immer wieder neu verb<strong>in</strong>den. Die Vertreter<br />

dieser Gruppen s<strong>in</strong>d ja nicht alle vom Hau-drauf-Typ. Es s<strong>in</strong>d erfahrene Strategen, die nicht nur die Kosten, sondern<br />

auch den oft größeren politischen Nutzen <strong>von</strong> Zugeständnissen kennen.<br />

284 Die Lohnverhältnisse s<strong>in</strong>d nicht geheim; was den Gesamtarbeiter betrifft, ist man auf Unternehmerseite dank<br />

<strong>in</strong>tensiver Datenerhebungen bestens über dessen Lebenshaltung <strong>in</strong>formiert.<br />

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