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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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juckt das schon: It's Fantasy... Offenbar gibt es <strong>in</strong> diesen virtuellen Landen immer ausreichend Bauern und<br />

Handwerker und Sklaven und andere arme schwitzende Tröpfe, die dergleichen dezent im H<strong>in</strong>tergrund erledigen.<br />

Besser s<strong>in</strong>d da schon die Simulationsspiele, die uns <strong>in</strong> wenigen Stunden aus der Jäger- und Sammlergesellschaft<br />

<strong>in</strong> die (offenbar) kapitalistische Geldwirtschaft mit "heavy traffic", E<strong>in</strong>kaufzentren und Kraftwerken katapultieren.<br />

Nur: Wem gehört das? Wer bestimmt die Richtung? (Jedenfalls nicht der SimCity-Bürgermeister, das ist klar.)<br />

Woher kommen eigentlich die Eigentums- und Machtverhältnisse, die <strong>in</strong> solchen Simulationen letztenendes immer<br />

schon dr<strong>in</strong>stecken? Denn Burgen und E<strong>in</strong>kaufzentren gehören irgendwem. Woher kommen diese Eigentumsverhältnisse?<br />

Wie entstehen sie? Die meisten historischen Fantasies und Spiele s<strong>in</strong>d unhistorisch. (Von den uns<br />

bekannten Autoren möchten wir Mr. Pratchett ausdrücklich ausnehmen. Die Fettm<strong>in</strong>en <strong>in</strong> Überwald und ihre<br />

Ausbeutung, die rituelle, militärische und ökonomische Funktion des Zwergen-Kampfbrots, die Organisation des<br />

Diebstahls als Mischung aus Versicherung und e<strong>in</strong>facher Räuberei, die Rettung der Ankh-Morpork-Post und der<br />

anarchische Kampf gegen Telekommunikationsmonopolisten: <strong>Das</strong> und vieles mehr s<strong>in</strong>d für jeden PolitÖkonomen<br />

wichtige Quellen der Inspiration. Confesso: Von Mr.Pratchett haben wir auch die Enten-Metapher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er früheren<br />

Anmerkung schöpferisch entliehen. Rückgabe leider nicht möglich.)<br />

Viele D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> den Fantasies und PC-Spielen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>fach da, werden als (ewige?) Gegebenheiten vorausgesetzt<br />

und haben so auf das Spiel auch sche<strong>in</strong>bar ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluß. Es s<strong>in</strong>d, soweit uns bekannt, historische Simulationen<br />

ohne wirkliche Geschichte. Trotz aller <strong>in</strong>teraktiver Elemente liegt diesen Spielen bereits e<strong>in</strong> nicht bee<strong>in</strong>flußbares<br />

Drehbuch zugrunde, das nach Ausstattung, Psychologie und Daramturgie exakt an Sandalen- und Piraten- und<br />

Ritter- und Rob<strong>in</strong> Hood-Filme er<strong>in</strong>nert, <strong>in</strong> denen Geschichte nur e<strong>in</strong>e Frage des Dekors ist. Sicher soll alles nur e<strong>in</strong><br />

Spiel se<strong>in</strong>, aber warum so suboptimal? Gemessen an der wirklichen Geschichte s<strong>in</strong>d diese Spiele doch ausserordentlich<br />

langweilig. Klar, als K<strong>in</strong>der des imperialistischen Zeitalters bieten Fantasy-Medien imperiale Kriege <strong>in</strong><br />

Mengen. Aber wo s<strong>in</strong>d die Bauernaufstände, die religiös-sozialen Gegenbewegungen, die enthaupteten Könige?<br />

Wo f<strong>in</strong>det die Politisierung ökonomischer Interessen ihren Ausdruck? Wo s<strong>in</strong>d die Massenstreiks und Streikbrecher,<br />

die Bürgerproteste, die Provokateure <strong>in</strong> Diensten der Polizei, die Meutereien, Barrikadenkämpfe und veritablen<br />

Revolutionen und Konterrevolutionen? - Was da überwiegend geboten wird, ist weichgespülte Geschichte<br />

ohne Triebkraft. Wirklich schade.<br />

229 Beiläufig angemerkt: Deshalb heißt M.s Hauptwerk auch "<strong>Das</strong> Kapital". Nicht weil er über Geld oder die<br />

Kunst des Geldmachens oder über "se<strong>in</strong>en Gegner" schreiben will. Auch gängige l<strong>in</strong>ke Stanzen wie "das Kapital<br />

läßt das niemals zu" oder "dem Kapital mal die Zähne zeigen" s<strong>in</strong>d vielleicht gut geme<strong>in</strong>t, mit M.s Theorie aber<br />

zum<strong>in</strong>dest begrifflich nicht kompatibel. "Kapital" hat nun mal für M. e<strong>in</strong>e ganz andere als die heutige landläufige<br />

Bedeutung. Es hat e<strong>in</strong>en historisch-soziologischen genauso wie e<strong>in</strong>en ökonomischen Inhalt. Politische Ökonomie<br />

eben.<br />

230 "Die Gestalten <strong>von</strong> Kapitalist und Grundeigentümer zeichne ich ke<strong>in</strong>eswegs <strong>in</strong> rosigem Licht. Aber es handelt<br />

sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien s<strong>in</strong>d, Träger <strong>von</strong> bestimmten<br />

Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann me<strong>in</strong> Standpunkt, der die Entwicklung<br />

der ökonomischen Gesellschaftsformation als e<strong>in</strong>en naturgeschichtlichen Prozeß auffaßt, den e<strong>in</strong>zelnen verantwortlich<br />

machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben<br />

mag." (MEW 23, S.16)<br />

Die Auffassung der ökonomischen Entwicklung als "naturgeschichtlichen Prozeß" ist e<strong>in</strong>er <strong>von</strong> M.s häufigen<br />

Rückgriffen auf die Naturwissenschaften, dem Shoot<strong>in</strong>g Star des 19. Jahrhunderts. Hier ist es der Versuch, dem<br />

Leser durch Vergleich mit der Darw<strong>in</strong>'schen Naturgeschichte deutlich zu machen, dass es ihm nicht um die moralische<br />

Kritik der Verhältnisse geht. Die leistet er natürlich, wenn er die üblen Mißstände etwa <strong>in</strong> den englischen<br />

Fabriken anprangert. <strong>Das</strong> ist aber nicht der eigentlich S<strong>in</strong>n: Se<strong>in</strong>e Analyse ist streng darauf gerichtet, die Ursachen<br />

solcher Mißstände eben nicht aus dem "Fehlverhalten" e<strong>in</strong>zelner Personen, sondern aus den <strong>in</strong>neren Gesetzen<br />

der Produktionsweise abzuleiten. Die Kritik an den Personen ist bei M. immer e<strong>in</strong>e Kritik an den Verhältnissen.<br />

So, wie man e<strong>in</strong>em Kapitalisten nicht vorwerfen kann, wie e<strong>in</strong> Kapitalist zu handeln, hört der Kapitalist nicht<br />

dadurch auf, Kapitalist zu se<strong>in</strong>, weil er se<strong>in</strong>e Arbeiter freundlich behandelt oder e<strong>in</strong> Krankenhaus stiftet, sich also<br />

"subjektiv über die Verhältnisse erhebt". <strong>Das</strong> alles macht nur den Unterschied zwischen e<strong>in</strong>em kapitalistischen<br />

Fiesl<strong>in</strong>g und e<strong>in</strong>em Kapitalisten aus, der als Person recht angenehm im Umgang ist. <strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong> wichtiger Unterschied<br />

im Alltag. Für die polit-ökonomische Analyse aber ohne Bedeutung.<br />

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