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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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lösen, das komplexe System also auf die wesentlichen Elemente zurückführen, um dann Schritt<br />

für Schritt den Zusammenhang und die Wechselbeziehungen zwischen den Elementen zu untersuchen.<br />

Er<strong>in</strong>nern wir uns: M. nannte das den (mühsamen) Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten.<br />

Die Erklärung e<strong>in</strong>es komplexen Systems aus se<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fachen Elementen führte viele Leser des<br />

"Kapital" zu der irrigen Annahme, M.s Werk sei e<strong>in</strong>e Art Sherlock-Holmes'scher Deduktion. 79<br />

Der Superdetektiv konnte bekanntlich aus der Taschenuhr e<strong>in</strong>es Mannes dessen gesamte Biografie<br />

ableiten. 80 Aber <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Sherlock <strong>Marx</strong> kann nur reden, wer die argumentative Darstellung<br />

der Forschungsergebnisse im "Kapital" mit dem Forschungs- und Erkenntnisprozess selbst<br />

verwechselt.<br />

M. geht im Nachwort zur 2. Ausgabe des "Kapital" auf das Mißverständnis e<strong>in</strong>, er präsentiere so<br />

etwas wie e<strong>in</strong> deduktives Gedankensystem als Kopfgeburt. Er schreibt: "Allerd<strong>in</strong>gs muß sich die<br />

Darstellungsweise formell <strong>von</strong> der Forschungsweise unterscheiden." Die Aneignung des Stoffs<br />

und se<strong>in</strong>e Analyse gehe der Darstellung voraus. Wenn aber die Analyse gelungen sei und sich <strong>in</strong><br />

den dabei gewonnenen Begriffen der Stoff lebendig (wirklich) wiederspiegele, "mag es aussehn,<br />

als habe man es mit e<strong>in</strong>er Konstruktion a priori zu tun." 81<br />

Was vielen als Sherlock-<strong>Marx</strong>-Trick ersche<strong>in</strong>t und <strong>von</strong> manchen sogar bewundert wird, erweist<br />

sich bei näherem H<strong>in</strong>sehen als Resultat e<strong>in</strong>es langwierigen Forschungs- und Erkenntnisprozesses.<br />

Was uns das "Kapital" bietet, ist nicht Wissen a priori, also aus dem re<strong>in</strong>en Denken geschaffen,<br />

sondern Ergebnis e<strong>in</strong>es mühseligen Schürfens im historischen Stoff, wozu sowohl die materielle<br />

Geschichte der Gesellschaft als auch deren Reflexion <strong>in</strong> der Geschichte des ökonomischen Denkens<br />

gehört. Und e<strong>in</strong>e Menge <strong>Marx</strong>'sche Denkarbeit ist es außerdem.<br />

Noch e<strong>in</strong> Wort zum Stil des "Kapital": Wenn man M.s Darstellung se<strong>in</strong>er Ergebnisse heute liest,<br />

könnte man sie bei oberflächlicher Lektüre 82 als Werk e<strong>in</strong>es Mannes ansehen, der <strong>in</strong> der Welt<br />

der Begriffe zu Hause ist und sich im Kopf e<strong>in</strong> Kapitalismusbild zurecht konstruiert. Viele der aktuellen<br />

<strong>Marx</strong>-Kritiken gehen <strong>in</strong> diese Richtung. Leider haben Eigenarten der Formulierung, M.s<br />

großer Spaß an Wortspielen und se<strong>in</strong>e kühnen Metaphern auch viele se<strong>in</strong>er ernsthaften Studenten<br />

auf den Holzweg der re<strong>in</strong>en Begriffsdebatte geführt. So wurde und wird viel Zeit und Mühe<br />

darauf verwendet, sich über die e<strong>in</strong>zig korrekte Ableitung der <strong>Marx</strong>'schen Kategorien zu streiten,<br />

statt ihre Ergiebigkeit für die konkrete Analyse zu prüfen. Der "Aufstieg zum Konkreten"<br />

wird zwar immer wieder beschwörungshaft zitiert, bleibt aber vor lauter Begriffsdisput auf der<br />

Strecke.<br />

M. selbst betreibt trotz se<strong>in</strong>er philosophischen Vergangenheit ke<strong>in</strong>eswegs Begriffshuberei aus<br />

Leidenschaft. Was uns gerade im ersten Band des "Kapital" präsentiert wird, ist M.s Versuch, <strong>in</strong><br />

der Fülle des <strong>von</strong> ihm studierten Materials begriffliche Ordnung zu schaffen. Dafür entwickelt er<br />

begriffliche Kategorien, die eben nicht durch re<strong>in</strong> gedankliche Analyse, sondern <strong>in</strong> der Anwendung<br />

<strong>von</strong> struktureller und historischer Analyse herausgearbeitet werden. <strong>Das</strong> s<strong>in</strong>d Kategorien,<br />

mit deren Hilfe er die <strong>in</strong>neren Regeln aufdecken will, die <strong>in</strong> allen Gesellschaften wirken, <strong>in</strong> denen,<br />

wie M. so nett im ersten Satz des "Kapital" schreibt, "kapitalistische Produktionsweise<br />

herrscht".<br />

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