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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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selber bezahlen, ist <strong>Teil</strong> e<strong>in</strong>es Wissenschaftsbetriebs, der politischen Vorgaben folgt, usw.usf.<br />

<strong>Das</strong> ist das e<strong>in</strong>e.<br />

<strong>Das</strong> andere me<strong>in</strong>t: Welche Art <strong>von</strong> Erkenntnis man erreichen kann, ist immer vom jeweiligen<br />

Standpunkt abhängig, <strong>von</strong> dem aus man startet. Gerade als Gesellschaftswissenschaftler muß<br />

ich daher e<strong>in</strong>en Standpunkt beziehen, bevor es überhaupt losgeht. (Mach ich mir das nicht klar,<br />

passiert es mir dennoch, nur eben auf unklare, implizite Weise.) 500 Wissenschaftler, die den Kapitalismus<br />

für alternativlos halten, folgen anderen Fragestellungen als wir. <strong>Das</strong> läßt ihre Analysen,<br />

auch wenn sie nach allen Regeln der Methode korrekt s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> unseren Augen als merkwürdig<br />

beengt bis borniert ersche<strong>in</strong>en.<br />

Die "parteiliche Wissenschaft" ist deshalb auch ke<strong>in</strong>e Erf<strong>in</strong>dung der <strong>Marx</strong>isten. Die haben nur<br />

ke<strong>in</strong>en Versuch unternommen, ihre B<strong>in</strong>dung an e<strong>in</strong>en Standpunkt zu verbergen. Aber auch e<strong>in</strong>e<br />

verborgene B<strong>in</strong>dung an Standpunkte wird immer wieder sichtbar. Man kann das fast täglich erleben.<br />

Kommt e<strong>in</strong>e wissenschaftliche Studie mit irgendwelchen Ergebnissen auf den Me<strong>in</strong>ungsmarkt,<br />

z.B. der x-te <strong>Teil</strong> der Pisa-Studie, wird sie <strong>von</strong> allen hochgelobt, denen die Ergebnisse passen;<br />

ganz unabhängig <strong>von</strong> der Qualität der Studie. Wem sie nicht passen, f<strong>in</strong>det die Studie wenig<br />

überzeugend und entdeckt plötzlich Schwächen der Untersuchungsmethode, politische E<strong>in</strong>flüsterungen<br />

und anderes.<br />

Dieser methodologische Opportunismus, der lobt, was ihm passt und bemäkelt, was ihm nicht<br />

passt, ist nur e<strong>in</strong> Spiegelbild für die widersprüchliche Rolle, <strong>in</strong> der sich die Gesellschaftswissenschaften<br />

notwendigerweise bef<strong>in</strong>den. Auch die marxistischen Beiträge machen da grundsätzlich<br />

ke<strong>in</strong>e Ausnahme. (Man verfolge nur die Diskussionen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em x-beliebigen l<strong>in</strong>ken Forum.) Nur<br />

e<strong>in</strong>en gewichtigen Unterschied sollte es geben: Für marxistische Forschung sollte der Zusammenhang<br />

<strong>von</strong> Interessen und Erkenntnis selbst immer auch Gegenstand der Untersuchung se<strong>in</strong>.<br />

Im "Kapital" forciert M. se<strong>in</strong>e Argumentation durch e<strong>in</strong>en beständigen Wechsel der Perspektive:<br />

Mal bezieht er die Perspektive des Gesamtkapitals, dann die des e<strong>in</strong>zelnen Kapitalisten; mal betrachtet<br />

er e<strong>in</strong> Problem aus der Perspektive der <strong>in</strong>dividuellen Arbeitskraft, dann aus der Perspektive<br />

des Gesamtarbeiters. Denselben Prozess der Zirkulation analysiert er mal aus der Perspektive<br />

des Geldkapitals, dann aus der des Warenkapitals, dann vom Produktionsprozess aus. Der<br />

Wechsel der Perspektiven ist notwendig, weil sich dieselbe Sache <strong>von</strong> unterschiedlichen Positionen<br />

aus anders darstellt. Was für die perspektivische Wahrnehmung der räumlichen Dimensionen<br />

gilt, gilt auch für die sozialen Dimensionen. Nur haben wir es hier nicht mit räumlichen<br />

Standpunkten zu tun, sondern mit sozialen Positionen. Dah<strong>in</strong>ter steht die Annahme, dass bestimmte<br />

Erkenntnisse überhaupt nur <strong>von</strong> bestimmten Positionen aus gewonnen werden können.<br />

Die Formung unserer Wahrnehmungen durch unsere soziale Position und die daraus sich ergebenden<br />

Interessen, ob als Wissenschaftler oder Unternehmer oder Gewerkschaftsfunktionär,<br />

wird bei M. selbst <strong>Teil</strong> der Untersuchung. Besonders ausgeprägt f<strong>in</strong>den wird das im 4. Band des<br />

"Kapital", den sogenannten "Theorien über den Mehrwert". Dar<strong>in</strong> wird e<strong>in</strong>e Analyse der Theorieentwicklung<br />

vorgenommen, die vorbereitender <strong>Teil</strong> der Arbeit am "Kapital" gewesen ist. Dar<strong>in</strong><br />

zeigt M. unter anderem, wie e<strong>in</strong>zelne Fortschritte der ökonomischen Analyse nicht nur vom<br />

Fortschritt der ökonomischen Verhältnisse abhängen. <strong>Das</strong> überrascht nun wirklich nicht. Sie<br />

hängen immer auch ab <strong>von</strong> den sozialen B<strong>in</strong>dungen der jeweiligen Ökonomen, die sich mit der<br />

ökonomischen Analyse befassen. Sie s<strong>in</strong>d eben, wie auch M. selbst, nicht nur Wissenschaftler,<br />

sondern immer auch Ideologen. Was bedeutet: Sie betreiben ihre Analyse <strong>von</strong> bestimmten Positionen<br />

aus, s<strong>in</strong>d Träger <strong>von</strong> Interessen und <strong>Teil</strong> des Systems und se<strong>in</strong>er Prozesse, die sie analysieren.<br />

Etwas anderes kann es nicht geben.<br />

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