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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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2<strong>1.</strong> M.s Ansatz ist historisch. Gilt das auch <strong>in</strong> der anderen Richtung? Sagt er mit se<strong>in</strong>er<br />

politischen Ökonomie die Zukunft voraus?<br />

Jede Wissenschaft ist immer auch Prognose. Deswegen will man ja die Gesetzmäßigkeiten <strong>in</strong> der<br />

Gesellschaft aufdecken. Nur s<strong>in</strong>d gesellschaftswissenschaftliche Gesetze etwas anderes als physikalische<br />

Gesetze. Den Planeten ist ihre Bewegung egal. Den Menschen nicht. Wir werden bei<br />

M. immer dort, wo über gesellschaftliche Gesetze die Rede ist, sehen, dass alles durch <strong>in</strong>nere<br />

Kräfte angetrieben wird. Da s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e äußeren göttlichen Kräfte, ke<strong>in</strong>e immerwährenden Naturgesetze<br />

am Werk. Es s<strong>in</strong>d die Menschen selbst, durch deren Handlungen sich die gesellschaftlichen<br />

Gesetze verwirklichen – oder auch nicht. Denn weil es um gesellschaftliches Handeln<br />

geht, müssen wir auch immer wieder <strong>von</strong> den Kräften sprechen, die der Durchsetzung <strong>von</strong> Gesetzen<br />

entgegenwirken. Und auch die werden durch menschliches Handeln hervorgebracht.<br />

M. selbst und se<strong>in</strong>en Nachfolgern wird oft vorgeworfen, viel <strong>von</strong> gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten<br />

zu reden, doch immer dann, wenn die verausgesagte Wirkung ausbleibt, sich mit den<br />

"Gegentendenzen" herauszureden. Kann man so sehen; sehen wir aber nicht bei M. 504 Dieser<br />

H<strong>in</strong>weis ist alles andere als e<strong>in</strong> dialektischer Kniff. Schließlich wird man auch aus der Tatsache,<br />

dass e<strong>in</strong> 100 Tonnen schwerer Metallklotz fliegen kann, nicht auf die Ungültigkeit des Gravitationsgesetzes<br />

schließen. Soll heißen: Gesetze können wirken, ohne sichtbare Wirkung zu zeigen.<br />

Die Sache ist aber noch komplizierter: Wer die relative Bewegung der Erde zu den Sternen vorhersagt,<br />

wer exakt Sonnen- und Mondf<strong>in</strong>sternisse berechnen kann, der schafft das nur deshalb,<br />

weil Planeten und Sterne mitspielen. Ke<strong>in</strong>er <strong>von</strong> denen sagt plötzlich: "<strong>Das</strong> wollen wir doch mal<br />

sehen…" und spr<strong>in</strong>gt <strong>von</strong> se<strong>in</strong>er Bahn.<br />

Was passierte, als Hugo Chavez <strong>in</strong> Venezuela den Sozialismus zum Ziel erklärte? Sofort haben<br />

sich weltweit tausende Geld- und Machtmenschen zusammengesetzt und beschlossen, Venezuela<br />

aus dieser "Bahn" spr<strong>in</strong>gen zu lassen. Was würde passieren, wenn der Tagesschau-Sprecher<br />

ankündigt, der Zucker werde knapp? Auch wenn die Zuckerreserven des Tages für Monate ausreichen:<br />

Die sofort e<strong>in</strong>setzenden Hamsterkäufe werden die völlig ungerechtfertigte Vorhersage<br />

bestätigen.<br />

<strong>Das</strong> ist das verflixte <strong>in</strong> den Gesellschaftswissenschaften. Was da auf Gesetzmäßigkeit untersucht<br />

wird, ist mit eigenem Verstand, eigenen Interessen und eigenen Machtmitteln ausgerüstet, um<br />

jeder Prognose e<strong>in</strong>e eigene Prognose der Tat entgegenzustellen und an deren Verwirklichung<br />

energisch zu arbeiten. Mit dem Effekt, dass am Ende sogar Vorhersagen, die "eigentlich" völlig<br />

daneben lagen, plötzlich als der Weisheit größte Leistung ersche<strong>in</strong>en.<br />

Es ist e<strong>in</strong> beliebtes Spiel der <strong>Marx</strong>ologen, M.s "prognostische Katastrophen" herauszustellen: Er<br />

habe die Revolution vorausgesagt, die aber ausgeblieben sei (allerd<strong>in</strong>gs nicht <strong>in</strong> Rußland und e<strong>in</strong>igen<br />

anderen Ländern). Den Arbeitern geht es nicht schlechter, sondern immer besser (abgesehen<br />

<strong>von</strong> der Mehrheit, die irgendwo <strong>in</strong> den tiefen des kapitalistischen Raums für miese Löhne<br />

die Mehrwertquellen sprudeln läßt). Beliebt war bis vor kurzem auch der stolze H<strong>in</strong>weis, man<br />

habe ganz entgegen M.s Vorhersage dem Kapitalismus sogar die Krisen ausgetrieben. Aber darum<br />

ist es derzeit still.<br />

Wenn man sich nicht anders zu helfen weiß, werden M. solche Prognosen untergeschoben, <strong>von</strong><br />

denen man fest überzeugt ist, er müsse sie doch <strong>von</strong> sich gegeben haben. Tatsächlich s<strong>in</strong>d das<br />

"Prognosen", die er nicht e<strong>in</strong>mal im Vollrausch getroffen hätte. Etwa: "Der Kapitalismus bricht<br />

zusammen" oder "Auf den Kapitalismus folgt der Sozialismus" 505 usw.<br />

Kurz: Natürlich trifft M. Aussagen über die Entwicklung des Kapitalismus. Konzentration und<br />

Zentralisation des Kapitals: Welch e<strong>in</strong> Triumph wissenschaftlicher Voraussage. Und man könnte<br />

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