09.01.2013 Aufrufe

Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Solche Vermögensunterschiede erzeugen auch bei uns unterschiedliche Wohnviertel, nicht nur<br />

<strong>in</strong> London zu M.s Zeit. Auch bei uns s<strong>in</strong>d doch die heruntergewirtschafteten Wohnsilos <strong>in</strong> den<br />

häßlichen Gegenden etwas anderes als die schmucken Villen mit viel Grundstück und Privatheit.<br />

Dennoch zeigen uns unsere Wohnviertel heute nur e<strong>in</strong>en Bruchteil der Wahrheit. Die Reichen<br />

und die Superreichen bekommen wir nicht zu sehen, höchstens mal im Fernsehen. Deren<br />

Wohngebiete liegen ebenso außerhalb unserer Reichweite wie ihr Vermögen außerhalb unserer<br />

Alltagsvorstellungen liegt.<br />

Und dann gibt es noch die Unterschiede zwischen den Wohnvierteln, die man nicht auf den ersten<br />

Blick sehen kann. Beispiel: Die Firma Creditreform lebt da<strong>von</strong>, Bürger nach ihrer Bonität zu<br />

prüfen. Wir kennen das als Schufa-Verfahren. Wer se<strong>in</strong>en Ratenzahlungen nicht nachkommt<br />

oder bei den Hypotheken im Rückstand ist oder irgende<strong>in</strong>e Rechnung irgende<strong>in</strong>es Versandhauses<br />

nicht bezahlt, landet schneller im Register der nicht kreditwürdigen Menschen als ihm lieb<br />

ist. So weit, so schlecht. Jetzt der Bezug zur deutschen Stadt.<br />

Creditrefom erstellt regelmäßig e<strong>in</strong>en "Schuldner-Atlas", dröselt also die Quote der registrierten<br />

Schuldner nach Postleitzahlgebieten auf. Die Unterschiede s<strong>in</strong>d deutlich und bilden die ungleiche<br />

Vermögens- und Chancenverteilung räumlich ab. Für die nordöstliche Mitte Dortmunds etwa<br />

(PLZ 44145) wird für 2004 e<strong>in</strong>e Schuldnerquote <strong>von</strong> 26%, für den südlichen Stadtteil (PLZ<br />

44267) e<strong>in</strong>e Quote <strong>von</strong> unter 6% ausgewiesen.<br />

<strong>Das</strong>selbe gilt für Essen. Der Stadtkern nördlich des Hauptbahnhofes (PLZ 45127) ist mit 22,5%<br />

negativer Spitzenreiter, während sich Essen-Heis<strong>in</strong>gen (am Baldeneysee, PLZ 45259) mit unter<br />

5% als schuldnerärmster Stadtteil präsentiert. Preisfrage: Welche Stadtviertel s<strong>in</strong>d die unattraktiven,<br />

welche die attraktiven Viertel? Wo f<strong>in</strong>den wir überwiegend Menschen mit gutem E<strong>in</strong>kommen<br />

(richtig reich s<strong>in</strong>d auch <strong>von</strong> denen nur wenige) und wo wohnen überwiegend die mit niedrigem<br />

und unsicherem E<strong>in</strong>kommen?<br />

Wir haben allen Grund, die Änderungen seits M.s Zeiten zu beachten. Wir sollten aber auch<br />

nicht so tun, als hätten wir mit den Problemen selbst nichts mehr zu schaffen. Die Frage steht:<br />

Wie tiefgreifend s<strong>in</strong>d die Änderungen seit M.s Zeit wirklich? Jedenfalls ist klar, dass viele Autos<br />

vor den Haustüren bestenfalls die halbe Wahrheit s<strong>in</strong>d.<br />

Schauen wir über unseren Kirchturm h<strong>in</strong>aus. Es gehört heute zum Grundwissen jedes Globalisierungskritikers,<br />

dass die Armut <strong>in</strong> der Welt zunimmt, ja: <strong>Das</strong> Wissen um das parallele Wachstum<br />

<strong>von</strong> Reichtum auf der e<strong>in</strong>en und Armut auf der anderen Seite ist geradezu Folklore geworden. In<br />

e<strong>in</strong>er älteren repräsentativen Befragung der Schweizer Bevölkerung im Auftrag der Credit Suisse<br />

Bank <strong>von</strong> 2001 wurde die Feststellung "Reiche werden immer reicher, Arme immer ärmer" bewertet,<br />

e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Bezug auf die Schweiz, zum andern <strong>in</strong> Bezug auf die Welt. <strong>Das</strong> Ergebnis ist<br />

e<strong>in</strong>deutig:<br />

94% der Befragten stimmen dieser Behauptung mit Bezug auf die Schweiz zu; mit Bezug auf<br />

die Welt sogar 95%. Der Anteil der Befragten, die "voll und ganz" zustimmten, war <strong>in</strong> Bezug<br />

auf die Welt mit 61% sogar deutlich höher als <strong>in</strong> Bezug auf die Schweiz (49%). Wir haben ke<strong>in</strong>en<br />

Grund anzunehmen, dass e<strong>in</strong>e ähnliche Befragung <strong>in</strong> Deutschland zu wesentlich anderen<br />

Ergebnissen führen würde. Was allerd<strong>in</strong>gs fehlt, ist E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Zusammenhänge. Die fortschreitende<br />

Scheidung <strong>in</strong> "arm und reich" wird entweder als "natürlicher", nicht als <strong>von</strong> Menschen<br />

geschaffener Prozess, oder als e<strong>in</strong> Prozess betrachtet, gegen den nichts auszurichten sei.<br />

Wichtig ist auch, dass die Vorstellungen <strong>von</strong> "reich" sehr unterschiedlich s<strong>in</strong>d. Der wirkliche<br />

Reichtum sche<strong>in</strong>t den meisten Mitbürgern unverstellbar. In der zitierten Schweizer Umfrage<br />

ergab sich, dass für e<strong>in</strong>e Mehrheit der "Reichtum" schon bei e<strong>in</strong>em Vermögen <strong>von</strong> 100.000<br />

173

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!