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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Steigerung der Arbeitsproduktivität<br />

Die Steigerung der Arbeitsproduktivität ist neben der Intensifikation die zweite wichtige Methode<br />

zur Erhöhung des relativen Mehrwerts. Aber es hat damit se<strong>in</strong>e Tücken. Wie kann Steigerung<br />

der Arbeitsproduktivität den Mehrwert erhöhen?<br />

Wenn wir vom Wertgesetz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er bisherigen Formulierung ausgehen (darauf haben wir uns<br />

zunächst gee<strong>in</strong>igt), ist Steigerung der Arbeitsproduktivität nicht Steigerung der Wertmasse, sondern<br />

Steigerung der Gebrauchswertmasse, da ja mit derselben Menge gesellschaftlich notwendiger<br />

Arbeitszeit lediglich mehr produziert wird. 274 <strong>E<strong>in</strong>e</strong> Erhöhung des Mehrwerts wäre durch<br />

Steigerung der Arbeitsproduktivität nur <strong>in</strong>sofern zu erzielen, als damit der Wert der Arbeitskraft<br />

gesenkt wird. Je niedriger der Wert der Arbeitskraft, desto ger<strong>in</strong>ger der Anteil der notwendigen<br />

Arbeitszeit am Arbeitstag zugunsten der Mehrarbeitszeit. So weit die Theorie. Aber wie sieht es<br />

damit <strong>in</strong> der Praxis aus, damals, zu M.s Zeiten, und heute, bei uns?<br />

Wenn wir uns das Gerangel der englischen Fabrikanten mit den Agrarkapitalisten im 19. Jahrhundert<br />

ansehen, wird der Zusammenhang für M.s Zeit sofort nachvollziehbar. Während die<br />

Herren über Acker und Vieh hohe Getreidepreise und Schutzzölle für Agrarwaren durchsetzen<br />

wollten, fürchteten die Fabrikanten die damit verbundenen steigenden Preise für die Nahrungsmittel<br />

und die deshalb wachsenden Lohnforderungen. Im Gegenzug waren sie <strong>in</strong> den<br />

quick&dirty Tagen der Produktionsweise allzeit bereit, gute Ernten und niedrige Brotpreise <strong>in</strong> sofortige<br />

Lohnkürzungen umzusetzen. 275 Aber wie sieht das heute im "Hochlohnland Deutschland"<br />

aus? Kann man immer noch sagen, dass die Unternehmerklasse den Mehrwert steigert,<br />

<strong>in</strong>dem sie etwa dafür sorgt, die Reproduktionskosten für die Arbeitskraft zu senken?<br />

Ne<strong>in</strong>, so simpel ist das nicht. Dafür ist die Bildung der Löhne <strong>in</strong> Deutschland viel zu sehr <strong>in</strong>stitutionalisiert,<br />

e<strong>in</strong>gebunden <strong>in</strong> staatliche Gesetzgebung und tarifliche Vere<strong>in</strong>barungen. Der Arbeitgeber<br />

kann se<strong>in</strong>en Beschäftigten nicht e<strong>in</strong>fach mit H<strong>in</strong>weis auf preiswerte Unterhaltungselektronik<br />

den Lohn um 100 Euro kürzen. (Auch wenn er es gerne wollte, ganz unabhängig <strong>von</strong> der<br />

Elektronik). Und im Ganzen s<strong>in</strong>d weder die Unternehmer noch wir so naiv zu glauben, e<strong>in</strong>e<br />

Preissenkung für R<strong>in</strong>dfleisch, Bier und Kartoffeln habe e<strong>in</strong>en direkten E<strong>in</strong>fluß auf die Lohnhöhe.<br />

Ebensowenig, wie Preissteigerungen derselben Waren sofort die Löhne erhöhen.<br />

Dennoch ist der Zusammenhang <strong>von</strong> Arbeitsproduktivität (sprich: Entwicklung der Lebenshaltungskosten)<br />

und Wert der Arbeitskraft (sprich: Lohnhöhe) ke<strong>in</strong>e Spezialität des 19. Jahrhunderts.<br />

Warum sonst gibt es große Behörden wie das Statistische Bundesamt, die beständig mit<br />

hohem Aufwand umfangreiche Statistiken zu Preisen, Lebenshaltung und Löhnen erstellen? Warum<br />

werden höhere Löhne mit H<strong>in</strong>weis auf Preissteigerungen und Kaufkraftverlust <strong>von</strong> den Gewerkschaften<br />

gefordert? Auch heute dreht sich alles um die Lebenshaltungskosten, was ja nur<br />

e<strong>in</strong> anderes Wort für den Wert der Arbeitskraft ist. Und warum wohl gerät man im Unternehmerverband<br />

<strong>in</strong> Unruhe, wenn die Lebensmittel des täglichen Bedarfs, wenn Mieten und Heizkosten<br />

<strong>in</strong> die Höhe gehen? Dann stecken sie eben doch <strong>in</strong> derselben Situation wie ihre Klassenkameraden<br />

vor 170 Jahren <strong>in</strong> England, die den Forderungen der Agrarkapitalisten nach höheren<br />

Kornpreisen entschieden entgegentraten, um die daraus resultierenden Lohnforderungen abzuwehren.<br />

276<br />

Zwischenfrage 52: Warum ist den Unternehmern wegen der gestiegenen Löhne der Mehrwert noch nicht<br />

ausgegangen? (S.203)<br />

Zweifellos hat sich das Niveau der Löhne seit M.s "Kapital" gemessen <strong>in</strong> Kaufkraft erhöht, wenn<br />

es auch beachtliche Schwankungen gibt. Aber der Anstieg der Löhne ist weder e<strong>in</strong>e "ewige<br />

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