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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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türlich werden se<strong>in</strong>e leider so schlecht dokumentierten Eskapaden durchgehechelt und wichtige Fragen ventiliert:<br />

Verwendete man bei <strong>Marx</strong>ens Silbergeschirr? Lebte M., der Vorkämpfer des Proletariats, nicht irgendwie st<strong>in</strong>kbürgerlich?<br />

Darf man als erklärter Kommunist e<strong>in</strong>e Haushälter<strong>in</strong> a) haben und b) mit ihr schlafen? Da fühlt man<br />

sich nur an Tucholskys Frage er<strong>in</strong>nert: Wann darf man eigentlich Kommunist se<strong>in</strong>?* Und dann die <strong>in</strong>timen Details:<br />

Warum ist M. nicht häufiger zum Friseur gegangen? Wo genau saßen bei ihm die Furunkeln? Hatte er<br />

Mundgeruch? usw.<br />

Im im großen und reichhaltigen Angebot an menschelnder <strong>Marx</strong>-Literatur kann sich jeder nach Bedarf bedienen,<br />

nur zu. Klüger wird man dadurch nicht.<br />

* "Wenn e<strong>in</strong> Kommunist arm ist, dann sagen die Leute, er sei neidisch. Gehört er dem mittleren Bürgertum an,<br />

dann sagen die Leute, er sei e<strong>in</strong> Idiot, denn er handele gegen se<strong>in</strong>e eignen Interessen. Ist er aber reich, dann sagen<br />

sie, se<strong>in</strong>e Lebensführung stehe nicht mit se<strong>in</strong>en Pr<strong>in</strong>zipien im E<strong>in</strong>klang. Worauf denn zu fragen wäre: Wann<br />

darf man eigentlich Kommunist se<strong>in</strong> ?" (Peter Panter alias Kurt Tucholsky, <strong>in</strong>: Die Weltbühne, 3.1<strong>1.</strong>1931, Nr.44)<br />

527 MEW 31, S.518f<br />

528 Varga schrieb se<strong>in</strong>e Doktorarbeit über "Antonomien bei Kant", der wir wenigstens die folgende Anekdote für<br />

Philosophen verdanken. Vargas Sohn kommt <strong>von</strong> der Schule nach Hause und s<strong>in</strong>gt: "Der Eskimo lebt irgendwo,<br />

denn irgendwo muß er ja leben. Lebt er nicht wo, der Eskimo, so möchte es ke<strong>in</strong>en Eskimo geben. Stumpfs<strong>in</strong>n,<br />

Stumpfs<strong>in</strong>n, du me<strong>in</strong> Vergnügen". Varga hat se<strong>in</strong>en Sohn für dieses Lied ausdrücklich gelobt, da er damit selbständig<br />

die <strong>in</strong>nere Struktur des Kantschen ontologischen Gottesbeweises angewendet habe.<br />

529 Damit wurde Varga zum ersten und fast schon e<strong>in</strong>zigen Autor, der sich praktisch-theoretisch mit der Ökonomie<br />

der Übergangszeit nach e<strong>in</strong>er sozialistischen Revolution beschäftigte und der (was zur Ignoranz gegenüber<br />

se<strong>in</strong>em Lebenswerk wesentlich beitrug) die wichtige Rolle des Geldes und des Marktes für den Sozialismus herausstellte.<br />

Die Arbeit ist <strong>in</strong> den dreibändigen ausgewählten Werken enthalten.<br />

Zu dieser Schrift gibt es e<strong>in</strong>e vielsagende Anekdote. Varga besucht nach se<strong>in</strong>er Entlassung aus dem Internierungslager<br />

als großer Freud-Verehrer den Begründer der Psychoanalyse. Freud rühmt sich sogar, Vargas Arbeit zu<br />

den ökonomischen Problemen der proletarischen Diktatur gelesen zu haben. Varga freut sich. Freud fährt fort:<br />

"Ich kann mir gar nicht vorstellen, Herr Professor Varga, dass sie der Autor des Buches s<strong>in</strong>d. Sie machen so gar<br />

nicht den E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>es Sadisten." Zum<strong>in</strong>dest hat Freud die Tragweite der Probleme, mit denen sich Varga <strong>in</strong><br />

der Schrift ause<strong>in</strong>andersetzte, vollkommen korrekt erkannt, wenn wir auch mit se<strong>in</strong>er Bewertung nicht übere<strong>in</strong>stimmen.<br />

Denn wer sich Gedanken darüber macht, wie man im Jubel e<strong>in</strong>es revolutionären Sieges das schlagartige<br />

Abs<strong>in</strong>ken der Arbeitsproduktivität verh<strong>in</strong>dern kann, tendiert wohl eher zur Selbstquälerei.<br />

530 In den Beratungen der Kommunistischen Parteien nach der Auflösung der Kommunistischen Internationale<br />

(KI) tauchte das verkürzte Konzept <strong>von</strong> der "allgeme<strong>in</strong>en Krise des Kapitalismus" als "Epoche des weltweiten<br />

Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus" wieder auf. Was aber für Varga ursprünglich e<strong>in</strong> empirisches und<br />

daher beständig zu überprüfendes Konstrukt war und <strong>von</strong> der KI bereits zu e<strong>in</strong>em propagandistischen Konzept<br />

verkürzt wurde, lebte jetzt nur noch als politische Formel weiter. Man versuchte, damit e<strong>in</strong>e größer werdende<br />

Vielfalt <strong>von</strong> Parteien, die unter kommunistischer oder sozialistischer Flagge segelten, zum<strong>in</strong>dest dem Ansche<strong>in</strong><br />

nach zusammenzuhalten.<br />

531 Georg Lukacs (1885-1971) war e<strong>in</strong> ungarischer marxistischer Philosoph und Literaturwissenschaftler. Er hatte<br />

großen Anteil an der Herausbildung e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>flußreichen l<strong>in</strong>ken Strömung unter den europäischen Intellektuellen<br />

<strong>in</strong> den 1920er Jahren, nicht zuletzt deshalb, weil Lukacs sich niemals so recht mit dem offiziellen "<strong>Marx</strong>ismus"<br />

der kommunistischen Parteien anfreunden konnte. <strong>Das</strong> hielt ihn nicht da<strong>von</strong> ab, deren Politik aktiv zu unterstützen.<br />

Während se<strong>in</strong>es Exils <strong>in</strong> der UdSSR entg<strong>in</strong>g er nur durch öffentliche Selbstkritik den Stal<strong>in</strong>'schen Mordaktionen.<br />

Nach 1946 war er aktiver kommunistischer Politiker <strong>in</strong> Ungarn. Er nahm an den Bestrebungen teil, <strong>in</strong> den<br />

1950er Jahren den Sozialismus Stal<strong>in</strong>'scher Prägung zu überw<strong>in</strong>den. Er wurde dafür 1956 verhaftet und aller Ämter<br />

enthoben. Der Ruf e<strong>in</strong>es kommunistischen Dissidenten trug zu se<strong>in</strong>er schnell wachsenden Popularität <strong>in</strong><br />

Deutschland bei, als <strong>in</strong> den 1960er Jahren e<strong>in</strong>e Art Revival der marxistischen Theorie e<strong>in</strong>setzte. Lesenswert s<strong>in</strong>d<br />

se<strong>in</strong>e Arbeiten, vor allem Geschichte und Klassenbewußtse<strong>in</strong>, allemal, wenn auch gewiß nicht e<strong>in</strong>fach.<br />

532 Die viel zitierte Sache mit dem übers<strong>in</strong>nlichen und tanzenden Tisch ist e<strong>in</strong>e für M.s Zeitgenossen sofort verständliche<br />

Anspielung auf beliebte "Experimente" der Spiritisten. In ihren Seancen gelang es bisweilen, den <strong>von</strong><br />

ihnen besetzten Tisch durch Druck vieler aufgelegter Hände (und natürlich mit Hilfe der beschworenen Geister<br />

und e<strong>in</strong>iger medialer Kniebewegungen) <strong>in</strong> Unruhe zu versetzen. Sehr gerne wurden für solche Experimente im<br />

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