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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Wie bequem das Allgeme<strong>in</strong>-Menschliche für den bürgerlichen Ökonomen ist, macht die Behandlung<br />

der aktuellen Weltwirtschaftskrise deutlich. Als diese Krise nicht mehr wegzurechnen war,<br />

g<strong>in</strong>g es den Problembehandlern um e<strong>in</strong>s: <strong>Das</strong> System aus der Schußl<strong>in</strong>ie nehmen. Wieder ist es<br />

das Allgeme<strong>in</strong>-Menschliche, s<strong>in</strong>d es "die Konstanten jenseits der Krise", wie es e<strong>in</strong> neoliberaler<br />

Kommentator formuliert, mit der man die Ursachen der Krise <strong>in</strong> die dunklen undurchsichtigen<br />

Sphären der menschlichen Natur verlagert: "Die Krise hat nun viel krim<strong>in</strong>elle Energie und zügellosen<br />

Egoismus an die Oberfläche geschwemmt. Sie entspr<strong>in</strong>gen aber nicht dem System, sondern<br />

der menschlichen Natur." (NZZ 3<strong>1.</strong>12.2008)<br />

Die Mont Pèler<strong>in</strong> Society, e<strong>in</strong>e neoliberal orientierte Stiftung, veranstaltete Anfang April 2009 <strong>in</strong><br />

New York e<strong>in</strong>e Tagung mit Nobelpreisträgern und anderen bekannten Ökonomen. Darunter<br />

macht es diese Stiftung nicht. Die Referenten wurden ihrem akademischen Ruf gerecht und g<strong>in</strong>gen<br />

bis auf Adam Smith zurück, um ebenfalls die "menschliche Natur" als Krisenursache zu bemühen.<br />

Der Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung faßte die Beiträge der namhaften Ökonomen<br />

so zusammen: "Viele Redner griffen das auf. Die menschliche Natur könne sich nicht <strong>in</strong>nert<br />

weniger Jahre oder Jahrzehnte verändern, sie bleibe im Grunde gleich. Deshalb seien Gier<br />

und Masslosigkeit auch ke<strong>in</strong>e neuen Phänomene, sie äusserten sich lediglich auf andere Weise<br />

als früher und sie hätten sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em fruchtbaren Umfeld entwickelt, lautete e<strong>in</strong> Tenor." (NZZ<br />

9.4.2009)<br />

Knapp vorbei ist auch daneben. Statt der Entstehung dieses "fruchtbaren Umfelds" nachzuforschen<br />

und die "ewige Habgier" h<strong>in</strong>ter sich zu lassen, wie M. es getan hätte, bleibt man bei allgeme<strong>in</strong>-menschlichen<br />

Platitüden. Natürlich spielt Habgier e<strong>in</strong>e Rolle. Die kapitalistische Produktionsweise<br />

ist geradezu e<strong>in</strong> Zuchtlabor für die unfriedlichsten menschlichen Eigenschaften. Aber<br />

warum? <strong>Das</strong> ist die Frage, der sich die namhaften Ökonomen hätten zuwenden sollen, statt sich<br />

auf müde ethische Konventionen und Schulterzucken zu beschränken.<br />

S<strong>in</strong>d nicht vielleicht auch Produktionsverhältnisse denkbar, <strong>in</strong> denen eben nicht "Habgier und<br />

Masslosigkeit" den Ton angeben? S<strong>in</strong>d solche denkbar, <strong>in</strong> denen Erfolge bei der Armutsbekämpfung,<br />

beim Umweltschutz, bei sozialen Projekten ideell wie materiell belohnt werden? Hier<br />

sei noch mal betont: M. war ke<strong>in</strong> Missionar, der die Menschen bessern wollte. Die heute allenthalben<br />

ventilierten "ethischen Grundsätze", die "pr<strong>in</strong>ciples of good governance" und was da<br />

alles produziert wird, hätten ihn, je nach Tagesform, gr<strong>in</strong>sen oder wettern lassen.<br />

M. war da<strong>von</strong> überzeugt, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse entscheidend unser Verhalten<br />

prägen. Deshalb g<strong>in</strong>g es ihm <strong>in</strong> allererster L<strong>in</strong>ie um die Änderung dieser Verhältnisse. Aber nicht<br />

derart, dass die Verhältnisse <strong>von</strong> überlegenen Besserwissern geändert werden, um den Rest der<br />

Gesellschaft durch plötzliche Besserung ihres Verhaltens zu beglücken. Von diesem plumpen<br />

Materialismus distanziert sich M. bereits <strong>in</strong> den "Thesen über Feuerbach" <strong>in</strong> der 3. These, die<br />

des Nachdenkens wert ist. Er schreibt:<br />

"Die materialistische Lehre (= die <strong>von</strong> Feuerbach & Co.) <strong>von</strong> der Veränderung der Umstände und<br />

der Erziehung vergißt, daß die Umstände <strong>von</strong> den Menschen verändert und der Erzieher selbst<br />

erzogen werden muß. Sie muß daher die Gesellschaft <strong>in</strong> zwei <strong>Teil</strong>e – <strong>von</strong> denen der e<strong>in</strong>e über ihr<br />

erhaben ist – sondieren.<br />

<strong>Das</strong> Zusammenfallen des Ändern[s] der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung<br />

kann nur als revolutionäre Praxis gefaßt und rationell verstanden werden." (MEW<br />

3, S.5f)<br />

Es geht eben nicht darum, dass der "erhabene" <strong>Teil</strong> der Gesellschaft den anderen erzieht; alle<strong>in</strong><br />

die Vorstellung <strong>von</strong> Erhabenheit ist für M. grotesk. Er kann sich diese Veränderung der Men-<br />

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