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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Produktionsweise solche Verhältnisse be<strong>in</strong>haltet, die aus dem Universum menschlicher Eigenschaften<br />

vornehmlich jene honoriert, die auch e<strong>in</strong>en guten Raubritter oder erfolgreichen Piraten<br />

auszeichnen. Die miese Moral ist ebenso soziales Produkt der Produktionsweise wie der Klassenkampf.<br />

Aber: <strong>Das</strong> hat nichts mit Entschuldigungen zu tun. Denn jeder e<strong>in</strong>zelne Manager, jeder e<strong>in</strong>zelne<br />

Aktionär und Kouponschneider ist für das, was er tut, genauso verantwortlich, wie wir es für<br />

unsere eigene Entscheidung s<strong>in</strong>d, uns antikapitalistisch zu organisieren oder nicht.<br />

56. Gibt es bestimmte "bürgerliche Tugenden" wie Sparsamkeit oder Enthaltsamkeit, gibt es<br />

so etwas wie e<strong>in</strong>e "bürgerliche Ethik", die den Aufstieg der Bourgoisie erklärt?<br />

Warum wird e<strong>in</strong> <strong>Teil</strong> des Mehrwerts <strong>in</strong> den Verwertungsprozess zurückgeführt? Weil der erzeugte<br />

Mehrwert über die Bedürfnisse des Kapitalisten h<strong>in</strong>ausgeht? Oder kann der den Hals nicht voll<br />

bekommen? Ist das pure Habgier, womöglich mit Sparsamkeit oder Geiz verknüpft? Alles das<br />

und viel mehr. E<strong>in</strong>ige Kulturphilosophen br<strong>in</strong>gen die Entstehung des Kapitalismus mit e<strong>in</strong>er<br />

"protestantischen Ethik" der Sparsamkeit, des Bedürfnisverzichts und der Arbeitsamkeit <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung.<br />

Jedoch kann man dem nur etwas abgew<strong>in</strong>nen, wenn man sich ganz auf das äußere<br />

Bild, auf das Selbstbild des Bürgertums verläßt. Im Predigen und Zitieren der Bibel waren die<br />

Fabrikanten immer gut: Sparsam, ehrlich und fleißig se<strong>in</strong>! So wünscht man sich die "eigenen"<br />

Arbeiter. So will man selbst gesehen werden. So rechtfertigt man das eigene Wohlleben gegenüber<br />

der Armut. Mit der persönlichen Sparsamkeit und Ehrbarkeit kann es jedoch nicht so weit<br />

her gewesen se<strong>in</strong>, wenn man sich den wachsenden Wohlstand der neuen Klasse besieht, der<br />

ganz der feudalen Lebensweise nachempfunden wurde.<br />

Wie will man die um sich greifende Prunksucht der Fabrikanten und die schnell wachsende Vergnügungs<strong>in</strong>dustrie<br />

des 19. Jahrhunderts mit der Ethik des Bedürfnisverzichts <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang br<strong>in</strong>gen?<br />

Die Fabrikantenvilla und der Landsitz des Fabrikanten wurden zu e<strong>in</strong>er eigenständigen<br />

Herausforderung an die Architektur. Und das Vergnügen? Überall entstanden kostspielige Etablissements,<br />

ganz auf die Bedürfnisse der (männlichen) herrschenden Klasse zugeschnitten. Nur<br />

waren diese Spielcas<strong>in</strong>os und Edelbordelle für Gentlemen als E<strong>in</strong>richtungen der Doppelmoral<br />

wohl verborgen, im Unterschied zu den elenden Spelunken und Straßenstrichs für die niederen<br />

Klassen, die aller Welt sichtbar waren und über die sich dann so vortrefflich moralisieren ließ.<br />

Mag die "protestantische Ethik" oder st<strong>in</strong>knormaler Geiz <strong>in</strong> der Anfangsphase den Aufstieg der<br />

Produktionsweise gefördert haben. E<strong>in</strong> kollektives Merkmal der Kapitalistenklasse war das nicht,<br />

vor allem nicht im historischen Verlauf, den M. so charakterisiert: "In den historischen Anfängen<br />

der kapitalistischen Produktionsweise - und jeder kapitalistische Parvenü (= Emporkömml<strong>in</strong>g)<br />

macht dies historische Stadium <strong>in</strong>dividuell durch - herrschen Bereicherungstrieb und Geiz als absolute<br />

Leidenschaften vor." Er fügt dann jedoch h<strong>in</strong>zu: "Der Fortschritt der kapitalistischen Produktion<br />

schafft nicht nur e<strong>in</strong>e Welt <strong>von</strong> Genüssen. Er öffnet mit der Spekulation und dem Kreditwesen<br />

tausend Quellen plötzlicher Bereicherung. Auf e<strong>in</strong>er gewissen Entwicklungshöhe wird<br />

e<strong>in</strong> konventioneller Grad <strong>von</strong> Verschwendung, die zugleich Schaustellung des Reichtums und<br />

daher Kreditmittel ist, sogar zu e<strong>in</strong>er Geschäftsnotwendigkeit des 'unglücklichen' Kapitalisten.<br />

Der Luxus geht <strong>in</strong> die Repräsentationskosten des Kapitals e<strong>in</strong>." (MEW 23, S.620) Und es dauert<br />

nicht lange, da "die Herrn Kapitalisten", e<strong>in</strong>stens Propagandisten e<strong>in</strong>es sparsamen und enthaltsamen<br />

Lebens, sich "seit lange <strong>in</strong> Lebe- und Weltmänner verwandelt" zeigen (ebd., S.624).<br />

Die kapitalistische Produktionsweise herrscht heute <strong>in</strong> fast allen Ländern der Welt, <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Gesellschaften und Kulturen, e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> ganz unterschiedliche Traditionen, umgeben<br />

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