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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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älterem Bruder handelt. Und obwohl die Uhr kurz zuvor gere<strong>in</strong>igt worden war, entdeckt er das bittere Familiengeheimnis:<br />

"Er war e<strong>in</strong> liederlicher Mensch – sehr liederlich und nachlässig. Er hatte ursprünglich gute Aussichten,<br />

aber er vertat se<strong>in</strong> Glück, lebte längere Zeit <strong>in</strong> Armut, kam ab und zu mal für kurze Zeit zu Geld, verfiel<br />

schließlich der Trunksucht und starb. <strong>Das</strong> ist alles, was ich herausf<strong>in</strong>den kann." (Watson, J.H.: The Sign of Four;<br />

London 1890) Dr.Watson ist pikiert - aber so ist das nun mal, wenn man Genies um Auskunft bittet.<br />

81 M. schreibt: "Allerd<strong>in</strong>gs muß sich die Darstellungsweise formell <strong>von</strong> der Forschungsweise unterscheiden. Die<br />

Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, se<strong>in</strong>e verschiednen Entwicklungsformen zu analysieren und<br />

deren <strong>in</strong>nres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend<br />

dargestellt werden. Gel<strong>in</strong>gt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wider, so mag es<br />

aussehn, als habe man es mit e<strong>in</strong>er Konstruktion a priori zu tun." (MEW Bd. 23, S. 27) M.s Forschungs- und Erkenntnisprozess<br />

spiegelt sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gesamtwerk. Wer die "Grundrisse zur Kritik der politischen Ökonomie"<br />

(MEW 42) oder die "Theorien über den Mehrwert" (MEW 26.1-3) oder den umfangreichen Briefwechsel mit Engels<br />

über ökonomische Fragen liest, wird Zeuge dieses komplizierten Vorgangs.<br />

82 Und diese Art Lektüre soll ja nicht selten se<strong>in</strong>. Wie der Ökonom Galbraith e<strong>in</strong>mal anmerkte, gehört das "Kapital"<br />

(neben der "Bibel" und dem "Wohlstand der Nationen") zu den drei Büchern, auf die sich die Menschen<br />

nach Belieben berufen dürfen, ohne sie gelesen zu haben. Nicht selten f<strong>in</strong>det man unter diesen Eigentlich-nicht-<br />

Lesern viele, die M.s brillianten, fast schon genialen Stil bewundern und gerne bereit s<strong>in</strong>d, das "Kapital" oder das<br />

"Kommunistische Manifest" für e<strong>in</strong> literarisches Meisterwerk zu halten, solange sie es nicht verdauen und sich<br />

mit se<strong>in</strong>em Inhalt ause<strong>in</strong>andersetzen müssen.<br />

83 MEW 23, S.49. Die Anführungszeichen zu 'ungeheure Warensammlung' markieren diese Formulierung als<br />

Übernahme aus M.s früherer Arbeit "Zur Kritik der Politischen Ökonomie" <strong>von</strong> 1859, die mit dem Satz beg<strong>in</strong>nt:<br />

"Auf den ersten Blick ersche<strong>in</strong>t der bürgerliche Reichtum als e<strong>in</strong>e ungeheure Warensammlung, die e<strong>in</strong>zelne Ware<br />

als se<strong>in</strong> elementarisches <strong>Das</strong>e<strong>in</strong>." (MEW 13, S.15)<br />

84 So nebenbei haben wir damit auch e<strong>in</strong>e erste Bestimmung dessen, was heute allgeme<strong>in</strong> als "Kapitalismus"<br />

oder "kapitalistische Gesellschaft" bezeichnet wird: Gesellschaft, <strong>in</strong> denen kapitalistische Produktionsweise<br />

herrscht. <strong>Das</strong> letzte Wort ist entscheidend. Und M. macht uns klar, <strong>von</strong> welchem Standpunkt aus se<strong>in</strong>e Kritik der<br />

politischen Ökonomie erfolgt: Vom Standpunkt der entwickelten kapitalistischen Produktionsweise nämlich. Daran<br />

sollten wir uns <strong>in</strong> den nächsten Kapiteln immer wieder er<strong>in</strong>nern, die uns sche<strong>in</strong>bar <strong>in</strong> die graue Vorzeit e<strong>in</strong>er<br />

Warenproduktion führen.<br />

Etwas anderes halten wir für spätere Verwendung fest: M. macht e<strong>in</strong>en klare Trennung zwischen der Produktionsweise<br />

und der Gesellschaft. Kapitalistische Produktionsweise und Gesellschaft s<strong>in</strong>d nicht dasselbe. Wenn auch<br />

die kapitalistische Produktionsweise <strong>in</strong> vielen Gesellschaften herrscht, so s<strong>in</strong>d doch die sich darauf entwickelnden<br />

Gesellschaften vielgestaltig und durch ihre ganz eigene Geschichte geprägt, die durchaus wieder auf die Formen<br />

der kapitalistischen Produktionsweise zurückwirken.<br />

85 Adam Smith: "An Inquiry <strong>in</strong>to the Nature and Causes of the Wealth of Nations" (<strong>E<strong>in</strong>e</strong> Untersuchung über die<br />

Natur und die Ursachen des Reichtums der Nationen); London 1776<br />

86 Unsere Schaufensterperspektive er<strong>in</strong>nert nicht zufällig an Walter Benjam<strong>in</strong>s "E<strong>in</strong>kaufspassagenperspektive".<br />

Der hat M.s E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong>s "Kapital" <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em leider unvollendeten "Passagen-Werk" auf eigene Weise aufgegriffen.<br />

<strong>Das</strong> war der großartige Versuch, e<strong>in</strong>e Kulturgeschichte der bürgerlichen Warengesellschaft des 19. Jahrhunderts<br />

zu entfalten, repräsentiert duch die Architektur und sozialen Funktionen der Pariser E<strong>in</strong>kaufspassagen.<br />

�Walter Benjam<strong>in</strong> (1892-1940)<br />

Auch unsere heutigen E<strong>in</strong>kaufspassagen und E<strong>in</strong>kaufszentren verraten <strong>in</strong> ihrer Architektur und Anlage e<strong>in</strong>e Menge,<br />

nicht nur über die Kultur unserer Gesellschaft und ihre Prioritäten. Die Aufnahme sakraler Elemente, die<br />

Preisgabe des menschlichen Maßes, die Schaustellung durch Dom-artige Überbauten wie im Berl<strong>in</strong>er Sony-<br />

Center... das alles verrät uns e<strong>in</strong>e Menge <strong>von</strong> der Selbstüberhebung und e<strong>in</strong>gebildeten Wichtigkeit der Veranstalter.<br />

87 Weniger die Religion, als vielmehr der billige G<strong>in</strong> waren im 18. und 19. Jahrhundert das beliebteste "Opium"<br />

der englischen Arbeiterklasse. Billiger G<strong>in</strong> wurde erstmals Ende des 17. Jahrhunderts nach London aus den Niederlanden<br />

importiert und systematisch zum Getränk für die Massen entwickelt. Für die 1720er Jahre gibt es Zahlen,<br />

nach denen e<strong>in</strong> Viertel der Haushalte <strong>in</strong> London irgendwie mit der Produktion und dem Vertrieb <strong>von</strong> G<strong>in</strong> zu<br />

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